Ändern wird sich nichts

  27.11.2020 Leserbeitrag

Auf der ganzen Welt atmeten die Menschen Anfang November auf: Selten hat eine Präsidentenwahl auf der ganzen Welt so viel Aufmerksamkeit bekommen wie der Kampf von Donald Trump um eine zweite Amtszeit.

Trump hat den Kampf verloren, Joe Biden wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Auch wenn er sich noch windet und mit wirren Anschuldigen um sich wirft, spätestens Anfang Januar wird Präsident Trump (mindestens für die nächsten vier Jahre) Geschichte sein.

Interessant ist an diesen Wahlen vor allem, wie emotional man diese auch ausserhalb der USA verfolgt hat. Leute jubelten in Europa, Afrika und Asien, als die grossen Fernsehsender den Sieg von Joe Biden verkündeten. Trump hat sich mit seinem Stil sehr unbeliebt gemacht, er hat staatsmännisches Verhalten nicht nur verachtet, sondern sich aktiv und bewusst darum foutiert. Viele Medien haben sich darauf eingeschossen, Trumps Lügen und Beleidigungen systematisch zu erfassen und zu veröffentlichen. Das hat Wirkung gezeigt – aber nur im Ausland. Trump gilt gerade im europäischen Ausland als Persona non grata. In den USA selbst hat diese Berichterstattung wohl sehr wenig Trump-Wähler zur Umkehr bewogen.

Und der Grund, dass Trump in seinem eigenen Land anders wahrgenommen wird, hat nichts damit zu tun, dass die Leute dort dümmer, ignoranter oder aggressiver sind. Der Grund für diese andere Wahrnehmung liegt im politischen System der USA.

Sie haben vermutlich im Laufe der letzten Wahl auch etwas vom Wahlprozess mitbekommen: Das System ist unglaublich kompliziert und an die 200 Jahre alt. Es ist auf die Bedürfnisse der Amerikaner des ausgehenden 18. Jahrhunderts ausgerichtet. So findet die Wahl nach der Erntezeit statt, damit auch die Bauern zur Wahlstätte pilgern können. Es wird nicht direkt ein Präsident gewählt, weil die Bundesstaaten in den USA wie die Kantone in der Schweiz föderalistisch organisiert sind. Und in diesem Zusammenhang wählt auch nicht die Gesamtheit der Bürger den Präsidenten, sondern die in den Bundesstaaten gewählten Wahlmänner. «The winner takes it all» heisst dieses Prinzip. Es kann dazu führen, dass – wie Trump 2016 – jemand Präsident wird, der gesamtheitlich weniger Wählerstimmen auf sich vereinen kann als der Kontrahent.

Das ist nur ein kurzer Abriss des politischen Systems in den USA. Nur schon diese wenigen Informationen zeigen aber auf, dass das System a) unglaublich kompliziert, b) nicht auf die heutigen Verhältnisse angepasst und c) nicht fair ist. Das merken natürlich die Amerikaner stärker als wir. Und sie sind über die Absurdität des Gesamtsystems so frustriert, dass sich das über die letzten Jahrzehnte in einer tiefen Enttäuschung über alles Politische manifestiert hat. Das sogenannte Establishment ist vielen zuwider. Und nur weil Trump eben lange nicht Teil dieses Systems war, hat er auch heute noch sehr viel Rückhalt in der Bevölkerung. Das ist verständlich, denn nur mit unglaublichen Anstrengungen kann in diesem System überhaupt etwas geändert werden. Es ist nicht verwunderlich, dass gerade die Bevölkerungsteile das ändern wollen, welche völlig unterprivilegiert sind.

Allerdings, und das ist die demotivierende Botschaft, ist nicht zu erwarten, dass das System bald revidiert wird. Auch Joe Biden wird das nicht ändern wollen. In der Geschichte der USA wählen sich Demokraten und Republikaner ziemlich regelmässig an der Macht ab. Und immer die Partei, die gerade Oberwasser hat, wird am System nichts ändern wollen, um ihre Ideen durchzusetzen. Der Stillstand in den USA hat System, auch weil Änderungen vielfach Zweidrittelmehrheiten im Parlament bedingen. Und die sind bei einem Zweiparteiensystem nicht zu bekommen.

Joe Biden wird also mit Sicherheit ein unendlich viel besserer Staatsmann als Donald Trump sein. Dass damit aber auch tatsächliche Veränderungen bei den Lebensbedingungen einhergehen, ist aber fast unmöglich.

SEBASTIAN DÜRST
[email protected]


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