Wagner begegnet Beethoven

  09.08.2022 Kultur

In der Kirche von Zweisimmen stand am vergangenen Donnerstagabend nicht die Musik im Vordergrund, sondern das gesprochene Wort: Der bekannte Schauspieler Karl Maria Brandauer las in begeisternder Weise aus Richard Wagners Novelle «Eine Pilgerfahrt zu Beethoven». Und der Pianist Sebastian Knauer fügte einen klingenden Abschluss mit der «Mondscheinsonate» hinzu.

KLAUS BURKHALTER

Für viele Anwesende in der voll besetzten Kirche war es bestimmt etwas Besonderes, den grossen Opernkomponisten Richard Wagner als Verfasser einer reizvollen Novelle zu erleben. Wer kennt nicht seine grossen Werke, beispielsweise rund um den «Ring der Nibelungen»? Es war aber von Beginn seiner Jugend an stets Wagners Bestreben gewesen, auch dem Wort in der Musik grosse Bedeutung beizumessen. So war er in seinem Leben Komponist, Dramatiker, Philosoph, Dichter, Theaterregisseur und Dirigent.

Als 16-Jähriger erlebte Wagner erstmals Beethovens Oper «Fidelio». Die Aufführung berührte ihn total und bewirkte seinen Entschluss, Musiker zu werden. Erste Klaviersonaten entstanden, ein Streichquartett, etliche Galopps – doch kein Verleger fand Gefallen daran, finanziell schaute nichts heraus. Das grosse Vorbild Beethoven war gestorben – wie gerne hätte der junge Richard ihn kennengelernt. Für eine französische Musikzeitschrift verfasste der 27-jährige Wagner eine Novelle zur Würdigung des Musikgenies und nannte sie «Eine Pilgerfahrt zu Beethoven». Darin kommt seine unmögliche Sehnsucht zum Ausdruck, seinem Idol in Wien zu begegnen.

Eine intensive Darstellung
Klaus Maria Brandauers Lesung war ein literarisch-musikalisches Erlebnis von höchster Qualität. Seine Gestaltungsideen in sprachlichen und mimischen Ausdrucksvarianten packten das Publikum und liessen dieses in atemloser Spannung lauschen. Auch wenn der Lektor auf seinem Stuhl am Tisch «gefesselt» war, spielte er seine reichen artistischen Fähigkeiten voll aus. In sanften Passagen, mit erregt schreienden Ausbrüchen, köstlichen Lachmomenten und fröhlichem Augenzwinkern brachte der begnadete Schauspieler alle reizvollen Momente bestens zur Geltung. «Wagners Pilgerfahrt zu Beethoven» entfaltete sich zu einer fiktiven schwärmerisch-träumerischen Geschichte, einer unterhaltsamen, phantastischen Erzählung voller Witz und Charme. Die Begegnung mit seinem Idol sollte Wagners grösstes Erlebnis seines Lebens werden, doch zunächst stand er vor verschlossenen Türen. Dazu musste er sich auch immer wieder gegen die Aufdringlichkeiten eines lästigen, reichen Engländers wehren, der den berühmten Komponisten ebenfalls besuchen wollte. Nach einigen Tagen, mit gütiger Beihilfe des Wirtes, kam die Begegnung endlich zustande. Was für ein Moment! Beethoven sah schlecht aus, zerknittert, und hörte nichts. Die Fragen mussten dem tauben Meister schriftlich gestellt werden. Wagner legte seinem Idol Worte in den Mund, die den «Unsinn» und die «Langeweile» zeitgenössischer Opern anprangerten, eigentlich aber seine eigenen Ansichten eines neuen Musiktheaters darstellen sollten. Die Idee zur Gründung der Bayreuther Festspiele war gefasst, der Einfluss Beethovens auf Wagners Gesamtwerk ist kaum zu überschätzen.

Beethovens Musik zum Abschluss
Nahtlos ging die Erzählung über zu der musikalischen Vollendung des Abendprogrammes: Der hervorragende Pianist Sebastian Knauer liess den ersten Satz, das «Adagio sostenuto» von Beethovens berühmter «Mondscheinsonate», in grösster Ruhe dahinströmen, in stiller Haltung, total versunken in die wunderschönen Melodien. Jedermann, auch Brandauer, sass gebannt lauschend, bewegungslos, vom Musikzauber gepackt, da. Was für ein berührender Moment! Die mit «Quasi una fantasia» bezeichnete Sonate erlebte in Knauers Interpretation alle Facetten Beethoven’scher Klänge, mit dem strahlenden Licht des «Allegrettos» und dem gewaltigen Sturm des Schlusssatzes «Presto agitato».
Die Standing Ovation des Publikums drückte die Begeisterung für diesen unvergesslichen, sehr besonderen Abend aus. Die beiden Künstler hatten ein gemeinsames Meisterwerk erschafften.


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