Passionszeit

  25.02.2022 Kirche

Anfang März beginnt die diesjährige Passionszeit, die Zeit, in der die Kirche der Passion, des Leidens Jesu, gedenkt. Sie wird in der eigentlichen Passionswoche im April gipfeln, mit dem Einzug Jesu in Jerusalem, dann dem Gründonnerstag, als Jesus das letzte Mahl mit denen, die ihm folgten, feierte, dem Karfreitag mit seiner Kreuzigung und Tod und dem Osterfest mit seiner Auferstehung.

Warum ging Jesus nach Jerusalem?
Alle Evangelien erzählen von Jesu Einzug in Jerusalem am Palmsonntag. Schon in der Art der Erzählung deuten sie an: Die Lobeshymnen über den Gottessohn wandeln sich sehr bald zum fatalen Ruf «Kreuzige ihn!»

Warum riskierte Jesus den Konflikt mit der jüdischen Tempelaristokratie und den römischen Behörden? Spätestens nach dem gewaltsamen Tod Johannes’ des Täufers, der dem König unliebsame Wahrheiten vor Augen gehalten hatte und dafür geköpft wurde, wird Jesus die Möglichkeit seines eigenen gewaltsamen Endes nicht mehr für ausgeschlossen gehalten haben.

Wer war schuld am Tod Jesu?
Vermutlich gaben religiöse Streitigkeiten den Ausschlag für den Konflikt. Man klagte Jesus der Gotteslästerung in drei Punkten an:
– Kein Mensch darf einfach an Gottes Stelle Sünden vergeben.
– Er geht mit dem Gesetz Gottes nicht ordnungsgemäss um.
– Er übt Kritik an der Tempelpraxis, weil sich im Tempel eine Unternehmenskultur breitmacht, die die Frömmigkeit der Menschen ausnutzt, um Handel mit Opfergaben zu treiben.

Und die Römer?
Vermutlich hatten auch die Römer Interesse daran, Jesus nicht zu populär werden zu lassen. Sie missverstanden Jesus als einen politisch-messianischen Rebellen, der ihre Herrschaft hätte untergraben können. Jesus wurde durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus wegen Hochverrats zum Tod verurteilt und mit der römischen Hinrichtungsart für Rebellen, der Kreuzigung, hingerichtet.

Immer wieder wurden aufgrund der religiös begründeten Konflikte die Juden für den Tod Jesu verantwortlich gemacht. Diese Sicht ist historisch völlig unhaltbar. Schuld an etwas kann nicht eine abstrakt bezeichnete Gruppe von Menschen sein, die nur das Merkmal der Religionszugehörigkeit teilen.

Politische Bedeutung
Die Frage, wie politisch eine Sicht der Wirklichkeit ist, die nicht an Stärke und Macht orientiert ist, sondern sich auf Achtung des Schwachen und Anerkennung des Einzelnen ausrichtet, durchzieht seit zweitausend Jahren die Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben. Niemand kann sagen, religiöse Anschauungen hätten keine politische Bedeutung. Doch vielleicht zeigen schon die Erzählungen der Evangelien, wie gross die Angst von Machthabern ist, wenn Menschen sich dem bitteren Spiel von Herrschaft und Gewalt entziehen und furchtlos für eine friedliche Welt eintreten.

Die Hinrichtung Jesu
Die Angaben der Evangelien über die Ereignisse vor der Hinrichtung Jesu lassen sich recht gut in das historisch gesicherte Wissen einpassen. So bestätigt z.B. der Fund des sogenannten «Königsspiels», eingeritzt in Pflastersteine auf dem Hofe der Residenz des Pilatus, das grausame Spiel, das die römischen Soldaten mit Jesus wie mit allen ihren Opfern zu spielen pflegten: Dornenkrone und Purpurmantel «ehren» ein letztes Mal den todsicheren Verlierer.

Alle vier Evangelien berichten übereinstimmend, dass Jesus an einem Freitag gekreuzigt wurde. Versucht man das Jahr zu bestimmen, so bietet sich am ehesten das Jahr 30 an. Mit Sicherheit kann man sagen, dass die Hinrichtungsstätte ausserhalb der Mauern von Jerusalem lag. Dies entsprach sowohl römischer als auch jüdischer Gepflogenheit.

Alle vier Evangelien stimmen in der theologischen Aussage überein, dass Jesus seiner Berufung bis zum Tod treu blieb. Alle vier Evangelien unterscheiden sich aber sehr in den Passionserzählungen. Insbesondere die Worte, die sie Jesus am Kreuz sagen lassen, tragen die Handschrift des jeweiligen Autors.

