Die zeitgenössische Rolle einer sprechenden Puppe

  01.12.2022 Kultur

Alexandra Lebouchard liebt es, Geschichten zu erzählen, dies am liebsten mit einer Puppe in der Hand. Nun wagte sie sich erstmals an die Öffentlichkeit mit einem selbst geschriebenen Stück. Sie sprach mit uns über ihre Begeisterung zum Puppenspiel und beantwortete die Frage, inwiefern es in unserer digitalen Welt noch zeitgemäss ist.

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«Eins, zwei und drei! Klatscht zur Musik mit, das motiviert mich!», schreit Gundula schwer atmend zum Publikum, während sie Liegestütze macht. Ohne zu zögern klatschen die Kinder und ihre Eltern eifrig in die Hände, feuern das kleine rosarote Schweinchen an. Gundula möchte nämlich sportlicher und fiter werden, damit sie in ihr Ballet-Tutu passt, welches eines Morgens vor ihrem Stall in einem schön verpackten Geschenkpäckli lag. Sie träumte im Schlaf davon, denn es ist ihr grösster Wunsch, einst eine Ballerina zu sein.

Gundula ist der kleine Schützling von Alexandra Lebouchard aus Gstaad, die das kleine Schweinchen während eines einwöchigen Kurses selbst kreiert und gebastelt hat. Zu Hause fertigte sie Theodor an: einen kleinen grauen Mäuserich, der eigentlich ein guter Freund von Gundula ist, sie aber sehr gerne auf die Palme bringt. Er macht sich lustig über sie, als sie ihren Ballerinawunsch äussert – entschuldigt sich aber, als er sieht, wie sehr er Gundula mit seiner Reaktion verletzt hat.

Die Moral von der Geschicht …
Lass jede und jeden Träume haben und unterstütze sie, anstatt sie auszulachen: Eine Moral in der Geschichte, wie sie im Buche steht. Sie stammt aus der Feder von Alexandra Lebouchard. Und wenn wir schon von Träumen sprechen: Eines Tages mit selbst gebastelten Puppen und einer eigens ausgedachten Geschichte aufzutreten, war immer ihr grösster Wunsch. «Seit ich mich erinnern kann, begeistern mich Puppenspiele. Es fasziniert mich, einer Puppe Leben einzuhauchen», erzählt sie. Und Geschichten erzählen ist quasi ihr Beruf: Seit 25 Jahren ist sie als Lehrperson für den Kindergarten im Saanenland tätig, seit zehn Jahren im Schulhaus Bissen. «Ich habe eine Handpuppe, die besonders bei erzieherischen Belangen zum Einsatz kommt, beispielsweise bei der Frage, wieso es gefährlich ist, mit einer Schere umherzurennen.» Sie muss immer wieder schmunzeln, wenn die Kinder stirnrunzelnd die Puppe und sie beobachten und sie in ihren Blicken lesen kann: Ist die Puppe etwa echt?

Gundula und Theodor hingegen sind keine einfachen Handpuppen, sondern aufwendig gebastelte «Spielzeuge»: Sie haben Gelenke und können dadurch Bewegungen ausführen – wie eben Liegestütze oder einen Spagat. Auch Wurzli-Purzli – Lebouchards «Maskottchen», wie sie ihn nennt – hat ausgeprägte Gesichtszüge, angefertigt aus Filz, gemacht mit viel Liebe zum Detail. «Er ist die Konstante in meinen Geschichten, denn er nimmt die Erzählerrolle ein. Er begrüsst das Publikum und verabschiedet es», erklärt die Puppenspielerin. Die Geschichten von Lebouchard sind allerdings nicht nur etwas für Kinder. Mit viel Humor unterhält sie sich mit ihren Puppen, zankt sich auch manchmal mit ihnen und baut den einen und anderen Witz ein, den eher die erwachsenen Zuschauerinnen und Zuschauer verstehen.

Premiere gelungen
Vergangene Woche war es so weit: Erstmals begrüsste Alexandra Lebouchard das Publikum gemeinsam mit dem süssen Zwerg Wurzli-Purzli im Burrihaus in Gstaad, Gundula tanzte auf der Bühne und Theodor brachte die Zuschauerinnen und Zuschauer mit seinen frechen Sprüchen zum Lachen. Die Aufführung wurde von der Bibliothek Saanenland präsentiert. Die Kinder lachten, interagierten mit Alexandra, riefen ihr und ihren Puppen zu und sassen auch mal ganz ruhig und bekümmert auf ihren Zuschauerplätzen, wenn Gundula weinen musste. Spontan führte Lebouchard das Stück nochmals im Rahmen des Weihnachtsbasars der Kirchgemeinde Saanen-Gsteig auf. «Die Vorstellungen waren gut besucht und die Kinder wie auch die Erwachsenen waren begeistert», erzählt sie und ist überwältigt. «Es ist das schönste Kompliment für mich, wenn ich die leuchtenden Kinderaugen vor mir sehe und ich sie mit dem Puppentheater in den Bann ziehen kann.» Lebouchard ist hoch motiviert: «Es werden bestimmt noch weitere Stücke folgen.»

Den Reaktionen nach zu urteilen ist es ihr bei der Premiere gelungen, die Kinder zu fesseln – doch ist dies heute noch so einfach bei all den digitalen Geräten, von denen sie umgeben sind? In den vergangenen 25 Jahren hat Alexandra Lebouchard als Lehrperson für den Kindergarten schon eine Veränderung festgestellt. «Wir beobachten vermehrt, dass einige Kinder unselbstständiger sind und je nach Aufgabe auch ratlos dastehen. Denn die elektronischen Geräte sagen einem stets, was man zu tun hat oder präsentieren einem bestimmte Entscheidungswege: Drücke hier oder möchtest du dieses oder jenes tun», schildert sie. Auch mit den vielen Animationen auf den Bildschirmen könnte man meinen, dass eine «normale» Märchenstunde als langweilig eingestuft würden, dem ist aber nicht so. «Die Kinder reissen mir fast das Buch aus den Händen, wenn ich ihnen daraus eine Geschichte vorlese und die Bilder dazu zeige. Sie lieben es, Geschichten erzählt zu bekommen», schildert Lebouchard.

Ist somit ein Puppentheater noch zeitgemäss? «Ich bin schon der Meinung. Es ist eine Pause von der digitalen Welt. Zudem erzähle ich eine interaktive Geschichte, ich beziehe die Kinder mit ein. Sie sitzen nicht nur da und hören zu», sagt die Puppenspielerin. Sie sei kein Profi, sondern gehe diesem Hobby wirklich aus Freude nach, denn es begeistere sie, die Reaktionen der Kinder zu sehen. Zudem sei die Zeit bei einem Theater anders als vor dem Fernseher oder Tablet. «Ob man nun ein Kind als Elternteil, Götti oder Tante begleitet: Man erlebt etwas gemeinsam. Und vielleicht hallen die Erinnerungen noch lange nach, wenn sie eines Tages über das Theater sprechen und wieder darüber lachen. Das wäre natürlich wunderbar», sagt Alexandra Lebouchard mit einem Schmunzeln. Und da wären sie wieder: die kleinen Wünsche und Träume.


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