Sind Elektrofahrzeuge besser als ihr Ruf?

  31.05.2019 Region

Zu geringe Reichweiten, zu schmutzig in der Herstellung, zu lange Ladezeiten, im Winter bleiben sie stehen und ihre Akkus sind Sondermüll. Argumente gegen Tesla und Co. gibt es viele, doch sind sie begründet und entsprechen sie dem aktuellen Stand der Technik?

KEREM S. MAURER
Nur gerade 1,7 Prozent der in der Schweiz zugelassenen Fahrzeuge fahren rein elektrisch. Damit reihen wir uns in Europa hinter Norwegen, Niederlanden, Schweden, Österreich und Portugal auf Platz 6 ein. Marktleader bei uns ist der Kleinwagen Renault Zoé mit 908 Zulassungen im letzten Jahr (siehe Kasten Seite 5). Seit 2008 wurden in der Schweiz knapp 23’000 Elektrofahrzeuge immatrikuliert, das heisst im Jahr 2018 kam ein Elektrofahrzeug auf 439 Einwohner. Geht es nach den grossen Automobilherstellern ist die Zukunft der Mobilität elektrisch. Die Renault-Gruppe, nach eigenen Angaben seit vier Jahren in Europa führend im Verkauf von Elektrofahrzeugen, kurz BEV (Batterie Electric Vehicle), will bis 2022 die Palette der batteriebetriebenen Fahrzeuge auf acht Modelle erweitern und ihr Anteil an den Gesamtverkäufen auf 10 Prozent steigern. Dies lässt sich der französische Autokonzern eine Milliarde Euro kosten. Die Elektrooffensive der Volkswagen AG soll mit einem Portfolio bestehend aus 50 Fahrzeugen und Investitionen in der Höhe von 30 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren ins Rollen kommen, wie der Konzern auf Anfrage bekannt gibt. Die Zukunft auf unseren Strassen scheint damit elektrisch zu werden. BEV fahren auf unseren Strassen absolut emissionsfrei: Sie verursachen weder Lärm noch Abgase. Sind sie deswegen wirklich sauberer? Nein, sagen die Gegner und argumentieren, die Umweltbelastungen würden einfach ins Ausland verschoben. Ein Elektrofahrzeug könne die Umweltbelastungen, die bei der Herstellung seiner Lithium-Ionen-Batterie entstehen, nicht kompensieren. Stimmt das?

Offenbar tatsächlich sauberer
Forscher des Paul Scherrer Instituts (PSI) in Villigen AG haben die Klimabilanz eines BEV in einem Life-Cycle-Assessement (Diss. ETH No: 25081) unter die Lupe genommen. Darin berücksichtigten sie die Herstellung der Batterie und auch des Stroms, mit dem das BEV betrieben wird. Sie analysierten sämtliche Umweltauswirkungen, die beim Betrieb und der Entsorgung jedes einzelnen Bauteils eines BEV anfallen und haben herausgefunden, dass Elektrofahrzeuge tatsächlich sauberer unterwegs sind als Autos mit Verbrennungsmotoren. Das PSI kommt zum Schluss, dass hierzulande, wo der Strommix aus der Steckdose einen relativ hohen Anteil aus erneuerbaren Energien aufweist – man spricht von etwa der Hälfte – ein BEV rund 50’000 Kilometer fahren müsse, um die bei seiner Herstellung verursachten Umweltschäden zu kompensieren. Das deutsche Fraunhofer Institut weist in einer Studie daraufhin, dass BEV im Vergleich zu Verbrennungsmotoren in der Herstellung höhere Umweltbelastungen generierten, was insbesondere Batterie und Antriebsstrang betreffen. Dafür würden seltene Erden wie Neodym und Dysprosium verwendet, welche in der Natur nur in geringen Mengen vorkämen und sowohl in der Gewinnung wie auch in der Verarbeitung viele Arbeitsschritte und viel Energie benötigten. Doch auch dieses Institut schlussfolgert, dass ein in Deutschland gekauftes BEV über seine durchschnittliche Nutzungsdauer von 13 Jahren hinweg eine deutliche Treibhausgasersparnis gegenüber Autos mit Verbrennungsmotoren aufweise. Die Spannweite der Einsparung reiche von 28 Prozent bei einem Oberklassewagen Diesel bis zu 42 Prozent gegenüber einem Kleinwagen Benziner. Dies unter Berücksichtigung des deutschen Strommixes mit Braunkohlestromanteil. Beiden Instituten zufolge haben BEV eine bessere Ökobilanz als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, je nach dem wie lange sie gefahren werden. BEV-Gegner verweisen oft auf unmenschliche Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit und Raubbau im Zusammenhang mit der Primärgewinnung von Kobalt und Lithium. Von Letzterem sollen über zwölf Kilogramm in jeder Autobatterie stecken, hält das deutsche Öko-Institut e.V. fest, und die Gewinnung desselben sei nicht ohne.

