RANDNOTIZ

  25.02.2022 Leserbeitrag

Urknall gegen Stille tauschen

BLANCA BURRI
Gestern pünktlich um 5 Uhr knallte es beim Seebecken in der Fasnachtshochburg Luzern gewaltig und läutete die fünfte Jahreszeit ein: die Fasnacht. Tausende Kostümierte, Zuschauer, Familien, Guggenmusiker und die Fritschefamilie zogen vom Vierwaldstättersee zum Kapellplatz, wo das bunte Fasnachtstreiben im Fötzelregen alter Telefonbücher seinen Lauf nahm.
Wie eintönig fand ich es als gebürtige Luzernerin vor 26 Jahren, als ich die erste Wintersaison im Saanenland verbrachte. Nichts als Touristen, eintönige Schneehänge und schummrige Nachtclubs – ja, die gab es damals noch. Ich stahl mich manchmal mitten in der Hochsaison aus dem Hotel, wo ich arbeitete, um für 24 Stunden in die Luzerner Landfasnacht einzutauchen. Später erfuhr ich von der Gsteiger Fasnacht und machte mich auf, diese zu inspizieren. Die liebevoll dekorierte alte Turnhalle war fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Herrliche Masken wandelten umher. Von der pissenden roten Ameise bis zum Schneemann war alles zu sehen.
Später als Bärenwirtin versetzte ich die Mitarbeitenden in Angst und Schrecken, als ich meinen Wunsch nach einer Beizenfasnacht kundtat. Wir kleideten den Bären bis zur Unkenntlichkeit aus, einmal wurde er kurzerhand in einen furchterregenden Hades umgestaltet. Die Guggenmusik mit dem Bus aus einem Fasnachtskanton hergeschafft, liess die Fenster der Turnhalle und des voll besetzten Restaurants vibrieren, während ich mir im Backoffice eine Wehmutsträne aus den Augen wischte. Was ich damals insgeheim schon wusste, aber noch trotzig von mir wies: Die Gäste hätten ihr Raclette lieber ohne kostümierte Servicemitarbeitende und kakofonische Guggenmusikklänge genossen!
Irgendwann, als es die Gsteiger Fasnacht schon lange nicht mehr gab, fand ich die Antwort, weshalb die katholische Tradition im reformierten Saanenland nicht Fuss fasste. Viele fasnachtsverrückte Gemeinden leiden in den Wintermonaten unter Nebel und Langeweile. Deshalb probt man intensiv und laut, man näht bunte Kostüme und haut zum Schluss auf die Pauke. Das alles braucht man im Saanenland nicht: Die Tage sind mild und sonnig. Der Tourismus brummt. Jede helfende Hand ist gefragt. Da bleibt keine Zeit zum Schnurpfen, Maskenbasteln oder Proben.
Nur für etwas bleibt immer Zeit: Ein paar stiebende Schwünge auf den Ski. Inzwischen habe ich mir diese Saaner Eigenheit einverleibt. Deshalb bleiben die selbst genähten Kostüme in der Fasnachtskiste und verstauben im Abstellraum. Dafür laufen die Tourenfelle heiss. Meine Seele nährt sich am bunten Weiss des Trütlisbergs und an der stillen Stille des Grossenbergs. Auf der Abfahrt durch Pulver- und anderen Schnee mache ich auf der Laube einer Alphütte gerne eine Pause und bräune dort das Gesicht – sogar am Schmutzigen Donnerstag, wenn in Luzern die schönste Jahreszeit startet.

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