Was bedeuten die Passion und der Tod Jesu für den christlichen Glauben?
Wie kann eine Idee oder ein Glaube weiterbestehen, wenn die Person, die sie glaubwürdig und wahrhaftig vertreten hat, nicht mehr da ist? Wie kann sich eine Bewegung erhalten, auch wenn sie öffentlich machtvoll beseitigt und ihre Mitstreiter bestraft wurden? Nach dem Tod Jesu hat es Christinnen und Christen gegeben, die den Glauben an die Gegenwart Gottes, wie Jesus sie verkündigt hat, weitergaben. Dazu war es auch wichtig, den Tod Jesu nicht als das Scheitern dieser Vorstellung anzusehen.

In den neutestamentlichen Schriften finden sich unterschiedliche Versuche, das Geschehen am Kreuz zu erklären und Bilder zu finden, die den Tod Jesu verstehbar machen.

Der Tod als Opfer zur Sühne
«Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden» (Matthäus 26, 28): Die Worte erinnern an eine Praxis des Sühneopfers, die damit einherging, Blut an den Altar des Tempels zu verspritzen. Wie Mose der Vermittler des alten Bundes zwischen Gott und dem Volk war und das Blut eines Opfertieres verspritzte, so ist Jesus der Mittler des neuen Bundes und gibt sein eigenes Blut.

Dieses Verständnis des Todes Jesu löst immer mehr Fragen, Zweifel und Unbehagen aus: «Ich möchte nicht, dass einer für mich stirbt», sagen viele. Gleichzeitig sehen wir in unserer Gesellschaft fast täglich, dass für das Schlimme, das passiert ist, ein Schuldiger gefunden und dieser möglichst sofort bestraft werden muss. Vielleicht ist es eine psychische Realität sozialer Gemeinschaften, dass das, was diese stört oder zerstört, selbst zerstört werden muss und man sich des Funktionierens dieser Gemeinschaft versichern muss. Dass es Gottes Wille war, Jesus zu «opfern», wird in der Bibel nicht gesagt. Nur dass Jesus sich bestrafen lässt für alles, was andere falsch machen. Auch das Bild vom «Lamm Gottes» versteht das Verhalten Jesu als eines, das ganz ohne den Willen, das eigene Leben zu erhalten, mit sich machen lässt, was andere wollen.

Der Tod als Akt der Versöhnung
«Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber» (2. Korinther 5,19): Immer wieder spielt bei dem Kreuz auch die Frage eine Rolle, wo Gott war, als Jesus gekreuzigt wurde. Paulus sagt, dass Gott selbst in Christus war. Gott selbst hat am Kreuz gehangen und hat die Strafe erlitten. Gott hat niemand anderen dafür bestraft, dass Jesus gekreuzigt wurde. Damit hat er den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt unterbrochen und den Anfang gemacht, damit Menschen mit Gott versöhnt werden und miteinander umgehen können.

Der Tod als Lösegeld
«Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele» (Markus 10,45): In der Antike wurden Sklaven durch Lösegeld freigekauft. So hat auch Jesus durch seinen Tod die Menschen freigekauft von dem Gesetz, das dem Schuldigen den Tod zumisst.

Mit-Leiden
«Dadurch, dass Jesus gelitten hat und selber versucht worden ist, vermag er denen, die versucht werden, zu helfen» (Hebräer 2, 18): Der Hebräerbrief betont, dass Jesus genauso wie alle Menschen gelitten hat, schwach war und versucht wurde und deshalb mit ihnen mitfühlen und mitleiden kann. Gott lässt Menschen nicht allein, auch wenn sie in Situationen sind, in denen kein anderer Mensch ihnen das Leiden abnehmen kann.

Wie der Tod Jesu mit dem Glauben an einen gütigen und gerechten Gott zu vereinbaren ist, wird stets eine Frage bleiben. Fraglos aber ist, dass durch die Kreuzigung Jesu Folgendes sichtbar wird: Die Realität von Gewalt und Tod, die Menschen täglich erleben, wird nicht aus der Beziehung zwischen Gott und Mensch herausgehalten. «Erlöse uns von dem Bösen» bleibt eine gesamtchristliche Bitte und die Hoffnung auf Erlösung ein Wesensmerkmal des christlichen Glaubens.

PFARRER PETER KLOPFENSTEIN


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