Kochen für eine bessere Zukunft
29.08.2024 SchönriedIm Rahmen eines Projekts der «Cuisine sans frontières» haben zwei junge Köche aus Ecuador drei Monate lang in der Küche des Hotels Ermitage mitgearbeitet. Inspiration pur, die ihren kleinen Heimatprovinzen in Amazonien zugutekommen wird.
...Im Rahmen eines Projekts der «Cuisine sans frontières» haben zwei junge Köche aus Ecuador drei Monate lang in der Küche des Hotels Ermitage mitgearbeitet. Inspiration pur, die ihren kleinen Heimatprovinzen in Amazonien zugutekommen wird.
SONJA WOLF
Kleine Tränen rinnen über die Wangen der jungen Frau. «Diese Erfahrung war ein Geschenk, ich werde sie immer im Herzen tragen und wieder mit nach Ecuador nehmen. Niemand wird mir diese Erinnerung je wieder wegnehmen. Ich bin unendlich dankbar», sagt sie mit zitternder Stimme und die meisten Anwesenden im Schönrieder Hotel Ermitage sind nicht minder gerührt bei so viel Emotionen. Loly heisst die 20-jährige Köchin und war im Gastronomieprojekt «El Fogon» im ecuadorianischen Regenwald die beste Absolventin – zusammen mit dem 25-jährigen Fidel. Und so durften Loly und Fidel nach ihrer zwölfmonatigen Kochausbildung noch in die Schweiz fliegen und drei Monate in der Küche des Ermitage in Schönried mitkochen.
Hilfe zur Selbsthilfe
«Wir haben seit fast 20 Jahren schon Projekte in Ecuador», erklärt Silvana Lindt, die Geschäftsführerin von «Cuisine sans frontières», den Gästen der Abschiedsfeier. Der kleine gemeinnützige Verein mit Sitz in Zürich betreut Projekte auf allen Kontinenten dieser Welt (siehe Kasten). Doch anstatt nur Spendengelder zu versenden, organisiert der Verein langfristige Hilfe. So zum Beispiel in Ecuador im Gebiet um den Rio Napo, einem Nebenfluss des Amazonas. «Dort ist Regenwaldzone, eine bedrohte Zone mit viel Abbau», fährt die Geschäftsführerin fort. «Und wir fragten uns: Wie kann man das Gebiet dort schützen?» Am besten ginge das, wenn man den jungen Leuten dort eine Perspektive bietet.
Und so wurde 2019 das Projekt «El Fogon» ins Leben gerufen. Es ist ein zwölfmonatiges Ausbildungsprogramm, in dem 25 Studenten pro Kurs praktische Fähigkeiten erwerben, die den Grundstein für eine Karriere in der Gastronomie- oder Tourismusbranche legen. Durch die Zusammenarbeit mit der dortigen Universität erhalten die Absolventen ein staatlich anerkanntes Diplom, mit dem sie in ganz Ecuador Arbeit finden können.
Kulinarik à la Saanenland
Seit 2021 bietet der Verein den zwei besten Absolventen die Möglichkeit zu einem dreimonatigen Praktikum in der Schweiz an, um dort in einem Hotel ihr Wissen im direkten Austausch mit Profis zu vertiefen. Seit 2023 ist das Hotel Ermitage Partnerhotel, also schon das zweite Jahr in Folge. «Wenn man etwas Gutes tun kann, dann sind wir gerne dabei», sagt Hoteldirektor Romuald Bour auf die Frage nach seinen Beweggründen. Die beiden jungen Köche aus Ecuador genossen in Schönried sogar kostenfrei Kost und Logis, hatten aber ansonsten die üblichen Arbeitsbedingungen. «Unsere beiden Gäste aus Ecuador hatten ganz normale Arbeitszeiten und erhielten auch einen normalen Lohn», berichtet Vizedirektorin Evelyn Engler. Und wie klappte die Integration? «Unsere rund 120 Mitarbeitenden hier im Ermitage sind alle sehr international, also klappte auch die Verständigung mit den beiden gut.» Das ganze Team habe geholfen: Sie hätten übersetzt oder auch mal mit Händen und Füssen erklärt. Küchenchef Giuseppe Colella ergänzt lachend, dass er auch problemlos italienisch mit den beiden Quechuasprachigen habe sprechen können. Loly und Fidel hätten im Saanenland ganz andere Gemüse oder Gewürze und auch vegetarische oder vegane Küche kennengelernt. «Besonders am 1. August haben sie sehr viel miterlebt von unserer Kulinarik», sagt noch einmal Vizedirektorin Engler. Und auch bezüglich Organisation lief einiges: «Die beiden waren nicht nur auf allen Posten in der Küche eingesetzt, sondern auch aktiv beim Catering fürs Menuhin Festival eingebunden.»
