In diesen Tagen den Blick in die aktuelle Welt schweifen zu lassen – das ist schon fast hoffnungslos geworden. Besonders, wenn man täglich Zeitungen liest, Radionachrichten hört und abends die «Tagesschau» konsumiert. Eine Sendung, die uns – das Publikum – verkauft: 30 Sekunden vor der Hauptausgabe der «Tagesschau» sind die Preise für Werbespots am höchsten. Nicht zuletzt, wenn die Nachrichten aus aller Welt am schlimmsten sind.

Deshalb wagen wir heute für einmal einen historischen Blick zurück ins Saanenland. Die Quellen sind altehrwürdig: Baedekers «Die Schweiz: Handbuch für Reisende» (Verlag von Karl Baedeker, Leipzig, 1913) sowie «Sommer in der Schweiz» (Bürgis Jllustrierter Reiseführer, Zürich, 1914). Jüngeren Datums ist die Broschüre «Im Saanenland» (Verlag Paul Haupt, Bern, 1968). Ihr Autor war Robert Marti-Wehren (1885–1970), ein weitherum bekannter Verfasser zahlreicher Schriften und Artikel zur Rechts-, Ur- und Kirchengeschichte, Namensforschung sowie Landes- und Volkskunde des Kantons Bern. Viele seiner Arbeiten sind damals im «Anzeiger von Saanen» erschienen, wo übrigens auch sein Schwiegervater, Rudolf Andreas Wehren, Redaktor war.

Im Baedeker folgt man der MOB-Linie von Zweisimmen aus, wo die «elektrische Schmalspur-Bahn» aufsteigt zwischen Matten, durch einen Kehrtunnel am Fuss des Rinderbergs und «in das grüne Tal der Kleinen Simme fährt, wo Rüblihorn und Gummfluh sichtbar werden». Gstaad (1052 m ü.M.) wird beschrieben als kleines Dorf von 300 Einwohnern, «an der Mündung des Lauenentals schön gelegen, wird als Sommerfrische und Wintersportplatz viel besucht». Dann gehts von Gstaad aus mit dem Postauto zweimal täglich in zweieinhalb Stunden durch das Lauenental nach Lauenen. Dort wird das Hotel Wildhorn als «empfehlenswert» gelobt. Überdies sei Lauenen der Pfarrort des Tals «in reizender Lage».

Saanen, franz. «Gessenay» (1014 m ü.M.) sei der Hauptort des oberen Saane(Sarine)-Tals mit 3981 Einwohnern, «die bedeutende Viehzucht betreiben und den berühmten Greyerzer Käse (Fromage de Gruyère und Vacherin) bereiten». Zudem eigne sich Saanen ebenfalls als Sommerfrische und Wintersportplatz.

In Bürgis Reiseführer sieht der Blick ins Saanenland ähnlich aus, aber er ist umfangreicher und mit anderen Akzenten versehen. Gstaad liege inmitten «des herrlichen Talkessels, zu welchem sich der oberste Teil des schönen Saanenlandes weitet, da wo die drei Täler von Gsteig, Lauenen und Turbach sich vereinigen». Mit der MOB sei Gstaad «ein klimatischer Kurort erster Klasse geworden. Für Erholungsbedürftige, Rekonvaleszenten und Anämische (Blutarmut) wird es vielfach empfohlen. Tuberkulöse Kranke werden jedoch streng zurückgewiesen.» Für die Gesunden stehen nicht weniger als 16 Hotels zur Verfügung. Als neu erbaut oder auch besonders modern und komfortabel sowie in schöner Umgebung gelegen sind gemäss Bürgis Recherchen diese sieben Häuser: Grand Hotel Bellevue, Hotel Bernerhof, Hotel-Pension Ebnit, Grand Hotel u. Alpina, Hotel National, Hotel Pension Victoria, Royal-Hotel et Winter-Palace. Die schönste Beschreibung des Saanenlandes aber findet sich «Im Saanenland» von Robert Marti-Wehren. Hier nur ein Ausschnitt: «Wenn der Saaner vom ‹Oberland› spricht, so meint er damit gewöhnlich gar nicht seine eigene Heimat, sondern vielmehr die Landschaften Interlaken und Oberhasli. So deutet er an, dass sich sein Tal stark vom östlichen und ‹engeren› Oberland unterscheidet. In den Bergen des Saanegebietes fehlt das Urgestein, der Gneis und der Granit, die Eisfelder erreichen nur bescheidene Ausdehnungen, die Täler sind weiter, die Abhänge sanfter, die Landschaft hat keinen Hochgebirgscharakter. Der gut durchfeuchtete Boden liegt auf dem weichen, leicht verwitternden Flysch. Kein Wunder also, dass eine solche Gegend reich ist an vorzüglichen Matten und Weiden und sich zur Viehhaltung ganz besonders eignet. Darum sind denn auch Viehzucht und Milchwirtschaft zu allen Zeiten die wichtigsten Beschäftigungen des Saaners gewesen. Seit Jahrhunderten schon findet sein geflecktes Zuchtvieh guten Absatz weit über die Schweizergrenzen hinaus. Die weisse, ungehörnte Saanenziege, bekannt als ausgezeichnete Milchspenderin, ist sogar bis nach Südafrika und Südamerika ausgeführt worden. Der Saanenkäse, besonders der während mehrerer Jahre getrocknete Hobelkäse, war von jeher ein geschätztes Produkt. Über die Käseausfuhr vor 300 Jahren wird berichtet: ‹Die Saanenkäse haben unter allen Schweizerkäsen den Vorzug, sie werden sehr stark ausser die Eidgenossenschaft abgeführt und mit grossem Geld bezahlt.›»

Damals waren eben die Welt und das Saanenland noch in Ordnung.

OSWALD SIGG

JOURNALIST, EHEMALIGER BUNDESRATSSPRECHER oswaldsigg144@gmail.com

Im Saanenland

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title