Eine Weihnacht ohne beleuchtete Nächte?

  23.09.2022

Die drohende Energieknappheit ist in aller Munde. Wegen des Ukraine-Kriegs prognostiziert die eidgenössische Elektrizitätskommission einen Preisanstieg für Strom von rund 27 Prozent. Die Energiebranche warnt vor einer möglichen Strom- und Gasmangellage. Der Bundesrat ruft deshalb schon jetzt zu freiwilligen Sparmassnahmen auf. Zudem stützt der Bund den Stromkonzern Axpo mit einem Kredit von vier Milliarden Franken, weil dem Unternehmen akute Zahlungsunfähigkeit droht. Die Ungewissheit bereitet der Wirtschaft und der Gesellschaft Sorgen, manchen macht es gar Angst.

Es ist eine weitere Krise, der wir gegenüberstehen. Die Pandemie hat uns allerdings gezeigt, dass eine Krise auch eine Chance bietet. Verfallen wir nicht in einen lähmenden Zustand, sondern lassen wir Taten folgen. Packen wir die Probleme an und suchen wir nach Lösungen. Im hier vorliegenden Fall dürfen wir uns aber nicht nur darauf fokussieren, unseren Grad der Selbstversorgung im Strom- und Energiebereich zu erhöhen. Vielmehr sollten wir das grosse Ganze sehen: Wir brauchen eine nachhaltige und vertretbare Strategie.

Nur Strom zu produzieren, damit alles so weiterlaufen kann wie bisher, darf nicht unser Anspruch sein. Beispiel Gasproblematik: Kurzfristig vermindert ein Umstieg von Gas- auf Ölheizungen zwar unsere Abhängigkeit von einer Ressource, erhöht aber die CO2-Emmissionen. Der Klimawandel schreitet voran, unsere Gletscher schmelzen dahin, die Temperaturen steigen, dem Winter fehlt der Schnee und dem Sommer die blühende Vegetation – eine touristische Vermarktung und eine intakte regionale Tourismuswirtschaft wird immer schwieriger. Sinnvoller wäre, wenn wir uns beispielsweise der Solarenergie zuwenden. Laut Michael Lehning, Professor an der ETH Lausanne, führen tiefere Temperaturen und intensivere Strahlung dazu, dass die gleichen Fotovoltaikmodule in den Alpen bis zu 40 Prozent mehr Strom produzieren als im Mittelland. Verbauungen in den Landschaften sollten wir aber vermeiden. Vielmehr sollten wir eine Offensive auf so vielen Dächern wie möglich wagen, um sie mit Solaranlagen zu bestücken, denn das Saanenland hat eine gute Immobiliendichte. Eine Idee, die nicht auf meinem Mist gewachsen ist, sondern politisch schon erste Hürden genommen hat: Die Umweltkommission des Ständerats hat beschlossen, eine rechtliche Grundlage für die schnelle Realisierung von Freiflächen-Solaranlagen zu schaffen – bei Neubauten sollen ab 2024 Solaranlagen zur Pflicht werden. Die aktuelle Herbstsession wird zeigen, ob der Antrag angenommen wird.

Kurzfristig müssen wir uns darauf einstellen, dass wir im Winter eine Strommangellage haben werden. Planungsunsicherheit bei tourismusabhängigen Unternehmen, kurzfristige Buchungen von Gästen und vermehrt Annullierungen bei Hotelreservationen könnten auftreten. Wir müssen dort Strom sparen, wo es am wenigsten weh tut. Ich unterstütze die Idee, dieses Jahr auf die Weihnachtsbeleuchtung zu verzichten. Ohne Frage: Die Dekoration an unseren Chalets kreiert eine besinnliche Stimmung. Allerdings ist es ein Einsatz von Strom, der uns keine Arbeit bringt und ohne den der Alltag trotzdem weiterläuft. Mit einer Wertschöpfung von sechs Milliarden Franken ist der Schweizer Wintertourismus in den Bergregionen systemrelevant und hat eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung. Wir müssen dafür sorgen, dass die Bergbahnen laufen, die Beschneiung funktioniert und die Hotels ihre Freizeit- und Wellnessangebote anbieten können, damit auch die damit zusammenhängenden Arbeitsstellen nicht verloren gehen. Wenn wir die Weihnachtsbeleuchtung abschalten, trägt dies auch eine gewisse Symbolik in sich: Aus Solidarität zu Europa können wir als Region ein sichtbares Zeichen setzen.

Zeigen wir uns in der aktuellen Situation mutig und investieren wir in nachhaltige und akzeptable Lösungen. Wir können eine Vorzeigedestination für Schweizer Tourismusregionen werden und treten damit in die Fussstapfen der Pioniere, die einst unsere Destination vorangebracht haben.

FLURIN RIEDI

TOURISMUSDIREKTOR [email protected]


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