Bergführer und Familie – geht das?

  29.10.2019 Gstaad

Der Bergführerverein Gstaad-Lenk feiert heuer sein 100-Jahr-Jubiläum. Deshalb gibt er Einblick in sein tägliches Schaffen und in geschichtliche Begebenheiten. In dieser Ausgabe erzählt Bergführer Beat Blum über den Spagat zwischen Beruf und Familie.

Die Unabhängigkeit und Freiheit in der Arbeit, der Kontakt mit vielen interessanten und lieben Menschen, die Leidenschaft und Begeisterung für die wilden und unberührten Gebirgslandschaften und natürlich die Freude an der Bewegung in der Natur, das waren am Anfang meiner Bergführertätigkeit die Motivation für die Ausübung dieses Berufes. Andere, eigentlich noch wichtigere Argumente wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die lange Abwesenheit von Heim und Familie und Einkommenssicherheit, um eine Familie versorgen zu können, hatten mich damals noch nicht allzu sehr interessiert. Als es dann aber mit der Familiengründung so weit war, erkannte ich bald einmal die besonderen Schwierigkeiten, die sich mit diesem neuen Lebensabschnitt verbanden.

Was machen die Kinder?
Mit meinem Bergführerkollegen Hansueli habe ich diesbezüglich eine kleine Geschichte erlebt. Zwei unserer Kinder waren in derselben Sekundarschulklasse eingeteilt, gleich nach dem Übertritt von der Primarschule. Zufällig traf ich Hansueli im Sommer auf einer SAC-Hütte, wo wir nachmittags nach der Tour auf der Hüttenterrasse beim Bier auf unsere Kinder zu sprechen kamen. Dieses Thema gab aber nicht sehr viel her, da wir beide bald einmal merkten, dass wir weder wussten, wer der neue Klassenlehrer unserer Kinder sein würde, noch in welche Klasse genau sie eingeteilt waren ... Also drehte sich unser Gespräch bald wieder um unverfänglichere Themen wie Bergsteigen, Berge, Gletscher oder vielleicht auch noch Hüttenwarte oder so ähnlichen Dingen, bei denen wir auch wirklich viel zu erzählen hatten!

Was ich damit ausdrücken will, ist, dass all die kleineren oder grösseren Begebenheiten und Alltagssorgen der Kinder, alle diese organisatorischen Dinge, die der Alltag einer Familie mit sich bringt, und auch viele in meiner Abwesenheit mit den Kindern getroffene Abmachungen und geführte Gespräche nur meine liebe Frau Claudia betroffen haben. Sie war über all die Jahre die erste Bezugsperson für die Kinder und die Familienmanagerin schlechthin und ich bin ihr sehr dankbar für alles, was sie in meiner Abwesenheit immer geleistet hat. Sie konnte aber von Anfang an auf die Hilfe und Unterstützung von den Grosseltern, Göttis, Gotten, Freunden und Nachbarn zählen, so dass der Familienbetrieb nicht nur auf ihren Schultern lastete.

In der Zwischensaison oft zu Hause
Zum guten Glück gibt es aber auch noch eine Zwischensaison, das heisst, von Mitte Mai bis Ende Juni sowie im Oktober, November und Dezember gibt es hier im Alpenraum nicht viel Arbeit für uns Bergführer. Nicht wenige meiner Bergführerkollegen arbeiten in diesen Monaten für Trekkingtouren und Expeditionsbergsteigen im Himalayagebirge, in Südamerika und Afrika, um nur die wichtigsten Destinationen zu nennen. Um mehr Zeit für die Familie zu haben, bin ich selber in der Zwischensaison immer zu Hause geblieben und habe dann versucht, meine oben genannten «Familiendefizite» wieder abzubauen.

Oft habe ich in der Zwischensaison eine Arbeit in einem Betrieb im Saanenland gefunden, ich bin sehr froh, dass es so flexible Arbeitgeber gibt, die mir – manchmal sehr kurzfristig – einen Platz zum Geldverdienen angeboten haben.

