«Saanenland» – ein Buch gegen das Vergessen

  12.12.2017 Saanen, Saanenland

Im reich bebilderten Buch «Saanenland, eine Geschichte – eine Zukunft» beschreibt der Autor Benz Hauswirth auf 200 Seiten das landwirtschaftlich geprägte Leben im Saanenland. Am Beispiel vom Saali und vielen erhaltenen Utensilien wird die Geschichte der Region vermittelt. Am vergangenen Samstag fand im Landhaus die Vernissage statt.

ANITA MOSER
Rund 180 Personen aus nah und fern haben sich am Samstag trotz winterlichen Verhältnissen im Landhaus in Saanen zur Buchvernissage eingefunden. Vor vier Jahren haben die ersten Gespräche zwischen dem Herausgeber, dem Autor und dem Verleger stattgefunden, wie Verleger Frank Müller sagte. Seit dem 6. Dezember ist das Buch nun auf dem Markt. «Es ist ein gewichtiges Buch geworden, es wiegt 1,1 kg», schmunzelte Müller. Gewichtig ist es vor allem auch inhaltlich. Als Familie Best die Saali-Liegenschaft vor einigen Jahren von Familie Marti erwarb, war das Haus in einem guten Zustand, zudem befanden sich zahlreiche Werkzeuge, Haushaltgeräte und historische Materialien in den bis zu 300 Jahre alten Gebäuden. Dieser Fundus diente Autor Benz Hauswirth als Grundlage.

Die Verantwortung, sich zu erinnern
Für ihn, für seine Frau Verena und ihre fünf Kinder sei es eine Ehre, dieses Buch veröffentlichen zu können, betonte Herausgeber Rémy Best. Mehrere Gründe hätten sie veranlasst, das Buch herauszugeben: die Geschichte und die Verantwortung, sich zu erinnern sowie die Liebe. «Meine Frau und ich sind der Meinung, dass eine Gemeinschaft ohne Kenntnis ihrer Vergangenheit Mühe hat, die Zukunft zu gestalten.» Zweiter Grund sei die 800-jährige Geschichte des Saanenlandes – die Region habe schon früh eine Vorreiterrolle eingenommen. «Seit 1312 sind die Menschen in dieser Gegend Gastwirte und einige Frauen waren im Landschaftsrecht schon damals den Männern gleichgestellt.» Und 1644 seien die ersten öffentlichen Schulen eingeführt worden. «Es ist eine weltoffene Region und sie hat mit dem Saaner Käse seit dem 16. Jahrhundert ein Erfolgsprodukt.» Der dritte Grund sei die Liebe. «Als wir vor einigen Jahren die Saali-Liegenschaft erwarben, haben wir Möbel und Gegenstände gefunden, welche das Leben seit dem 18. Jahrhundert fassbar machen.» Diesen Gegenständen hätten sie mit dem Buch wieder Leben einhauchen wollen. «Das Buch ist ein Versuch, das Leben und die Arbeit der vergangenen Jahrhunderte aufzuzeigen.» Das Saanenland sei wunderschön und «Fremden» wie ihnen falle dies wohl noch mehr auf.

Das Buch sei im Teamwork entstanden, betonte der Bankier aus Genf: «Frank Müller mit seiner grossen Kompetenz und Geduld, Benz Hauswirth mit seiner Leidenschaft zu schreiben und seinem immensen Wissen sowie Mark Nolan mit seinen wunderschönen Fotografien.» In Anlehnung an den Spruch von Mark Twain «Die Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich» schloss Rémy Best sein kurzes Statement mit den Worten: «Mögen dieses Buch, die Geschichten und Anekdoten Inspiration sein für die erfolgreiche Entwicklung des Saanenlandes von morgen – das wünschen wir uns und das wünschen wir Ihnen».

Den Autor des Buches vorzustellen, sei fast wie Wasser in die Saane zu tragen, schmunzelte Frank Müller. «Benz Hauswirth ist ein anerkannter Lokalhistoriker mit einem enormen Wissen über Land und Leute sowie über die Geschichte des Saanenlandes.» Zusammen mit Brigitte Leuenberger hat er das Alte Archiv in Saanen betreut und war von 1992 bis 2008 Bauverwalter. «In dieser Funktion hat er auch eindrückliche Spuren hinterlassen.»

