Was hat Standortentwicklung mit Fachkräftemangel zu tun?

  29.07.2022

Am Begriff Fachkräftemangel kommt man heute nicht mehr vorbei. Ganz Europa ist betroffen. Im Deutschen Handelsblatt liest man: «Auf dem ganzen Kontinent fehlen Ingenieure, Softwareentwickler und Informatikexperten. In vielen Ländern werden aber auch händeringend Handwerker, Pflegekräfte und Mitarbeiter in Hotellerie und Gastronomie gesucht.»

Wenn wir den Bogen zu Gstaad schlagen, sehen wir: Uns geht es genau gleich. Fachkräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Auf der Gemeindeverwaltung, in den Schulen, bei der Kinderbetreuung, auf dem Bau, im Detailhandel, im Tourismus und so weiter. Es ist so weit gekommen, dass in gewissen Hotels ein Teil der Zimmer nicht vermietet werden kann, weil das Personal zum Putzen fehlt. Aus Restaurants wurden Tische entfernt, weil zu wenig Servicefachkräfte zum Bedienen vorhanden sind. Ich könnte noch viele Beispiele aufzählen, doch jammern nützt nichts. Besser sollten wir uns überlegen, wo wir den Hebel ansetzen, um dem Fachkräftemangel proaktiv zu begegnen. Denn ich bin überzeugt, die Suche nach Fachkräften wird in Zukunft noch schwieriger werden als bisher – besonders in Randregionen wie der unsrigen.

Den Schlüssel zum Erfolg sehe ich in einer gut funktionierenden Standortentwicklung. Sie fragen sich weshalb? Lassen Sie mich erst den Begriff Standortentwicklung erklären. In der Standortentwicklung erarbeiten die beauftragten Fachleute und lokale Partner eine Vision für eine Gemeinde oder eine Region: Sie stellt sich die Frage, wie das Saanenland in 20 Jahren aussieht. Achtung, hier geht es nicht um die touristische Entwicklung, sondern um eine gesamtheitliche. Es geht um Fragen rund um Themen wie Infrastruktur, Bildung, Verkehr, Energie, Gesundheit, Ansiedelungspolitik, Gewerbe, Steuerentwicklung, Bevölkerungswachstum, Raumplanung und so weiter. Eine Vision im Bereich Fachkräftepolitik könnte lauten: «Die Arbeitgeber verfügen im Jahr 2042 aufgrund einer attraktiven Standortgemeinde über genügend Fachkräfte.» Denn nur wenn verschiedene Komponenten für möglich Arbeitnehmenden attraktiv sind, werden sie zu uns in die Region ziehen.

Wenn eine Stelle ausgeschrieben wird, erkundigen sich die interessierten Personen als Erstes über die regionale Wohnsituation, über Ausgehmöglichkeiten, über die Schulen und die Kinderbetreuung für ihre Kinder, die Freizeitinfrastruktur und so weiter. Doch bereits bei der Wohnungssuche stellt der potenzielle Arbeitnehmende fest, dass es im Saanenland beinahe unmöglich ist, eine attraktive und bezahlbare Wohnung auf den zugänglichen Plattformen zu finden – und zwar, weil die meisten Wohnungen unter der Hand vermietet werden. Doch wie gelangt ein «Furthariger» an dieses Netzwerk?

Das kann in diesem Fall vor allem der Arbeitgeber übernehmen. Nur stellt sich die Frage, wie viel Zeit dem Arbeitgeber zur Verfügung steht, dieses Netzwerk zu pflegen und den potenziellen Arbeitnehmenden mit einem Vermieter zusammenzubringen. Müsste es hier nicht einfachere Mittel oder mehr Wohnraum insbesondere für Familien geben?

Eine klare Vision, wie man neue Fachkräfte ansiedeln kann, ist eine gute Voraussetzung für Lösungen. Alle Partner aus Bau, Hotellerie, Gewerbe, Politik und so weiter können die Weichen stellen, das Ziel zu erreichen. Damit erreichen sie, dass im konkreten Beispiel mehr Wohnraum für Fachkräfte und Einheimische mit und ohne Familien zur Verfügung steht oder zumindest sichtbarer wird. Automatisch erhöht sich die Chance, dass Fachkräfte in die Region ziehen.

Die Standortentwicklung wird nicht alle Fragen lösen. Aber ich bin überzeugt, dass wir mit einem Pilotprojekt eruieren können, wo die Standortentwicklung greift und wo wir andere Lösungen suchen müssen.

FLURIN RIEDI

TOURISMUSDIREKTOR
[email protected]


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote