100 Jahre durchgehalten

  28.03.2022 Saanenland, Volkswirtschaft, Saanenland

Mit einem Geburtstagsfest im kleinen Rahmen feierte die Sozialdemokratische Partei Saanen ihr 100-jähriges Bestehen. Vor fünfzig Jahren zählte die Partei beachtliche 52 Mitglieder und sie war während vielen Jahren auch im Gemeinderat von Saanen vertreten. Aktuell hat die Partei noch acht Mitglieder. Parteipräsident Martin Hefti hofft, dass die Partei künftig an Stärke gewinnt und es wieder einmal für einen Sitz im Gemeinderat reicht.

ANITA MOSER
Ein kleines Grüppchen von neun Personen fand sich Mitte März im Landhaus ein zum bescheidenen Jubiläumsfest der SP Sektion Saanen. Die Geburtstagstorte liess Parteipräsident Martin Hefti in einer hiesigen Bäckerei herstellen. Darauf, dass die Partei heuer ihr 100-Jahr-Jubiläum feiern kann, ist man mehr oder weniger per Zufall gestossen, respektive es ist dem aufmerksamen «Anzeiger von Saanen»- Leser und SP-Mitglied Ernst Wampfler zu verdanken. Unter der Rubrik «Saaner Chronik – vor 50 Jahren» steht für den 22. April 1972: «Die Sektion Saanen der Sozialdemokratischen Partei schaut auf 50 Jahre Bestehen zurück.» Weshalb die Partei 1922 gegründet wurde, wer zu den Gründungsmitgliedern zählte und wie viele Mitglieder sie damals hatte, weiss man nicht, weil entsprechende Dokumente fehlen.

«Als Kommunist betitelt»
Ein langjähriges Mitglied ist Ernst Wampfler. Er wurde schon im Elternhaus politisiert, sein Vater war in der SP. «Früher arbeiteten viele SP-Mitglieder auf dem Bau, sie mussten um bessere Arbeitsbedingungen betteln», erinnert sich Wampfler. SP-Mitglieder hatten einen schweren Stand. «Es wurde keine Gelegenheit ausgelassen, sie mit den Kommunisten zu vergleichen oder sie gar als Kommunisten zu betiteln.»

Im Gemeinderat gut akzeptiert
Die Sozialdemokraten waren im Gemeinderat von Saanen von 1969 bis 1992 durchwegs vertreten. Alfred Aegerter (†) von 1963 bis 1970, Robert Haldi (†) von 1971 bis 1976, Moritz Vonlanthen von 1977 bis 1984 und Ernst Wampfler von 1984 bis 1992. «Wir wurden im Gemeinderat gut akzeptiert. Es gab natürlich manchmal hitzige Diskussionen, aber es ging immer um die Sache, nicht um die Parteizugehörigkeit», betont Ernst Wampfler. Als Privatperson und Mitglied von verschiedenen Vereinen habe er es aber manchmal zu spüren bekommen, dass er in der «falschen Partei» sei.

1986 verzeichnete die SP ihren grössten Erfolg, sie holte dank einer Listenverbindung einen Sitz im Grossen Rat. Es kam zu einer Pattsituation: Ernst Wampfler und Brigitte Bittner wurden beide mit je 213 Stimmen gewählt. Ernst Wampfler verzichtete, überliess Brigitte Bittner das Amt. Die «Berner Tagwacht» ehrte ihn für seinen Verzicht zugunsten einer Frau mit «einer Rose». Wampfler relativiert: «Ich hätte das Amt gerne angenommen, musste aber aus existenziellen Gründen ablehnen.» Ich hätte für meine Abwesenheiten am Arbeitsplatz einen Ersatz finden und diesen selber bezahlen müssen.» Bittner ist später aus dem Saanenland weggezogen, hat aber als Stadtbernerin weiterhin aktiv politisiert.

Mitgliederschwund
Beim 50-Jahr-Jubiläum anno 1972 war Ernst Wampfler Präsident der Sektion. «Mit 52 Mitgliedern hatten wir damals den Höchststand», erinnert er sich. Die Mitgliederzahl sank stetig, pendelte sich über ein paar Jahre bei 30 Personen ein. Aktuell hat die Partei aber nur noch acht eingeschriebene Mitglieder, darunter drei junge. «Es ist schwierig, Mitglieder zu rekrutieren», betont Parteipräsident Martin Hefti. «Aus Angst vor Repressalien wollen sich viele nicht positionieren oder öffentlich zu ihrer Gesinnung stehen.» Denn meistens würden Linke und Grüne für alles, was nicht gut laufe, verantwortlich gemacht. Das zermürbe. «Das Saanenland ist eine der wenigen Regionen, die keine grüne Partei hat», so Hefti. Ernst Wampfler sieht das genauso. «Bei uns ist die SP für viele ein rotes Tuch. Meine Schwester wohnt im solothurnischen Dornach. Dort ist die SP als Partei etabliert und Bestandteil des Dorflebens.»

Eine ähnliche Erfahrung machte Ursula Egger, als sie von Grindelwald ins Saanenland zog. «In Grindelwald war die SP damals mehr verankert als im Saanenland.» Die SP-Sektion Saanen war hoch erfreut, mit Ursula Egger eine engagierte Persönlichkeit in ihren Reihen zu haben. Nach dem Tod von Sektionspräsident Robert Haldi übernahm sie während zehn Jahren das Präsidium. Und 2002 kandidierte sie für den Grossen Rat, allerdings erfolglos. Rückblickend sieht sie ihre Nichtwahl jedoch positiv. Ursula Egger unterrichtete damals die 1. bis 4. Klasse im Turbach. «Es ist nicht ganz einfach, sich hier als Lehrerin zu exponieren. Für die Schule war es besser, dass ich nicht gewählt wurde.»

Einen breiten Rücken
Kein Problem damit, sich als «Linker« zu positionieren, hat hingegen der Schönrieder Martin Hefti. «Ich habe einen breiten Rücken und eine dicke Haut», sagt der zweifache Familienvater. Aber er ist sich auch bewusst, dass es für Kandidatinnen und Kandidaten von kleinen Parteien schwierig ist, in ein Amt gewählt zu werden. «So lange der Gemeinderat Saanen aus 13 Mitgliedern bestand, der Rat nach dem Majorzsystem gewählt wurde und es zudem den Minderheitenschutz gab, war es für die SP einfacher, einen oder gar zwei Sitze zu gewinnen.» Nach der Einführung des Proporzwahlsystems hatte die kleine Partei keine Chance mehr. Ernst Wampfler war der letzte Vertreter der SP im Gemeinderat. «Damit du eine Chance hast, gewählt zu werden, musst du Mitglied einer grösseren Partei sein, nicht der kleinsten», so Hefti. Er ist aber auch überzeugt, dass es im Saanenland politisch Interessierte gibt, die seine links-grüne Gesinnung teilen. «Ich wünschte mir, dass sich mehr Leute dazu bekennen und öffentlich zu ihrer Gesinnung stehen – in der Hoffnung, dass es wieder einmal zu einem Gemeinderatssitz reicht.»


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