Der Cantate Chor in Florenz

  16.03.2018 Reisen

Über Nacht hat es endlich wieder geschneit. Am Donnerstag, 1. März versammeln sich 47 Unternehmungslustige frühmorgens am Bahnhof Zweisimmen. Unter kundiger Führung unseres Chor- und Reiseleiters Klaus Burkhalter brechen wir auf nach Florenz. Via Milano und dann mit der «Frecciarossa» mit bis zu knapp 300 km/h erreichen wir nach sechs Stunden Bahnfahrt Florenz, teilweise unter aufgespanntem Regenschirm. Von den erhofften lauen Frühlingslüften ist hier aber nichts zu spüren. Zum ersten Mal seit neun Jahren hat auch in der Toscana in der vergangenen Nacht der Winter mit Schnee und Eis das Szepter ergriffen.

Kurz nach dem Check-in im Hotel Baglioni werden wir von unserem überaus belesenen Stadtführer Matthias Feldmann begrüsst. Die Touren werden in dem historischen Umfeld zu einer spannenden Reise durch das Mittelalter der Toscana. Bei leichtem Regen starten wir in zwei Gruppen bei der Santa Maria Novella, dieser wichtigen gotischen Dominikanerkirche aus dem 13. Jahrhundert. Von den vielen Kostbarkeiten sei Masaccios Meisterfresco der Dreifaltigkeit aus dem 15. Jahrhundert speziell erwähnt, das als erstes Werk der reanaissancetypischen Zentralperspektive gilt. In der Tornabuoni-Kapelle wird mit den Verkündigungsszenen an Maria und Elisabeth für uns der Bezug zu unseren Magnificat-Konzerten im Dezember hergestellt. Ghirlandaio hat hier in Freskenzyklen Szenen aus dem Leben von Maria und an der Wand gegenüber von Johannes dem Täufer festgehalten.

Die Gegend war schon von den Etruskern besiedelt, die Stadt Florenz wurde aber von den Römern gegründet und erlebte im 13. und 14. Jahrhundert als Republik dank der Textilindustrie, dem internationalen Handel und dem Bankwesen einen sagenhaften Aufstieg zu einer Grossstadt und einem Kulturzentrum europäischen Ranges. Florenz wurde durch einige einflussreiche Familien geprägt wie die Strozzi, Pitti, Tornabuoni und am wichtigsten die Medici, die über Jahrhunderte den Ton angaben, und stellte auch zwei Päpste. Dadurch weitete sich die Macht von Florenz über fast die ganze Toscana aus. Die Weltoffenheit und der Reichtum, der durch die Kaufleute und Banker erschaffen wurde, erlaubte es, die Wissenschaften, die Philosophie und die Künste zu fördern und den Geist der Renaissance in zahlreichen grossartigen Palästen, Kirchen, Gemälden und Plastiken umzusetzen, sich so Denkmäler zu schaffen oder Gnade vor dem Jüngsten Gericht zu erwirken. Fast alle namhaften Künstler und Intellektuellen der Renaissance wirkten in Florenz, so Brunelleschi, Donatello, Fra Angelico, Ucello, Masaccio, Leonardo, Lippi, Dante oder Michelangelo. Zahlreiche Familienfehden und Kriege zwischen den toscanischen Städten mit wechselnden Fronten, aber auch Pestzüge forderten aber ihren Tribut.

Beim Einnachten fahren wir mit dem Bus nach Fiesole hoch und erklimmen den vereisten «Stutz» zum Reggio degli Etruschii, wo wir mit opulenten florentinischen Spezialitäten und köstlichem Chianti verwöhnt werden – ein Geheimtyp. Der nächtliche Blick über die verschneiten Hügel und auf die Lichter der Stadt bietet ein ganz spezielles Ambiente.

Bei zumeist regnerischem Wetter gehts am zweiten Tag nach Siena, dieser Stadt auf sieben Hügeln, die ihre Bedeutung dem mittelalterlichen Tourismus, nämlich den Pilgerzügen auf der Frankenstrasse nach Rom und weiter ins Heilige Land, verdankte (Unterkunft, Verköstigung, Banken). Der Legende nach wurde Siena durch Senus, Sohn von Remus (Romulus und Remus mit der Wölfin) gegründet. In der gotischen Kirche San Domenico machen wir Bekanntschaft mit der Schutzpatronin Sienas, der heiligen Katharina, die die Wundmale Jesu empfangen hat und deren Schädel als Reliquie hier verehrt wird. Der Spaziergang durch die engen, mittelalterlichen, z.T. steilen Gassen Sienas führt uns durch diverse Contraden (17 Viertel mit eigenen Tiersymbolen) zum Dom, der wegen der Lage am Berg teilweise zweistöckig angebaut wurde. Dieser gotische Bau aus dem 12. bis 14. Jahrhundert ist aus Ziegeln gebaut, aber mit weissen und grünen Marmorplatten verkleidet. Die Fassade ist dementsprechend überwältigend. Der ehrgeizige Plan, den Bau mit einem noch mächtigeren Querschiff zur grössten Kirche der Christenheit zu erweitern, scheiterte dann im 14. Jahrhundert an der Absenkung eines unvollendeten Teils und am Pestzug, der die Bevölkerung Sienas dezimierte. Im Innern waren ausnahmsweise sämtliche Marmorintarsien an den Fussböden mit antiken und auch biblischen Motiven zu bewundern.

