Wohnbaustrategie: Es besteht akuter Handlungsbedarf

  27.11.2023 Saanen

Geht es nach dem Willen der Anwesenden, die den Informationsanlass der Gemeinde Saanen zur Bevölkerungsumfrage über die Wohnbaustrategie besuchten, muss die Gemeinde Bedingungen schaffen, damit bezahlbarer Wohnraum in Saanen entstehen kann.

KEREM S. MAURER
Nach der Analyse einiger Umfrageergebnisse präsentierten die ecoptima-Experten mögliche Lösungsansätze. Via QR-Code konnten sich die Anwesenden mit ihren Smartphones in ein Abstimmungstool einwählen und so aktiv und in Echtzeit ihre Stimmen jenen Lösungsvorschlägen geben, die sie für weiterverfolgenswert hielten. Dabei stiess die vorgeschlagene Sicherung von Erstwohnungen mit einer Einführung von Erstwohnungsanteilvorschriften, einer Erstwohnungsplanungszone und entsprechenden Lenkungsabgaben auf wenig Gegenliebe.

Gemeinde soll eigenes Land im Baurecht abgeben
Favorisiert wurden Massnahmen zur Förderung von bezahlbarem Wohnraum. Am meisten Punkte erhielt dabei die Landabgabe der Gemeinde im Baurecht (Vorschlag 2A mit 24 Punkten). Dabei geht es um die beiden gemeindeeigenen Parzellen Nr. 6297 am Ortseingang von Gstaad und Nr. 5649 im Grund. Um dieses Potenzial noch zu vergrössern, wäre es sinnvoll, dass die Gemeinde zusätzliche Grundstücke erwerbe – beispielsweise auch mit der Einführung eines Vorkaufsrechts der Gemeinde zugunsten des gemeinnützigen oder preisgünstigen Wohnungsbaus –, die nicht zu exklusiv gelegen sind und Zentrumsanschluss haben. Dieser Vorschlag 2B (mit mittelfristigem Zeithorizont und einem mittelhohen Wirkungsgrad) erhielt von den Anwesenden 22 Punkte. Ebenfalls unter den Top drei der beliebtesten Massnahmen steht 2E mit Anreizen und Erleichterungen für Private. Diese Massnahme mit langfristigem Zeithorizont und einem hohen Wirkungsgrad verlangt, dass die Gemeinde für Private einen Ausnützungsbonus und finanzielle Anreize in Aussicht stellt, wenn sie auf ihrem Grundstück preiswerten Wohnungsbau fördern.

Situation ernst nehmen
«Die Gemeinde Saanen muss jetzt die Ergebnisse dieser Umfrage sowie die gefundenen Lösungsansätze in Ruhe entgegennehmen», schloss Lukas Wahlen, Projektleiter der ecoptima. Danach brauche es eine Diskussion darüber, was man weiterverfolgen wolle oder könne. Das Ziel müsse es aber sein, dass man sich zum einen oder anderen Lösungsansatz bekenne und diesen auch offizialisiere, damit man in dieser Sache einen Schritt weiterkomme. «Nicht dass man in fünf Jahren die nächste Umfrage durchführt und feststellt, dass sich die Situation noch weiter verschlimmert hat», so Wahlen. Umso wichtiger sei es, dass man jetzt an die Umsetzung gehe.

Gemeinderätin Petra Schläppi stellte am Ende der Veranstaltung, an der zum Teil heftig und kontrovers diskutiert wurde, fest, dass sich verschiedene Interessensgruppen gebildet hätten und lobte das Engagement der Anwesenden. Bereits gegen Ende letzter Woche habe man in dieser Sache die nächste Zusammenkunft abgehalten, um zu schauen, wie man weitermachen wolle. Schläppi stellte dieser Zeitung gegenüber in Aussicht: «Wir werden voraussichtlich Ende Januar über den weiteren Verlauf der Strategie berichten.»


Die Auswertung der Bevölkerungsumfrage zur Förderung von preiswertem Wohnen zeigt schwarz auf weiss, was schon alle wussten: Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, Familien gibt es immer weniger, die Schülerzahlen schrumpfen und die Jungen ziehen weg. Nun gilt es, diesen Trends Gegensteuer zu geben.

KEREM S. MAURER

Harte Fakten

Rund 360 Saanerinnen und Saaner im Alter zwischen 16 und über 75 Jahren haben an der Umfrage zur Förderung von preiswertem Wohnraum in Saanen teilgenommen. Doch kaum 50 versammelten sich im Landhaussaal, wo Vertreterinnen und Vertreter der Firma ecoptima am letzten Mittwochabend die Umfrageergebnisse präsentiert haben.

Einleitend nannte ecoptima-Projektleiter Lukas Wahlen einige Fakten: Die einheimische Bevölkerung entwickelt sich rückläufig, nur der Ausländeranteil steigt. Der Arbeitsmarkt stagniert. Es gibt wenig junge Bevölkerungsgruppen bis 35 Jahre, dafür viele ab 55. Familien mit Kindern sind in Saanen deutlich untervertreten. Die Prognose der Schülerzahlen bis 2024 ist negativ. In Saanen gibt es 3627 Erstwohnungen und 3970 Zweitwohnungen (Definition siehe Kasten).

