Jedem sein eigenes Bild

  01.12.2022 Kultur

Die Musikgesellschaft Gstaad gab am ersten Adventssonntag ihr traditionelles Adventskonzert in der Kirche Saanen. Es war ein farbenfrohes Konzert und Louis Lanz animierte die Konzertbesucherinnen und -besucher, in Gedanken die Pinsel in die Farbtöpfe zu tunken und ein virtuelles Bild zu kreieren.

ANITA MOSER
Einen Tag nach der Fahnenweihe des Turnvereins Saanen-Gstaad, an der die Musikgesellschaft Gstaad als Fahnengötti eine tragende Rolle spielte, nahm sie die Zuhörenden an ihrem Adventskonzert mit auf eine kleine Zeitreise. «Zurückblicken ist etwas, das man häufiger macht in dieser Zeit», begrüsste Louis Lanz die Zuhörerinnen und Zuhörer in der Kirche Saanen. Die Musikgesellschaft Gstaad habe im vergangenen Jahr Schmerzhaftes erleben müssen, aber auch viel Schönes. So hat der Verein seit Anfang Jahr mit Sandro Frautschi einen jungen, dynamischen Dirigenten. Er hoffe, so Moderator Lanz, dass man spüre, wie viel Spass ihnen das Musizieren mache. Er animierte die Anwesenden, im Verlaufe des Konzertes ein – virtuelles – Bild zu malen. «Ob wir es am Schluss versteigern, sehen wir dann», meinte er scherzhaft.

Den Bilderrahmen – mit klaren Linien und ein paar Verzierungen – lieferte «Respicere» von Thiemo Kraas. Sich von den Farben verzaubern lassen konnte man zu «Rippling Watercolors» von Brian Balmages. Danach wurde es modern und abstrakt, wie die Kunst von Kandinsky oder Henri Matisse – oder vielleicht sei sogar ein kleiner Picasso unter den Anwesenden…, so der gut gelaunte Moderator. Grosse Kunst bot Solistin Valerie Nydegger mit der «Rhapsody for Flute» von Stephen Bulla – eines der Highlights dieses Konzertes. «Die Querflöte kann sehr gut bestehen gegen die ganze Band. Es gibt einen intensiven Dialog zwischen der Flöte und der Band», versprach Lanz und riet, für die virtuellen Malkünste kräftigere Farben und dickere Pinsel zu wählen. Mit tosendem Applaus honorierte das Publikum das wunderbare Spiel der jungen Solistin. Sie studiert an der Uni Freiburg Biomedizin, steht kurz vor dem Bachelor und nimmt trotzdem regelmässig an den Proben teil.

Mit «A Festive Tribute» von Johann Sebastian Bach entführte die Musikgesellschaft die Zuhörerinnen und Zuhörer in die Zeit des Barocks, in die Zeit von Michelangelo und gepuderten Perücken. Nach den «munteren» Trompeten kamen die Holzbläser mit der Uraufführung von «Cinderella» (Aschenputtel) von Gioachino Rossini zum Zug. Louis Lanz hatte auch hierfür Tipps für das malende Publikum: «Es ist eine Oper – somit würde sich ein Bühnenbild anbieten mit etwas Dramatik, ein bisschen Ernsthaftigkeit, zwischendurch spielerisch und natürlich gibt es ein Happy End…»

Zurücklehnen, vor seinem geistigen Auge die typische englische Landschaft vorbeiziehen lassen, grüne Matten, ein Cottage, eine Kirche und vielleicht ein paar Schafe – und das alles zu «Prelude on Lavenham» von Goeffrey Nobes und arrangiert vom Dirigenten Sandro Frautschi. «Lavenham, ein Dorf in der Grafschaft Suffolk, bekannt für seine mittelalterlichen Cottages, gehörte im Mittelalter zu den reichsten Dörfern Englands, vor allem wegen seiner bekannten Produkte aus Wolle», erklärte Louis Lanz.

Mit «Let It Go» (der Filmmusik zu «Frozen») von Kristen Anderson-Lopez und Robert Lopez ging es zurück in die Gegenwart. Die «Eiskönigin» kam 2013 in die Kinos. Für die Zuhörerinnen und Zuhörer hiess das, den Pinsel gegen den Bleistift einzutauschen und das Gemälde mit Comics zu ergänzen.

Mit «Christmas at the Movies», einem unterhaltsamen Medley, arrangiert von John Moss, läutete die Musikgesellschaft Gstaad die festliche Zeit ein. Und auf die Malerei bezogen heisst das: ein bisschen Kitsch und Lametta.

Das Publikum goutierte das abwechslungsreiche Programm mit langanhaltendem Applaus und die Gastgeberin bedankte sich ihrerseits beim Publikum mit zwei Zugaben.

Ein harmonisches Gemälde
In seiner Dankesrede im Anschluss erwähnte Louis Lanz unter anderen den Dirigenten. «Sandro Frautschi versucht, aus unserer Musik ein harmonisches Gemälde zu kreieren.» Mit seiner jugendlichen Frische und seiner motivierenden Art sei das sehr gut gelungen, lobte Lanz. «Wir sind stolz, mit ihm einen jungen Dirigenten zu haben, der aktuell daran ist, seinen Master im Dirigieren abzuschliessen.» Das ist die höchste Stufe, die man in dieser Branche erreichen kann. «Er hat sich entschieden, mit uns als Testobjekt im nächsten Juni an die Prüfung zu gehen. Ich weiss nicht…» Mit Gelächter und Zwischenapplaus vollendete das Publikum den Satz des Moderators. Die Musikantinnen und Musikanten sind mit Spass dabei – Spass hatte auch das Publikum am ersten Adventssonntag. Und während des Konzertes ist bestimmt das eine oder andere virtuelle Meisterwerk entstanden. Den Rahmen dazu bot die Musikgesellschaft Gstaad auf wundervolle Weise.


35 UND 50 JAHRE MITGLIEDSCHAFT

Im Rahmen des Adventskonzertes wurden auch zwei Mitglieder der Musikgesellschaft Gstaad speziell erwähnt. Seit 35 Jahren ist Monika Brand – sie spielt Tenorsaxofon – Mitglied der Band. Louis Lanz schlug auf witzige Art auch eine Brücke zu damals: 1987 landete Matthias Rust mit einem Kleinflugzeug auf dem Roten Platz, Steffi Graf gewann ihren ersten Grand Slam, im Kino lief «Dirty Dancing» und Thomas Gottschalk moderierte zum ersten Mal «Wetten, dass…?» Voll im Trend waren Bon Jovi, die BeeGees und U2.

Wie Louis Lanz erzählte, fanden vor 50 Jahren – 1972, als das heutige Ehrenmitglied Alfred Aeschbacher (Tuba) einem Musikverein beitrat – in München die Olympischen Spiele statt, lösten zwei Journalisten mit ihren Recherchen die Watergate-Affäre aus (aufgrund derer sich US-Präsident Richard Nixon zwei Jahre später zum Rücktritt gezwungen sah), lief im Fernsehen zum ersten Mal «Star Trek» und gewann Vicky Leandros den Eurovision Song Contest.

Mit grossem Applaus bedankten sich das Publikum und die Musikerkolleginnen und -kollegen bei Monika Brand und Alfred Aeschbacher für ihr langjähriges Musizieren. Auf dass noch viele Jahre dazukommen.

ANITA MOSER

 


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