Auch die Piccolomini-Bibliothek mit den prächtigen Fresken lässt nur staunen. Das Zentrum der Stadt bildet der Campo aus dem 12. Jahrhundert. Der muschelförmige, abfallende Platz mit dem Gaia-Brunnen ist umgeben von den eleganten Palästen der reichen Bürger. Hier wird seit dem 13. Jahrhundert jeden Sommer zweimal der Palio, das traditionelle Pferderennen auf ungesattelten Pferden der Contraden, als Höhepunkt des Jahres ausgetragen. Als Preis erhält die Siegercontrada den Palio, einen Banner. Vor der Rückreise können wir bei der Pasticceria Nannini den süssen Verführungen nicht widerstehen.

Der Samstagmorgen steht zur freien Verfügung und wird zu weiteren Erkundungen oder zum Flanieren und Einkaufen benutzt. Am Nachmittag führen uns Matthias und Annina in unmittelbarer Nähe des Hotels durch die Top-Einkaufsstrasse Via Tornabuoni zu den Palazzi Antinori und Strozzi und über die Piazza della Republica, dem Ort des alten römischen Forums, zur Piazza della Signoria. Auf der Piazza und in der Loggia dei Lanzi stehen die Kopien der bedeutensten repräsentativen Skulpturen von Florenz wie der Neptunbrunnen, Michelangelos «David», «Herkules und Cacus» von Bandinelli oder «Der Raub der Sabinerinnen» von Giambologna. Hier präsentierten sich die Noblen ihrem Volk. Zum Schluss besuchen wir den angrenzenden Palazzo Vecchio, der immer noch als Rathaus dient, aber von Cosimo I. Medici als Residenz gewählt wurde und dessen prunkvolle Säle grösstenteils von Vasari im 16. Jahrhundert mit reichen Fresken geschmückt wurden.

Als Kontrast besuchen wir am Abend die Oper von Florenz. Die moderne Architektur besticht durch ihren muschelförmigen Theaterraum mit den geschwungenen, nicht einsehbaren Galerien sowie durch seine Eleganz und hervorragende Akustik. Geboten wird «La Favorite» von G. Donizetti. Musikalisch und szenisch eine wunderschöne Aufführung mit einfachem, stilisiertem Bühnenbild. Die Handlung nimmt auch Bezug zu den Idealvorstellungen von Frauen, Liebe und Ehre vergangener Jahrhunderte, denen wir zuvor auf unseren Touren durch die Städte begegnet sind.

Am Sonntagmorgen ist es deutlich wärmer und zeitweise strahlt schon die Sonne auf unserem Streifzug durch den Dom-Bezirk. Wir spazieren um San Lorenzo, der Hauskirche der Medici. Sie wurde von Brunelleschi entworfen, die Pläne der Marmorfassade von Michelangelo wurden jedoch nie realisiert. Auf der eindrücklichen Piazza San Giovanni dominieren die prachtvollen, mit weissem und grünem Marmor versehenen Bauten des gewaltigen Doms, des Giottoturms und des Babtisteriums. Das oktagonale Babtisterium zählt zu den ältesten Gebäuden der Stadt und lehnt sich stark an die antike römische Baukunst an. Besonders wertvoll sind die Mosaike mit byzantinischem Einfluss an der Kuppel, die in mehreren Reihen Szenen aus dem Altem und Neuen Testament und den übergrossen Christus als Weltenrichter darstellen. Weltberühmt sind die riesigen Bronze-Relief-Portale, deren Neugestaltung 1401 in einem Wettbewerb ausgeschrieben wurde. Ghiberti erhielt den Auftrag und setzte sich gegen so grosse Künstler wie Brunelleschi und Donatello durch. Nach der langjährigen Ausführung des Nordportals erhielt er auch den Auftrag für das Ostportal, das wegen seiner vollendeten Schönheit «Porta del Paradiso» genannt wurde. Die Originale dieser Portale bestaunen wir im neu gestalteten Museo dell’Opera del Duomo. Hier begegnen wir auch der unvollendete «Pietà» von Michelangelo und Donatellos büssenden «La Maddalena», eindrückliche Plastiken mit psychologischen Aussagen.

Erfüllt von den vielen Eindrücken treten wir am Sonntagnachmittag die Heimreise an. Die ganze Stadt Florenz ist ein lebendiges, bewohntes Museum, in dem man wochenlang neue Kostbarkeiten entdecken könnte. Die angenehme Reise, die Auswahl der Besuche, die lehrreichen Führungen, das Hotel und die Mahlzeiten in froher Gesellschaft – alles war perfekt bis ins Detail organisiert. Herzlichen Dank an Klaus!

RUDOLF MINNIG


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