Von im Keller verstauten Aktien und der Informationsflut

  24.11.2022 Wirtschaft, Gesellschaft, Gewerbe, Saanen, Wirtschaft, Schönried

Wer beim Geldanlegen Erfolg haben will, muss Geduld haben und nicht auf die Börsennews hören: Dies die Grundessenz des Vortrags vom Finanzmarktexperten Erwin Heri am Börsenbarometer der Saanen Bank. Das Referat eines Mannes, der trockene Erklärungen für Finanzbegriffe so sehr meidet wie der Teufel das Weihwasser.

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Können Sie dem folgen, was kurz vor der Tagesschau bei SRF Börse berichtet wird? Hand aufs Herz: Wohl die wenigsten können diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Der Finanzmarkt ist mit seinen vielen Playern, spezifischen Begriffen und schnell wechselnden Kursen für viele ein Rätsel. Und wer einigermassen den Durchblick hat, läuft Gefahr, sich auf dem Finanzmarkt falsch zu verhalten. «Die meisten Leute interessieren sich für Aktien, wenn alle anderen es tun. Die beste Zeit ist aber dann, wenn sich niemand für Aktien interessiert», zitierte der Saanen-Bank-Mitarbeiter Dominique Huwiler den US-amerikanischen Grossinvestor Warren Buffett in seiner Begrüssungsrede am Börsenbarometer.

Sich antizyklisch zu verhalten und in schlechten Zeiten zu kaufen, sei schwierig, besonders in der aktuellen Zeit, in der uns die Verluste an den Aktienmärkten tief in den Knochen sitzen. Bevorstehende Leitzinserhöhungen, überbordende Inflation auf über 10,7 Prozent im Euroraum, steigende Energie- und Lebensmittelpreise: Es gebe gute Gründe, derzeit gegenüber Investitionen zurückhaltend zu sein, so der Leiter der Abteilung Anlagekunden. «Vor diesem Hintergrund ist es hilfreich innezuhalten, sich von der täglichen Nachrichtenflut nicht zu stark beeinflussen zu lassen und zu versuchen, das grosse Ganze nicht aus den Augen zu verlieren.» «Meine Rede», dachte sich wohl der Professor für Finanztheorie Erwin Heri (siehe Kasten auf Seite 3), der ins Ermitage Wellness- & Spa-Hotel Schönried gereist ist, um den Anwesenden seine Ratschläge fürs richtige Anlegen zu geben. Und die lauten: Langfristig investieren, Ruhe bewahren und die Medien meiden.

Kurzfristige Prognosen ignorieren
Thema Medien: Am Ende jeder Radionachrichtensendung, kurz vor der Tagesschau, in jeder Zeitung und auf jeder News-Homepage – überall seien die Aktienkurse präsent, die Informationsflut sei gewaltig. «Eine kurzfristige Prognose ist aber nicht möglich», so der Finanzexperte. Stattdessen sollte eine langfristige Anlagestrategie verfolgt werden, und zwar keine unter zehn Jahren. Wer stets auf die aktuellen Entwicklungen eines Aktienkurses reagieren wolle und damit kurzfristig kaufe und wieder verkaufe, verliere am Ende nur Geld und Nerven. «Ich präsentiere Ihnen nun eine Anlagestrategie: Kaufen Sie für 100 Einheiten Aktien, stecken Sie diese in einen Sack und legen ihn in den Keller. Nach 100 Jahren schauen Sie in den Sack und die 100 Einheiten haben einen Wert von 157’000.» Das höre sich nach einer unglaublichen Zahl an, im Durchschnitt betrage die Wertsteigerung aber gerade mal acht Prozent, weil es in der Zwischenzeit grobe Ausreisser von minus 50 Prozent gegeben habe, aber: «Das ist der Effekt der Zinseszinsrechnung», erklärte er.

