Wie es für Jäger-Hannes Weihnachten wurde...

  17.12.2023 Leserbeitrag

Für die Weihnachtsbeilage haben wir viele tolle Geschichten erhalten, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen. Bis Weihnachten präsentieren wir Ihnen alle, damit Sie sich auf die Feiertage einstimmen können. Nachfolgend eine Weihnachtsgeschichte von Bert Inäbnit aus Schönried.

In einem der obersten Vorschess auf ca. 1800 m.ü.M. lebte Hannes mit seiner Frau und seinen 2 Buben. Sie führten Jahrein-Jahraus ein karges Alplerleben. Ihr Hab und Gut bestand aus einem kleinen Alphüttli, einem Stall und einer Kuh sowie einem Berner Sennenhund.

Neben dem Haus hatte es noch 2 Apfelbäume und einen kleinen Kartoffelacker. So waren sie mehr oder weniger Selbstversorger mit Milch, Käse, Kartoffeln und Äpfeln. Das Fleisch besorgte jeweils Hannes, da er ein leidenschaftlicher Jäger war; man nannte ihn auch im ganzen Tal Jäger-Hannes. Mutter und die zwei noch schulpflichtigen Buben waren gläubig und besuchten, wenn irgendwie möglich, am Sonntag jeweils den Gottesdienst im nahegelegenen Dorf. Auch vor dem Essen sprach die Frau jeweils das Tischgebet. Hannes jedoch hatte für solche Machenschaften nicht viel übrig. Während der Predigt wartete er jeweils im Wirtshaus neben der Kirche, und während Mutter das Tischgebet sprach, schlürfte er meistens schon seine Suppe.

So war es wieder einmal Spätherbst geworden, eine in sogenannten Anführungszeichen „heilige“ Zeit für Hannes, denn jetzt war er fast Tag für Tag auf der Hochwildjagd. So auch an jenem kalten und eisigen Novembertag, wo er einem kapitalen 8-jährigen Steinbock nachstellte, den er schon den ganzen Herbst über im Auge hatte. Es war dann auch sein größter Wunsch, diesen ca. 70 kg schweren Bock zu erlegen.

Dieser langersehnte Jagdtag wurde jedoch durch einen unvorsichtigen Ausrutscher auf einem Schneefeld abrupt beendet, da er zwischen 2 Steinen eingeklemmt den rechten Fuß grausam quetschte. Laut fluchend und unverrichteter Dinge humpelte er mit seinem fast gefühllosen Fuß dem Heimetli zu, wo ihm seine Frau schon mal die Schwellung mit Murmeltierfett einrieb und einen Verband anlegte.

Da für ihn nun die Jagdsaison vorzeitig beendet war und auch in den nachfolgenden Wochen die Schmerzen nicht nachließen, wurde der sonst so gutmütige und zufriedene Hannes immer mürrischer, ja fast bösartig, da er immer mehr zur Schnapsflasche griff, um die Schmerzen zu vergessen...

Es war am Nachmittag des 24. Dez., als er noch ins Dorf hinunter musste, um 3 Mutschleni abzuliefern. Im Tal herrschte tiefer Winter, und es schneite schon den ganzen Tag in großen Flocken. Nachdem er den Käse im Dorfladen abgeliefert hatte, kehrte er einmal mehr noch im Wirtshaus ein, um einen Schnaps zu genehmigen. Er war gar nicht etwa in Eile, nach Hause zu gehen, denn sonst müsste er am Ende noch mithelfen, diese unnützen und langweiligen Weihnachtslieder zu singen. Nach dem 4. Glas machte er sich dann im dicken Schneetreiben mit Rucksack und Stall-Laterne auf den Heimweg.

Als er den Lauigraben überquerte, wurde die fast unheimliche Stille der Winternacht plötzlich durch tosendes Rumpeln jäh unterbrochen. Noch ehe sich Hannes der Gefahr durch die zu Tal donnernde Lawine bewusst war, wurde er von den meterhohen Schneemassen vom Weg gerissen und stürzte kopfvoran den steilen Abhang hinunter...

Als er kurze Zeit später aus dem Koma erwachte, merkte er, dass er dank seinem Rucksack, der sich an einem aus dem Schnee ragenden krummen „Ast“ verfangen hatte, nicht noch tiefer in den Abgrund, in die darunter liegende Schlucht, gestürzt war. Langsam wurde ihm klar, dass wohl sein letztes Stündchen geschlagen hat, denn wer würde ihn hier jemals suchen, geschweige denn finden. Zudem konnte er sich unmöglich aus den Schneemassen befreien, denn sein ganzer Körper war mit Ausnahme des Kopfes und eines Arms wie zubetoniert.

Als er nun so in dieser Totenstille der heiligen Nacht da lag und seinem Leben nachsann, kamen ihm plötzlich die Worte seiner gläubigen Frau in den Sinn, die in Notsituationen nie den Kopf verlor, sondern jeweils zu ihrem Gott betete und ihn um Hilfe bat...

Nach etlicher Überwindung begann aber Hannes zuerst etwas zögernd, doch dann immer lauter zu beten: „Mein Herrgott, wenn es dich wirklich gibt, so bitte ich Dich jetzt um Hilfe, obschon wir uns ja gar nicht kennen, und vergib mir bitte, dass ich nie nach Dir gefragt habe, und...“

Er konnte den Satz nicht fertig reden, als plötzlich eine wohlige, wohltuende Wärme durch seinen unterkühlten Körper strömte, als hätte er einen Liter heißen Tee hinuntergeschüttet, und von weit her hörte er Stimmen, die begleitet von einem fahlen Laternenlicht immer näher kamen. Es waren seine 2 Buben und der Sennenhund, die Schlimmes ahnten und von der besorgten Mutter auf die Suche nach ihm geschickt wurden.

Bläss, der Sennenhund, entdeckte ihn zuerst, begann ihn wie wild abzulecken und scharrte laut bellend den Schnee um ihn herum zur Seite. Als die Buben bei ihm eintrafen, trauten sie ihren Augen kaum: Der aus dem Lawinenkegel ragende, vermeintliche krumme „Ast“, an dem Hannes hängen blieb, war kein Baum, sondern eines der Hörner vom 8-jährigen Steinbock, der die Lawine ausgelöst hatte...

Froh und dankbar, dass ihr Vater noch am Leben war und sich keine Verletzungen zugezogen hatte, schleppten sie nun zu Dritt den 70 kg Bock auf dem mitgebrachten Horischlitten durch den kniehohen Neuschnee nach Hause. Hannes merkte zu seinem Erstaunen erst kurz vor der Haustüre, dass er nicht mehr humpeln musste und keine Schmerzen mehr hatte.

So saßen sie dann zu später Stunde alle am Tisch, und der brennende Weihnachtsbaum leuchtete in Hannes Augen wie noch nie zuvor. Als Mutter die „Rösti mit Steinbockleberli“ aufgetischt hatte und das Tischgebet sprechen wollte, unterbrach sie Hannes mit den Worten: Das ist heute, und in Zukunft, meine Sache!

Am Weihnachts-Sonntag vermissten die Zechbrüder Hannes am Stammtisch; er saß in der vordersten Reihe in der Kirche und sang: „Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit...“


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote