RANDNOTIZ

  28.01.2022 Leserbeitrag

«Etz mach halt ämal!»

KEREM S. MAURER
Es ist doch noch gar nicht so lange her, da zog der Samichlaus durch das Saanenland und belohnte folgsame Kinder für ihr Artigsein. Ich kann mir zwar kaum vorstellen, dass sich ein Samichlaus in der heutigen Zeit noch getraut, fremde Kinder zu bestrafen – so richtig mit Fitze und so, oder sie gar in seinen Sack steckt und verschleppt. Jesses nei! Dabei hat gerade die Folgsamkeit, auch unter Erwachsenen, in den letzten beiden Jahren eine neue Dimension erreicht. Sie wissen schon: Trage Maske, halte Abstand, bleib zu Hause, geh testen, lass dich impfen, tu dieses und mach jenes!

Da kommt mir mein Hund Bahdro, ein Tibetspaniel im besten Alter, in in den Sinn. Bahdro ist schon von seiner Rasse her nicht der wahnsinnig folgsame Typ. Nicht weil er zu blöd wäre oder die Befehle nicht verstünde. Nein, im Gegenteil. Denn: Winke ich mit einem Leckerli, gehorcht er aufs Wort – vorausgesetzt, er mag das Leckerli und will es haben. Anders sieht es manchmal aus, wenn ich ihn rufe und er zu mir kommen sollte und ich kein Leckerli habe. Dann schaut er erst einmal, warum ich ihn gerufen habe. Dann prüft er, ob Gehorsam angebracht ist und schliesslich erinnert er sich daran, dass er noch schnell an einem anderen Ort schnüffeln oder wenigstens kurz markieren sollte. Er sei ein Rüde, das gehöre zu seinem Wesen, erklärt er entschuldigend. Dennoch rufe ich dann schon mal etwas genervt: «Etz mach halt ämal!» und bin gespannt darauf, ob er nun gehorcht oder was er als nächstes vorbringt, um meine Befehle ad absurdum zu führen.

Diese Auseinandersetzungen mit dem liebenswerten Kerl und seinem sturen Grind sind täglich aufs Neue herausfordernd. Oft ertappe ich mich, wenn Bahdro unfolgsam ist, dass ich den ihm erteilten Befehl selbst hinterfrage. Schliesslich stehe ja meistens ich doof da, wenn er nicht gehorcht, denn er ist ja der Hund. So treten er und ich regelmässig in einen inspirierenden Austausch, der zumindest für mich dann Früchte trägt, wenn Bahdro etwas von mir will. Vielleicht weil er als Wachhund draussen etwas gehört hat und unbedingt auf die Terrasse muss, um nach dem Rechten zu sehen, oder weil er gefüttert werden will und ich mich dann frage: Muss ich ihn ausgerechnet jetzt rauslassen oder füttern, oder schreibe ich erst diese Randnotiz fertig?

Diese Interaktionen auf der speziellen Ebene zwischen Mensch und Hund sind mir in den letzten sechs Jahren derart ans Herz gewachsen, dass ich nicht mehr darauf verzichten will. Ich liebe diese gemeinsamen Sinnfindungen mit Bahdro definitiv mehr, als wenn er immer unhinterfragt befolgen würde, was ich ihm auftrage. Denn im gegenseitig respektvollen Umgang findet man noch immer die besten Lösungen, ohne dass es dem gepflegten Miteinander schaden würde. Im Gegenteil.

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