Weit weg von der Familie
Aller Anfang ist natürlich schwer. «Fidel und Loly kommen aus sehr einfachen Verhältnissen, beide aus kinderreichen Familien mit neun respektive zehn Geschwistern», erzählt die «Cuisine sans frontières»-Geschäftsführerin Silvana Lindt beim Apéro gegenüber dieser Zeitung. «Sie hatten nicht einmal einen Pass, wir mussten einen für sie beantragen.» Auch seien die beiden jungen Erwachsenen bisher noch niemals aus ihrer Region herausgekommen. «Schon die Reise in die Hauptstadt Quito war für sie eine halbe Weltreise», so Lindt. Und in den drei Monaten weit weg von ihrer Familie habe sie natürlich auch manchmal das Heimweh geplagt.
Und jetzt voller Gründerideen!
Aber das Abenteuer hat sich gelohnt. Dankbar und voller Erfahrungen kehren die beiden nun nach Ecuador zurück. Sie haben viel über die Haute Cuisine gelernt und den Kopf voller Pläne. Fidel möchte in der Heimat gerne ein Restaurant eröffnen, und Loly möchte zunächst das Projekt «El Fogon», das ihr so viel gegeben hat, als Lehrerin unterstützen, später aber selbst auch ein Restaurant eröffnen. Am liebsten mit indigenen Produkten aus Amazonien. Vielleicht aber auch mit Schweizer Käse? Den fanden sie beide jedenfalls sehr gut. «Viel stärker und mit mehr Geschmack und Aroma als bei uns!», sagt Fidel mit einem Augenzwinkern.
cuisinesansfrontieres.ch/de/
CUISINE SANS FRONTIÈRES
«Cuisine sans frontières» (Csf) bittet zu Tisch, um Gemeinschaft zu fördern und Konflikte zu lösen. Denn gemeinsam kochen und essen bedeutet Lebensqualität. Csf baut in Krisengebieten gastronomische Treffpunkte und Ausbildungsstätten auf – immer in Zusammenarbeit mit einem lokalen Partner. Ziel ist stets, den wirtschaftlich eigenständigen Betrieb der Projekte langfristig sicherzustellen. Csf leitet den Projektaufbau und betreut die Inbetriebnahme. Bis zur Projektübergabe unterstützt Csf die Projekte mit freiwilligen Helfer:innen, fachlichem Know-how und finanziellen Mitteln. Csf ist und war u.a. bereits aktiv in Kolumbien, Brasilien, Ecuador, Georgien, Kenia, im Kongo und im Zentrum Juch in Zürich.
Der gemeinnützige Verein wurde 2005 in Zürich gegründet, verzeichnet aktuell mehr als 600 Mitglieder und finanziert sich durch Spenden, Mitgliederbeiträge und die Benefizveranstaltung «Kitchen Battle».
Csf kann auf ein enormes persönliches Engagement vieler Freiwilliger zählen: Sie leisten pro Jahr gegen 7000 Stunden ehrenamtliche Arbeit.
Aus: cuisinesansfrontieres.ch/de/ueber-uns
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