Die Landwirtschaft in früherer Zeit
Das Buch enthält die wichtigsten Geschichtsdaten zum Saanenland, der Schwerpunkt gilt aber der Landwirtschaft in früherer Zeit. Ein Bauernhof aus dem Jahre 1312 gibt einen Einblick in die Landwirtschaft des Mittelalters. So ist zu erfahren, dass dazumal Ackerbau betrieben wurde. Dieser verlor jedoch zunehmend an Bedeutung und wurde schliesslich ganz von der Viehzucht verdrängt. Zum Bauernhof gehörten damals auch ein schmucker Bauerngarten, Obstbäume, Honigbienen sowie Hanf- und Flachsanbau. Das dritte Kapitel ist dem «Saali – Leben, Arbeit und Politik» gewidmet, ein Unterkapitel dem Handwerk auf dem Saali. Das 200-seitige Buch ist reich bebildert, es enthält schöne, grossformatige Fotos zu Themen wie «Heuen wie in alter Zeit» oder zum Käsen, viele Abbildungen von alten Gegenständen und Werkzeugen sowie einen Orientierungsplan. «Das Buch versucht, eine Lücke innerhalb der lokalhistorischen Literatur des Saanenlandes zu schliessen», schreibt Benz Hauswirth in der Einleitung. An der Vernissage gab er einen kurzweiligen Einblick in die verschiedenen Kapitel, erklärte Zusammenhänge und gab – ohne viel zu verraten – auch ein paar Müsterchen preis. Im Kapitel zur Geschichte des Saanenlandes – sie enthält die wichtigsten Daten der vergangenen 900 Jahre – seien vor allem wirtschaftsgeschichtliche Schwerpunkte dargestellt. Als Beispiel aus der langen Chronologie erwähnte Hauswirth die Landeskiste der Landschaft Saanen von 1744. «In dieser Kiste wurden die sogenannten Freiheitsbriefe durch die Landsgemeinden getragen und sie waren ganz wichtig und der Stolz der Saaner Bevölkerung.»

Saubohnen und Erbsen
«Wenn heute ein Grossverteiler für drei Tage schliessen muss, löst dies eine halbe Hungersnot aus …», meinte Hauswirth mit einem Augenzwinkern. Vor 200 Jahren habe das niemanden beschäftigt. «Man hatte grosse Keller, darin lagerte man viel Gemüse vom Garten.» Eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel im Mittelalter war die Saubohne. «Bohnen und Erbsen waren sehr wichtig für die Ernährung. Als es in einem Jahr einen Mangel gab, hat dies sogar eine Teuerung ausgelöst.» Und selbst vor Langfingern war das Gemüse offenbar nicht gefeit. «1661 musste die Obrigkeit ein Verbot gegen den Diebstahl von Erbsen und Bohnen erlassen.» Zur Strafe mussten die Eltern ihre Kinder im Gefängnisturm in Saanen unter Aufsicht mit der Rute züchtigen. Relativ spät und nach vielem Widerstand kam auch die Kartoffel ins Saanenland und wurde zum Hauptnahrungsmittel. «Die Saaner waren nicht kartoffelfreundlich, sie wollten mit dem ‹neuen Zeugs› nichts zu tun haben», erzählte Hauswirth.

1312 wurde erstmals der Saanen Käse erwähnt. «Es handelte sich um eine Art Fettziger und erst sukzessive ist im Verlauf des 15. Jahrhunderts der Hartkäse entstanden, hergestellt mit Lab.» Die Saaner seien als Käseproduzenten besonders erfolgreich gewesen, wie das Zitat aus der Stumpf-Chronik von 1548 beweist: «dies land erhaltet aus der massen vil vychs (Vieh) und machet den allerbesten käs, so in aller Helvetia funden wurdend …»

Kirschbaumland
«Das Saanenland war auch ein Kirschbaumland», erklärte der Buchautor. Ein wichtiges Produkt war der Kirschmus. Der sei sehr gut haltbar und für den Vorrat geeignet. «Bereits 1616 wird Kirschmus erwähnt, ein Mass kostete neun Batzen und war damit etwa dreimal teurer als Wein.» Der Kirschmus ist eine wichtige Grundlage für die Herstellung von Saanensenf, der nach Kenntnissen von Benz Hauswirth in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erwähnt wird. «Sicher wurde er schon vorher hergestellt, aber wir halten uns an die schriftlichen Quellen.» Im Buch gibt es auch ein Rezept. Es sei ihm bewusst, dass es unzählige Rezepte gebe und er wolle auf keinen Fall einen Senf-Krieg auslösen, meinte er schmunzelnd.

«Eine Saanenland-Geschichte»
Über das Saali, den Auslöser für das Buch, schreibt der Autor: «Das Saali liegt an einem mittelalterlichen Weg zwischen Schönried und Saanen. Das Wohnhaus von 1708, alte Scheunen, ein Sodbrunnen, eine mächtige Linde und Obstbäume bilden eine wertvolle Baugruppe, die das Orts- und Landschaftsbild eindrücklich prägt. Auf dem Saali lebten die ‹von Siebenthal›, welche die Politik der Landschaft Saanen im 18. und 19. Jahrhundert mitprägten.»

