RANDNOTIZ

  28.10.2022

Fahren wie Velo in Frankreich

KEREM S. MAURER
Ich weiss, es gibt ganz viele Velofahrer*innen, die sich an die Verkehrsregeln halten. Und bestimmt nur wenige, die das nicht immer tun. Und die ganz wenigen, die sich einen Dreck um Verkehrsregeln scheren, findet man hierzulande eigentlich kaum. Oder?

Vor wenigen Wochen war ich in Nordwestfrankreich unterwegs, in einer kleinen Küstenstadt auf einer Halbinsel im Süden der Bretagne. Beinahe schon am Ende der Welt. Am Ortsausgang des besagten Ortes, wo die Innerortstrasse in die Küstenstrasse übergeht, regelt ein Kreisel den Verkehr. Ich wollte von der Küstenstrasse her mit dem Auto kommend in den Kreisel einfahren – Einfahrt und Ausfahrt sind mit einer Verkehrsberuhigungsinsel voneinander getrennt –, da kommt mir auf meiner Einfahrt ein Velofahrer, der eben im Begriff war, den Kreisel zu verlassen, entgegen. Nur eine Hand am Lenker, mitten auf der Strasse, sein Blick verlor sich irgendwo über dem Atlantik. Ich trat auf die Bremse – schliesslich bremse ich auch für Radfahrer. «Heee, hallo? Rechtsverkehr, ça vous dit quelque chose?»

Keine drei Wochen später – der Vorfall in Frankreich war schon lange vergessen und der Alltag hatte mich wieder – fuhr ich von Zweisimmen in Richtung Boltigen, kurz bevor die Strasse links weg auf den Jaunpass führt. Vor mir fuhr ein Polizeiauto und davor ein Velofahrer. Letzterer bog ab Richtung Jaunpass und dann geschah das Unfassbare: Der Velofahrer fährt auf der linken Spur in die Jaunpassstrasse, überfährt hinter der Verkehrsberuhigung die schraffierte Sperrfläche, um schliesslich auf der rechten Strassenseite seine Fahrt fortzusetzen. Und das alles vor dem Auge des Gesetzes. «Heee, hallo? Polizei!? Ja, das gibts doch gar nicht!»

Zack hatte ich ein Ferien-Flashback und fühlte mich einen Moment lang an die bretonische Küstenstrasse zurückversetzt. Dafür müsste ich dem Velofahrer eigentlich dankbar sein. Doch leider fiel mein Blick auf das Polizeiauto vor mir, welches seine Fahrt fortsetzte, als ob nichts geschehen wäre. Doch statt Dankbarkeit erfüllte mich ein eher mulmiges Gefühl. 2021 gab es laut dem BFS schweizweit über 4770 Unfälle mit Fahrrad- und E-Biker*innen. Soll mich mal einer fragen, warum.

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