Industrieller Abbau und Menschenrechte
Für die Gewinnung von Lithium, das laut dem Deutschen Öko-Institut grösstenteils aus Salzseen in Bolivien, Chile oder Argentinien stammt, wird salzhaltiges Grundwasser an die Oberfläche gepumpt, um Lithium aus dem Gestein zu spülen. Danach lasse man das Wasser wieder versickern. Dennoch sei die Umweltbelastung bei der Förderung durch Staub und Wasserentnahme gross. Ebenso heikel ist es beim Kobalt, das etwa zur Hälfte in der Demokratischen Republik Kongo abgebaut werde. Unter welchen Bedingungen geschieht das?

Dazu die Automobilhersteller: Roswitha Brunner, Group Communication von der AMAG Group, versichert auf Anfrage, dass VW derzeit nur industriell abgebautes Kobalt für seine Batterien verwende und ausschliesslich mit Lieferanten und Unterlieferanten zusammenarbeite, die sicherstellten, dass das Material nicht aus zweifelhaften Quellen stamme. Grundsätzlich toleriere VW keine Menschenrechtsverletzungen. Die VW-Richtlinien enthielten ein striktes Verbot jeglicher Form von Kinder- und Zwangsarbeit bei der Gewinnung von Kobalt. «Volkswagen ist Teil der ‹Responsible-Minerals-Initiative›, um eine weltweite Standardisierung von Bewertungsmethoden für ‹sauberes Kobalt› aus zertifizierten Bergwerken zu definieren», betont Brunner und ergänzt: «Unternehmen, die Kobalt aus kleinen illegalen Minen beziehen, gelangen nicht in die Lieferkette von Volkswagen.» Auch die Renault-Gruppe verweist in diesem Zusammenhang auf seinen Zulieferer (in Europa: LG Chem), der verpflichtet sei, sich an die Renault-Ethik-Charta zu halten und die lückenlose Rückverfolgbarkeit von Kobalt und Lithium sicherzustellen. Marc Utzinger, Kommunikationsattaché bei Renault Suisse SA: «Dank den Anstrengungen von LG Chem und unseren Kontrollen können wir versichern, dass Kobalt und Lithium in zertifizierten Minen abgebaut werden, die sich vollumfänglich an alle gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien halten, dazu zählen selbstverständlich auch die UNO-Menschenrechte.» Und wie ist das nun mit den Batterien, sind die wirklich Sondermüll und müssen in einem Bunker vergraben werden?

97 Prozent aller Wertstoffe werden recycelt
Tesla hat nach eigenen Angaben bereits einen geschlossenen Batteriekreislauf mit der Firma Umicore für ihre Akkus entwickelt. Doch bevor ausgediente Akkus recycelt werden, fristen diese als Energiespeicher ein zweites Dasein in sogenannten Second-Life-Projekten. Nadine Hauschildt, Referentin Kommunikation bei Umicore AG & Co. KG, teilt auf Anfrage mit, dass sie Recyclingservices für Akkus mit Lithium-Ionen und Nickel-Metallhybriden aus unterschiedlichen Anwendungen anbieten. «Aus diesen Batterien werden wertvolle Metalle gewonnen, die in ihrer reinsten Form recycelt und in aktive Kathodenwerkstoffe für die Produktion neuer wiederaufladbarer Batterien umgewandelt werden können.» Dies gelte auch für Kobalt, wofür dieses Recycling eine umweltfreundliche Quelle darstelle. Für Renault sind «Umweltschutz und ein schonender Umgang mit den Ressourcen zentrale Punkte», so Marc Utzinger. Da die Mehrheit der Renault-Kunden die Batterie lease statt kaufe, bleibe Renault in deren Besitz, wodurch sie ihren Batteriekreislauf selber überwachen könnten. Dieser beinhalte die Herstellung von langlebigen Batterien genauso wie die Eröffnung von eigenen Batterie-Reparaturzentren, von denen eines in den kommenden Wochen in der Schweiz eröffnet werde. Auch Renault setze auf verschiedene Second-Life-Projekte von Batterien als Energiespeicher. Könne eine Batterie nicht mehr weiterverwendet oder repariert werden, werde sie fachgerecht recycelt. Gleiches gilt für VW. «Wir prüfen, ob Batterien sich für die Zweitnutzung in neuen Produkten wie der flexiblen Schnellladesäule eignen», teilt Roswitha Brunner mit. Für VW bildet eine Lithium-Ionen-Batterie am Ende ihrer Einsatzzeit «eine wahre Fundgrube für die Weiterverwendung teils knapper Rohstoffe». Am Komponentenstandort in Salzgitter (D) sollen ab 2020 jährlich bis zu 1200 Tonnen Batterien recycelt werden. Neben der Rückgewinnung von Aluminium, Stahl und Kupfer liege der Fokus auf wiedereinsatzfähigem Nickel, Mangan und Kobalt mit dem Ziel, 97 Prozent aller Wertstoffe weiterzuverwenden. Auch würden sie Batterien aus Konsumgütern wie Computern oder Mobiltelefonen recyceln.