Auf acht Problemstellungen aus der Bevölkerungsumfrage gingen die ecoptima-Spezialisten detailliert ein:

Wohn- und Lebensraum Saanen soll erhalten werden

Über 90 Prozent der Umfrageteilnehmenden sind ganz oder teilweise der Meinung, dass der Wohn- und Lebensraum Saanen erhalten bleiben soll und dass es an preisgünstigem Wohnraum mangelt. Ebenso, dass Einheimische immer seltener ein passendes Wohnangebot finden und die Abwanderung von jungen Familien und lokalen Bevölkerungsgruppen ein Problem darstellt. Nicht einmal zehn Prozent finden, dass die Wohnsituation in der Gemeinde Saanen den Bedürfnissen entspricht.

Ungenügende medizinische Angebote

Knapp 90 Prozent der Umfrageteilnehmenden sind ganz oder teilweise der Ansicht, dass die Angebote im Bereich der medizinischen Versorgung ungenügend sind. Über 60 Prozent finden, es fehle an Angeboten für junge Erwachsene, während nur knapp über 20 Prozent das Angebot für ältere Menschen als unzureichend empfinden. Zwischen 30 und 45 Prozent sind der Meinung, dass die Angebote in den Bereichen öffentliche Dienste, Bildung und Kinderbetreuung ungenügend sind, es an Angeboten für Kinder und Jugendliche fehlt, aber die alltägliche Versorgung für die Zukunft gut gerüstet ist.

Gesundheitsnutzungen fördern

Über 90 Prozent sind der Ansicht, dass Gesundheitsnutzungen wie Arztpraxen gefördert werden sollen und knapp die Hälfte will ein grösseres Gastronomieangebot. Dahinter folgen Kinderbetreuung (knapp 45 Prozent) und Treffpunkte für Einheimische (37). Nur etwa 15 Prozent wollen mehr öffentliche Angebote wie Bibliotheken oder Ähnliches.

Wohnangebote für junge Familien fehlen

Über 90 Prozent sind ganz oder teilweise der Meinung, dass Wohnangebote für junge Familien, Lokale und Einheimische fehlen. Über 60 Prozent finden, es fehle an Wohnangeboten für ältere Menschen sowie an Klein- und Studiowohnungen. Und nur knapp 60 Prozent finden, es fehle an temporären, saisonalen Wohnangeboten.

Preiswerter Wohnraum fördern

Über 90 Prozent der Teilnehmenden finden, preiswertes Wohnen sollte gefördert werden, während 85 Prozent Wohnangebote für Familien wollen. Dahinter folgen mit knapp 40 Prozent Klein- und Studiowohnungen, Wohnungen für Paare und Senioren. Weniger gefragt sind mit rund 20 Prozent temporäre Wohnungen, Wohngemeinschaften und Generationenwohnungen.

Preisgünstiger Wohnraum in der ganzen Gemeinde

Eine grosse Mehrheit von über 90 Prozent findet, dass preisgünstiger Wohnraum in der ganzen Gemeinde gefördert werden soll. Zwischen 50 und 60 Prozent wollen dies eher in Bahnhofsnähe und im Ortszentrum, am Ortsrand oder in Ortsteilen wie Gstaad, Saanenmöser oder Schönried.

Gemeinde soll aktiv werden

Rund 85 Prozent wollen, dass die Gemeinde selbst aktiv wird und preisgünstigen Wohnraum schafft. Ebenso viele finden, dies sei Sache von Wohnbaugenossenschaften. Zwischen 70 und 80 Prozent denken, die Gemeinde soll ihr eigenes Bauland im Baurecht mit klaren Anforderungen abgeben. Oder dass bei der Entwicklung von strategischen Schlüsselgrundstücken klare Anforderungen an private Entwickler gestellt werden. Ebenso viele sind der Ansicht, es brauche verhältnis- und zweckmässige Gesetze, um preisgünstigen Wohnraum zu fördern. Knapp über 60 Prozent halten die heutigen Zonenpläne für nicht mehr zeitgemäss und wollen, dass diese angepasst werden, zum Beispiel für Studio- und Kleinwohnungen.

Erstwohnungen schützen

Über 80 Prozent wollen besseren Schutz für Erstwohnungen und knapp unter 80 Prozent sehen diesen Schutz in gesetzlich sinnvollem Rahmen. Knapp über 70 Prozent wollen, dass bei Umnutzungen wenigstens ein gewisser Anteil der Wohnungen als Erstwohnungen geschützt werden sollen und etwas weniger als 70 Prozent erachten Erstwohnungen im Zentrum als besonders schützenswert. Über 50 Prozent wollen, dass altrechtliche Wohnungen besonders geschützt werden.


DEFINITION DER BEGRIFFLICHKEITEN

Was ist eine Erstwohnung?
Gemäss Zweitwohnungsgesetz (ZWG) ist eine Wohnung eine bauliche Einheit von Räumen, die bewohnbar sind, über eine Küche verfügen und von mindestens einer niedergelassenen Person dauerhaft genutzt wird. Dabei kann es sich um Hauptwohnsitze, beziehungsweise zivilrechtliche Wohnsitze handeln.

Gleichgestellt sind Wohnungen, die zu Erwerbs- oder Ausbildungszwecken bewohnt oder zur kurzzeitigen Unterbringung von Personal genutzt werden.

Was ist eine Zweitwohnung?
Das ZWG regelt, dass eine Zweitwohnung jede Wohnung ist, die weder eine Erstwohnung, noch einer Erstwohnung gleichgestellt ist.

Was ist eine altrechtliche Wohnung?
Dabei handelt es sich um Wohnungen, die am 11. März 2012 rechtmässig bestanden haben oder rechtskräftig bewilligt waren.

Die Umnutzung solcher Wohnungen (ohne bestehende kommunale Auflagen) von Erst- in Zweitwohnungen ist auch in Gemeinden mit über 20 Prozent Zweitwohnungsbestand möglich.

 


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