Etwas zu nahe an Disneyland

  27.04.2021 Leserbriefe

Einen kritischen Blick auf eine Ziege zu werfen, die offenbar rundum beliebt ist, dürfte als missgünstiges Gemecker aufgenommen werden. Da mich die Aussagen im Artikel «Die Reaktionen sind ausschliesslich positiv. Jung und Alt freuen sich an der Figur» (Zitat) zum Widerspruch gereizt haben, wage ich es trotzdem, einen Kommentar zu schreiben.

Keine Frage, die Zeiten sind für den Tourismus hart, dabei schlägt sich das Saanenland tapfer. Neue, innovative Ideen sind willkommen. Diese Ideen kreisen meistens um den Begriff «generieren»: Sie sollen für Spass, Aufmerksamkeit, Mehrwert und letzten Endes für mehr Umsatz sorgen. Eine solche Idee ist auch «Saani aus Saaniland». In der Schweiz tappen etliche – mehr oder weniger lustige bis infantile – Maskottchen mit Namen wie Moritz, Cheesy, Fröneli oder Loichi durch Tourismusorte, Stadien und Sportanlässe. Da darf das Saanenland offenbar nicht abseits stehen, dabei wäre ein Verzicht schon fast ein Alleinstellungsmerkmal. Die bekanntesten Tiere des Saanenlands, die Simmentaler Kühe, sind seit langer Zeit schon «Werbeträger» für die Region, sei es bei den alljährlichen Alpabzügen, durch ihre Präsenz auf den Weiden oder z.B. auch in Scherenschnitten. Das ist gut so und die Würde der Tiere wird dabei respektiert. So hat wohl auch niemand etwas dagegen, wenn mit der Saanegeiss respektvoll Werbung betrieben wird, auch kann sie für Kinder eine geeignete Leitfigur sein. In weiten Teilen der Schweizer Bevölkerung ist das Bewusstsein für den respektvollen Umgang mit der Tierwelt und für eine intakte Natur in den letzten Jahren stark gewachsen und wird an Bedeutung zunehmen. Eine langfristige, nachhaltige Werbung könnte da ansetzen. Deshalb halte ich die Idee, die liebenswerte Saanegeiss nun ebenfalls zu einem überdimensionierten Maskottchen zu machen, für nicht besonders gut. Diese Form von populistischer Werbung scheint mir dem angestrebten Image des Saanenlands zu widersprechen. Die Region lässt den schweizerischen Durchschnitt mit zurückhaltendem Auftreten («Come up, slow down!»), mit attraktiven, international geprägten Kultur- und Sportanlässen für alle Schichten und Bedürfnisse und mit hochstehender Hotellerie für alle Budgets hinter sich. Dazu trägt dieses Maskottchen meines Erachtens nichts bei. Ganz abgesehen davon, dass die erwähnte Würde des Tiers übergangen wird – es wird zur läppischen Kunstfigur mit Schneebrille degradiert. Saaniland liegt für mich etwas zu nahe an Disneyland.

HANS RUEDI WEHREN, BASEL/GSTAAD


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