Weiter und länger als man denkt
Laut einem Artikel der «Neuen Zürcher Zeitung» im April 2018 hat eine Gruppe von niederländischen und belgischen Tesla-Fahrern im Selbsttest herausgefunden, dass sich die Batterien ihrer Fahrzeuge über die Laufzeit weniger abbauen als erwartet. Eine Umfrage bei 350 Tesla-Fahrern, die mit Panasonic-Akkus unterwegs waren, habe ergeben, dass die Akkus nach durchschnittlich 80’000 Kilometern Laufleistung nur gerade fünf Prozent ihrer Kapazität eingebüsst hätten. Zudem nehme die Leistung bei längeren Laufzeiten noch langsamer ab. Der niederländisch-belgische Tesla-Club errechnete, das die meisten Teslas nach rund 300’000 Kilometern noch immer 90 Prozent ihrer Batterieleistung aufweisen und nach 800’000 Kilometern noch immer 80 Prozent. Hierfür spricht, dass Tesla für sein Model 3 bei den stärkeren Akkus eine Kapazität von 70 Prozent bis zum Erreichen von 190’000 Kilometern garantiert und beim kleineren Batteriepaket bis zu 160’000 Kilometer. Nissan garantiert beim Modell Leaf nach 160’000 Kilometern noch immer 66 Prozent Batteriekapazität. Und Renault verweist auf ihr Batterie-leasen-statt-kaufen-System und verspricht: Werde die Mindestkapazität von 75 Prozent unterschritten, werde die Batterie kostenlos gegen eine neue ausgetauscht. Offensichtlich halten die Akkus länger als allgemein angenommen wird. Und wie ist das mit den Reichweiten? Aktuell gibt es viele Modelle, die eine Reichweite von etwa 300 Kilometern erreichen. In Zukunft würden vermehrt BEV mit Reichweiten von 300 und mehr Kilometern auf den Markt kommen, zeigt sich Swiss E-Mobility auf Anfrage überzeugt. Man sollte aber beachten, dass durchschnittlich im Alltag nur rund 32 Kilometer täglich gefahren werden. Dafür seien auch Fahrzeuge mit kleineren Batterien und geringeren Reichweiten völlig ausreichend. Zu beachten sei, dass sich bei Temperaturen unter null Grad die Bewegungen der Ionen im Akku verlangsamen und damit auch die chemischen Reaktionen. Folglich dauert das Aufladen etwas länger und die Reichweite verringert sich. Ebenso geht der Strom für die Heizung im Fahrzeuginnenraum zulasten der Reichweite. Dank dem tiefen Schwerpunkt und der präzisen Motorsteuerung verfügen BEV jedoch über gute Fahreigenschaften bei kalten Temperaturen und im Gelände. Durch das Rekuperationsverfahren wird beim Bremsen und beim Bergabfahren bei allen BEV Energie zurückgewonnen, was sich hingegen wieder positiv auf die Reichweite auswirkt. Die Frage, ob ein BEV im hügeligen Gelände wie dem Saanenland und dem Obersimmental eine zuverlässige Wahl sei, wird von Swiss E-Mobility ganz klar mit Ja beantwortet.