Wieso ist sich der Finanzexperte so sicher, dass sich die Aktien so entwickeln werden? «Anlagemärkte haben immer einen Trend», sagte Erwin Heri. Langfristig steige jede Aktie, die auf dem Börsenmarkt bestehen bleibe. Warum? «Aktien bewegen sich mit Gewinnen mit. Jedes Unternehmen, welches Gewinn erzielt, erhöht seinen Wert und damit auch den der Aktien. Und solange die Menschheit innovativ bleibt, steigen auch die Werte in den Aktienmärkten», erklärte der Professor.

Disziplin und Sturheit
«Nun denken Sie sich: Das ist ja alles schön und gut, aber 100 Jahre? Da sind wir ja alle tot!», wandte Heri unterhaltsam ein. Er müsse zugeben, es sei auch ein übertriebenes Beispiel, aber dennoch: Die durchschnittliche Lebenserwartung habe in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen. Zudem seien 20 oder 30 Jahre ein genügend langer Zeithorizont, um zu investieren. «Frisch Pensionierte und auch 80-Jährige sind nicht zu alt, um auf eine langfristige Strategie zu setzen.» Wichtig sei, diszipliniert zu sein und Sturheit zu beweisen. «Kaufen Sie nichts, was Sie nicht verstehen. Informieren Sie sich und lassen Sie sich von Ihrem Bankier helfen», so der Finanzexperte.

Ein aufmerksamer Zuhörer fragte sogleich genau nach: «Habe ich das richtig verstanden: Wir hätten vor 100 Jahren nicht Aktien in den Sack stecken müssen, sondern Indizes?» Grundsätzlich ja, meinte Heri, doch es sei «ein bisschen» komplizierter. Kurze Begriffserklärung: Der Index bildet die Wertentwicklung eines bestimmten Marktes bzw. eines Aktienkurses nach und dient Anlegern und Fondsmanagern als Vergleichsmassstab. «Der entscheidende Punkt ist, ein diversifiziertes Portfolio zu haben. Der SMI ist beispielsweise keines», erklärte er. Der Swiss Market Index (SMI) hat rund 20 Titel, allerdings vereinnahmen drei davon – nämlich Roche, Novartis und Nestlé – ganze 50 Prozent. Wenn man sich aber entscheide, in alle 20 Titel gleich viel zu investieren, dann sei dies vernünftig. «Es ist nicht einfach, den richtigen Index zu nehmen. Am besten lassen Sie sich bei Ihrer Bank beraten», bekräftigte er.

Am Ende gilt für ihn nur eines: «Es geht nicht darum, wann Sie kaufen, sondern, dass Sie kaufen.»


ZUR PERSON

Erwin W. Heri ist Professor für Finanztheorie an der Universität Basel, am Swiss Finance Institute Zürich und gelegentlicher Gastdozent an der Universität Genf sowie an der ETH. Daneben war er während vielen Jahren in führenden Positionen bei grossen Schweizer Finanzdienstleistern tätig, unter anderem als CIO beim früheren Schweizerischen Bankverein, als Generaldirektor und Finanzchef der Winterthur Versicherungsgruppe und als Anlagechef der Credit Suisse Financial Services. Während zehn Jahren leitete er die an der Börse kotierte Privatbankengruppe Valartis Group. Daneben bediente und bedient er sich noch heute verschiedener Mandate im Finanz- und Anlagebereich, unter anderem als langjähriger Vorsitzender der Anlagekommission der Bundespensionskasse und als Chairman eines «Family Office» einer britischen Adelsfamilie. Er ist Autor von Büchern aus dem Finanz- und Anlagebereich und Verfasser zahlreicher Artikel und Kolumnen. Im Augenblick beschäftigt er sich hauptsächlich mit dem Aufbau der videobasierten Internetplattform Fintool AG für Finanzausbildung. Dies mit dem Ziel, bei der Bevölkerung ein breiteres Verständnis für Geld-, Finanz- und Anlagefragen zu etablieren.

QUELLE: SB SAANEN BANK


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