Skitouren im Saanenland
Ein weiterer glücklicher Umstand ist das gute Skitourenangebot im Saanenland und ebenso die dafür benötigte gute Gästeschaft unserer Region. Dies ermöglicht mir auch immer, bis etwa Mitte/Ende Februar von zu Hause aus mit ortsansässigen Feriengästen Skitouren zu unternehmen, bevor im März die Skihochtourensaison beginnt.

Wichtig: Gemeinsame Familienferien
In unseren gemeinsamen Familienferien konnte ich dann ebenfalls viel von alldem, was ich zum Beispiel im vorangehenden Sommer von den Kindern nicht mitbekommen hatte, nach und nach wieder erfahren. Oft habe ich von den Kindern den Satz gehört: «Was, Papa, hast du denn wirklich nicht gewusst, dass ich schon lange nicht mehr Krankenschwester werden will?» Oder: «... dass mein neues Fahrrad, das meine Paten mir geschenkt haben, doch nun schwarz ist und nicht mehr gelbblau wie mein altes, das wir unseren Nachbarn weitergegeben haben?». Gemeinsame Ferien waren für den Zusammenhalt und die Einheit unserer Familie, so glaube ich heute, ein sehr wichtiger Punkt. So haben wir sie alle (trotz manchmal zu Beginn aufgetretenen Reibereien, weil wir uns wieder aneinander gewöhnen mussten) immer sehr genossen und am letzten Ferientag sind wir alle heute noch traurig, wieder zurück in den Alltag gehen zu müssen!

Heimkommen
Schaue ich heute zurück auf meine 16 Jahre als Familienvater, so fällt meine Bilanz trotz allen Schwierigkeiten positiv aus. Aber das auch nur dank des grossen Engagements meiner Frau. Sie hat mehrheitlich die Kinder erzogen und unser Zuhause zu einem gemütlichen und heimeligen Ort gemacht, in den ich über so viele Jahre nach jeder Bergtour immer so gerne heimgekomme.

Wie die Kinder, als sie noch kleiner waren, mich bei meiner Heimkehr jeweils überschwänglich begrüssten und dabei an mir hochsprangen, um in meine Arme zu gelangen, so dass ich nicht einmal dazu kam, meinen schweren Rucksack abzustellen, werde ich wohl mein Lebtag lang nie vergessen!

Was sagt die Familie?
Wir, Annkristin, Lukas und Claudia, sind uns einig: unser Familienalltag ist für uns normal! Wir sind es mittlerweile gewohnt, voneinander Abschied zu nehmen und uns auf das nächste Zusammensein zu freuen. Wenn das Wochenprogramm nicht so abläuft, wie es geplant war, führt dies (meistens) zu keinen grossen Diskussionen. Unser Familienalltag ist immer wieder anders, nicht nur wegen Papas Abwesenheiten, er kann auch wegen dem Wetterbericht oder spontanen Anfragen/ Absagen von Gästen kurzfristig ändern. So werden Tage plötzlich frei für Familiendinge, der umgekehrte Fall kann natürlich auch eintreffen, und wir unternehmen etwas zu dritt statt wie – vorgesehen – zu viert. Das gehört zu einem Bergführerleben und ist für uns so normal, wie es für andere Familien in ihrem Alltag auch ist.

Dank Beats Arbeit haben wir auch viele Menschen im In- und Ausland kennengelernt. Einige von Beats Gästen und Bergführerkollegen sind zu Familienfreund/innen geworden und wegen einem Bergführerkollegen in Vallouise sind wir zum Beispiel zu einer der schönsten Ferienwohnungen in ganz Frankreich gekommen!

Oft werden wir gefragt, ob wir denn nicht Angst um Beat hätten, wenn er so viel Zeit in den Bergen verbringt und wir können dies – glücklicherweise – verneinen. Immer in Angst zu leben, wäre für uns nicht vorstellbar und kein erstrebenswerter Zustand und für Beat wäre es schwierig, seinen Beruf auszuüben, wenn er wüsste, dass wir zu Hause seinetwegen in Angst und Kummer leben. Und doch – ehrlich gesagt – ist uns die Zwischensaison natürlich schon die liebste Familienzeit im Jahr...

BEAT BLUM, BERGFÜHRER, LAUENEN


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