Nach seinen Ausführungen bedankte sich Benz Hauswirth bei allen, die zum guten Gelingen des Buches beigetragen haben, vorab Familie Best aus Genf. Sie habe es ermöglicht, den Hintergrund der Saali-Liegenschaft und zu den darin gefundenen Geräten aufzuarbeiten. «Es ist deshalb eigentlich eine Saanenland-Geschichte und nicht einfach nur eine Saali-Geschichte.» Zum Dank überreichte er dem Ehepaar einen sogenannten kombinierten Nutund Federhobel. Frank Müller schloss sich dem Dank an und schenkte dem Ehepaar ein altes Werbeposter von Gstaad. «Es lohnt sich, das Buch anzuschauen, es enthält tausende Informationen», so Müller.

Buchtitel kein Zufall
Wie er Benz Hauswirth kenne, sei der Titel des Buches – «Saanenland, eine Geschichte – eine Zukunft» – kein Zufall, sagte Gemeindepräsident Toni von Grünigen in seinem Grusswort von der Gemeinde. «Das Saanenland hat eben nicht nur eine Geschichte, es ist eine Geschichte, eine besondere und eine erfolgreiche.» Der Autor zeige in seinem Buch beides. «Der Graf von Greyerz erwartete von den Saanern zukünftige Steuereinnahmen. Ein Zeichen, dass es den Saanern schon zu dieser Zeit wohl recht gut ging.» Dies sei eine gewisse Parallele zur heutigen Zeit. «Insbesondere wenn wir an die rund 100 Millionen Franken denken, die unsere heutige Obrigkeit, der Kanton Bern, als Steuereinnahmen in der Gemeinde Saanen einkassiert.» Und wenn man an die Spardebatte denke, sei dies sicher ein willkommener Zustupf in die Kantonskasse. «Das Buch liefert uns auch den Beweis, dass unsere Geschichte viel mit der Landwirtschaft zu tun hat.» War es in früheren Zeiten vor allem der Käse- und Viehexport, der das Geld ins Tal gebracht habe, seien es heute zusätzlich die gepflegte Landschaft, die gelebten Traditionen und somit «unsere Glaubwürdigkeit, die zu unserem Wohlstand beitragen». Für Benz Hauswirth sei Geschichte aber nicht nur Vergangenheit, sondern auch Zukunft. Hauswirth sei 1992 nicht als Archivar oder Geschichteschreiber bei der Gemeinde Saanen angestellt, sondern als Verantwortlicher für die Raumplanung, «als Planer für unsere Zukunft». Als damaliges Mitglied der Planungskommission erinnere er sich sehr gut an die Verbindungen, die Benz Hauswirth zwischen Geschichte und Zukunft gemacht habe, aber auch zwischen Geschichten und Zukunft. «Dank diesem Buch haben wir Gelegenheit, Gegenstände und Tätigkeiten aus unserer Gemeinde zu kennen.»

Das Buch trage zur Ermutigung bei, die Verantwortung und Werte an die nächsten Generationen weiterzugeben, betonte Nationalrat Erich von Siebenthal. Im Jahr 1693 sei Johannes von Siebenthal auf dem Saali zur Welt gekommen, schreibt er in seinem Grusswort. «Er interessierte sich für Neues und war um das Wohlergehen seiner Mitbürger bekümmert. Wegen seiner Wertschätzung und seiner Nähe zum Volk wurde das Saalihaus immer öfter aufgesucht, um in Nöten und Konflikten Ratschlag zu finden. So versah Johannes von Siebenthal verschiedene Ämter, von denen jenes als Kastlan die Krönung darstellte.» Dank seinem Sinn für Gerechtigkeit hätten immer wieder Menschen – unabhängig von ihrer Stellung – mit neuer Hoffnung und gestärkt die einmalig hergerichtete Amtsstube im Saalihaus verlassen.

Musikalisch umrahmt wurde die Vernissage von der Kapelle Toni Hählen und der singenden Säge und anschliessend waren die Vernissagebesucher zu Saaner Spezialitäten – inklusive Saanensenf und «Mählrost» – eingeladen.

«Saanenland, eine Geschichte – eine Zukunft» Das Buch kostet 49 Franken und ist erhältlich in der Buchhandlung Au Foyer in Saanen, im Museum der Landschaft Saanen, bei Cadonau Papeterie in Gstaad, bei Müller Medien AG in Gstaad sowie bei der Papeterie Pfander in Zweisimmen. ISBN 978-3-907041-70-3


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