Konservative als Schutzwall für die Demokratie

  27.07.2018 Leserbeitrag

Die einst grossen, konservativen Volksparteien bildeten bisher fast überall in den westlichen Demokratien ein wichtiges Bollwerk gegen den Rechtspopulismus. Doch nun knicken sie gleich reihenweise ein. Der kürzlich gescheiterte Aufstand des deutschen Innenministers und CSU-Chefs Horst Seehofer gegen Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel ist ein besonders peinliches Beispiel der Krise der konservativen Parteien. Seehofer wollte mit seinen radikalen migrationspolitischen Plänen der Konkurrenz von ganz rechts das Wasser abgraben, weil er fürchtet, die Alternative für Deutschland (AfD) könnte bei den Bayern-Wahlen im Herbst massive Gewinne einfahren. Das Muster ist fast überall das gleiche: Die traditionellen Konservativen grenzen sich nicht mehr von Rechtspopulisten ab, sondern übernehmen zu grossen Teilen deren Positionen, lassen sich vor ihnen hertreiben oder gehen gar Bündnisse mit ihnen ein. Der Paradefall ist Österreich: Einem Chamäleon gleich hat sich die Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter Bundeskanzler Sebastian Kurz der rechtsextremen Freiheitlichen Partei (FPÖ) angeglichen und sich gar auf eine Regierungskoalition mit ihr eingelassen. Im Nachbarland Ungarn ist der Chef der einstigen konservativen Partei Fidesz, Victor Orban, gleich selbst zum Populisten mutiert. In Italien füllt die fremdenfeindliche Lega unter Matteo Salvini das Vakuum aus, das Silvio Berlusconis Forza Italia hinterlassen hat. Die Lega bildet mit der schwer fassbaren, zwischen Rechts- und Linkspopulismus oszillierenden Fünf-Sterne-Bewegung seit kurzem die italienische Regierung. In Grossbritannien wiederum liess sich der konservative Premierminister David Cameron 2016 von der United Kingdom Independence Party (Ukip) und dem rechten Flügel seiner eigenen Partei in die Brexit-Abstimmung treiben, deren wenig erbauliche Konsequenzen wir beinahe täglich mitverfolgen können. Und in den USA hat sich die einst stolze «Grand Old Party», die Republikanische Partei, ausser einigen kritischen Zwischenrufen, dem populistischen Präsidenten vollständig ausgeliefert. Die Republikaner haben das Heft aus der Hand gegeben und lassen Donald Trump praktisch unbeschränkten Spielraum. Die klassischen konservativen Parteien sind für das Überleben oder zumindest für die Qualität einer Demokratie von grosser Bedeutung. Diese Meinung hat der amerikanische Historiker Daniel Ziblatt vor rund einem Jahr in einer umfassenden Studie («Conservative Parties and the Birth of Democracy») vertreten. Für die Geburt und die Stabilität der liberalen Demokratien im 19. und 20. Jahrhundert sei – nebst anderen Faktoren – vor allem das Verhalten der bisherigen, alten Eliten sehr wichtig gewesen: Wenn diese bereit gewesen seien, sich zu einer stabilen, konservativen, politischen Kraft zu formieren, gleichzeitig das Wahlrecht auszudehnen und mehr politische Konkurrenz zuzulassen, hätten demokratische Bewegungen Raum zur Entfaltung erhalten. Musterbeispiel: Grossbritannien. Dort, wo sich dieser Prozess schwierig gestaltete oder unmöglich war, seien demokratische Entwicklungen kollabiert und anfällig für rechtsextreme oder faschistische Bewegungen geworden. Das Musterbeispiel dafür ist das Deutschland der 1930er-Jahre: Die konservativen Eliten waren organisatorisch schwach und rückständig. Sie glaubten, sich mit Rechtsextremen verbünden zu müssen, um ihr Überleben zu sichern. Eingetreten ist das Gegenteil: Sie wurden von den Nationalsozialisten hinweggefegt.

Der Historiker Daniel Ziblatt sieht durchaus Parallelen zu aktuellen Entwicklungen: «Das Zeitalter der Entstehung der Demokratie mag als warnendes Beispiel für unsere Zeit der Krise der Demokratie gelten.» Starke konservative, rechte oder Mitte-rechts-Parteien sind also zentral für die Erhaltung einer Demokratie – sofern sie das Selbstbewusstsein und die Kraft aufbringen, sich kompromisslos von rechtspopulistischen oder gar rechtsextremen Parteien abzugrenzen und keinerlei Bündnisse mit ihnen einzugehen.

JÜRG MÜLLER
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