Reicht denn der Strom?
Die Autoindustrie will den Anteil an Elektrofahrzegen in den kommenden Jahren massiv steigern. Wie sieht es dann mit dem Strom aus? Gibts genug davon? Die BKW sagt Ja und verweist auf die Energiestrategie 2050, wonach die Energieeffizienz gesteigert und der Ausbau erneuerbarer Energien gefördert werden. Der Strom soll dann hauptsächlich aus Wasser-, Wind- und Solarenergie kommen. Die BKW bereite ihr Netz für eine Zukunft vor, in der Strom vermehrt unregelmässig und dezentral anfalle und obschon das Stromnetz zeitweise stark ausgelastet sei, habe es noch Kapazität für weitere Verbraucher wie zum Beispiel die Elektromobilität. Der Berner Energiekonzern rechnet mit einer Zunahme der Elektromobilität und berücksichtigt diese in ihrer Netzplanung und realisiert seit einigen Jahren neue Kraftwerke nur noch im Bereich von erneuerbaren Energien. Die Elektromobilität soll in Zukunft nicht nur ein Energiebezüger sein, sondern auch als Energiespeicher genutzt werden. Dazu kommt, dass heute schon viele Elektrofahrer mit eigenen Fotovoltaikpanels auf ihren Garagen den Strom für ihre BEV selber produzieren. Tendenz steigend.

Teuer und auf den Hund gekommen
In der Anschaffung kosten BEV derzeit (noch) mehr als Autos mit Verbrennungsmotoren in vergleichbarer Grösse und Stärke. Anders in ihrem Unterhalt. Ein BEV habe deutlich weniger Verschleissteile als ein Verbrennungsmotor, folglich könne nicht soviel kaputt gehen, sagt ein überzeugter Tesla-Fahrer, der viel im Saanenland unterwegs ist. Auch seien sie günstiger, was die Strassenverkehrsabgabe betreffe, bestätigt das zuständige Amt in Bern auf Anfrage und gibt an, dass ein BEV in den ersten drei Jahren seiner Inverkehrssetzung von einem 60 Prozent Rabatt profitiere. Ab dem vierten Jahr würden sie, wie alle anderen Fahrzeuge im Kanton Bern auch, nach Gewicht besteuert. Und dann sind sie wohl wegen des hohen Gewichtes ihrer Batterien teurer als ihre Verbrennungskollegen in vergleichbarer Grösse. Wer jetzt bei all den Argumenten pro und kontra Elektromobilität auf den Hund gekommen ist, der sei getröstet. Auch in diesem Punkt hat zum Beispiel Tesla eine Lösung parat: Ist man gezwungen, seinen Hund im Fahrzeug an der Sonne stehenzulassen, gibt es eine Hunde-Sitting-Funktion. Ist diese aktiviert, wird der Innenraum auf angenehme 20 Grad gekühlt und auf dem grossen Display im Cockpit steht, für Personen ausserhalb des Fahrzeugs deutlich erkennbar, dass der Innenraum für den Hund angenehm klimatisiert sei. Wirkt sich zwar negativ auf die Reichweite aus, wie alles, was in einem BEV Strom braucht, nützt aber dem Hund und soll militante Tierschützer davon abhalten, die Autoscheibe einzuschlagen und den Hund zu befreien. Demnach scheinen Elektrofahrzeuge doch besser zu sein, als ihr Ruf!


ÖFFENTLICH ZUGÄNGLICHE LADESTATIONEN 2018

– Weniger oder gleich 22kW: 4422 Ladestationen normal
– Mehr als 22kW: 775. Die Anzahl von Schnellladestationen pro 100km Autobahn sind von 2 (2013) auf 56,9 (2018) angestiegen.

KEREM S. MAURER


DIE ERFOLGREICHSTEN ELEKTRO-AUTOS 2018

Nach Immatrikulationszahlen:
Renault Zoé: 908 Stück, aktueller Listenpreis: ab 25’650 Franken
Tesla Model S: 836 Stück, aktueller Listenpreis: ab 107’090 Franken
BMW i3: 765 Stück, aktueller Listenpreis: ab 37’550 Franken
Tesla Model X: 624 Stück, aktueller Listenpreis: ab 106’100 Franken
Nissan Leaf: 426 Stück, aktueller Listenpreis: ab 42’990 Franken

Weniger erfolgreich sind Renault Kangoo (2), Mercedes Benz B (8), Citroën C-Zero (33), VW e-up! (34) und Smart EQ forfour (38).
Quelle: Watson


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