Ein Traum von 36 Stunden

  30.11.2018 Gewerbe

Er bezeichnet sich selbst als Genussalpinist, Berghütten-Fan, Wander(ver)führer und Bettenschieber. Tausendsassa Ruedi Hählen amtet seit 20 Jahren als Hüttenchef und oft gerne auch als Hüttenwart auf der Grubenberghütte und sieht keinen Grund, damit aufzuhören.

KEREM S. MAURER
Seit seiner Kindheit ist Ruedi Hählen ein begeisterter Bergsteiger, Skitourengänger und Schneeschuhwanderer. Durch seine naturnahen Hobbys kam er mit SAC-Berghütten, wo er oft übernachtete, in Kontakt. Hählen begann das Hüttenleben und die spezielle Geselligkeit, wie es sie nur in Berghütten gibt, zu lieben. «Ich wurde ein richtiger Hütten-Fan!», sagt er lachend von sich selbst und gesteht, dass in ihm schon lange der Wunsch keimte, eines Tages selber eine Berghütte zu bewirtschaften. Im Jahr 1998 war es dann endlich so weit. Doch vorher machte er noch einige Ausbildungen.

Über Post und Bank zur Hütte
Nach seiner Lehre bei der Post in Spiez arbeitete Ruedi Hählen in den Bahnpostzentren Bern und Lausanne, bis ihm diese Arbeit und das Stadtleben verleideten. 1988 kehrte er nach Gstaad zurück. Dort arbeitete der passionierte Skifahrer während fünf Wintern in einem Gstaader Skisportgeschäft als Skimonteur und -verkäufer. In den frühen 1990er-Jahren wurde der Klimawandel ruchbar und Ruedi Hählen sah im Skibusiness keine rosige Zukunft mehr. Just in dieser Zeit kündigte die Sekretärin im elterlichen Betrieb in Gstaad, was Ruedi Hählen veranlasste, «aus Verlegenheit und ohne kaufmännische Ausbildung» ins elterliche Geschäft einzusteigen. Doch er packte den Stier bei den Hörnern. In der Saanen Bank absolvierte er die kaufmännische Lehre und übernahm als frischgebackener Bankkaufmann 2002 die elterliche Hählen AG, bei der sich alles ums Thema Betten für Erwachsene und Babyartikel dreht. Unlängst liess er sich ausserdem zum Liege- und Schlafberater ausbilden.

Doch sein grosser Traum von der Berghütte liess Rued Hählen, der sich inzwischen beim Schweizer Bergführerverband SBV zum Wanderleiter ausbilden liess, nicht los. «Ich wollte unbedingt einmal einen Sommer lang in einer Hütte arbeiten oder sogar eine Stelle als Hüttenwart übernehmen», sagt er. 1993 habe er Hanspeter Müllener, einen ehemaligen Schulfreund, in Gstaad wiedergetroffen, erinnert er sich. Müllener war damals Hüttenchef der Grubenberghütte, einer sektionseigenen Hütte der Gstaader SAC-Sektion Oldenhorn mit 32 Schlafplätzen, die von Mai bis Oktober jeweils an den Wochenenden von Sektionsmitgliedern oder anderen Helfern ehrenamtlich betreut wird. Müllener habe ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, diese Hütte einmal für ein Wochenende als Hüttenwart zu bewirtschaften. «Ich sagte natürlich sofort begeistert zu!» Hählen übernahm gleich drei Wochenenddienste und war Feuer und Flamme für diese Tätigkeit. Als er seine kaufmännische Ausbildung fertig hatte, demissionierte Müllener als Hüttenchef und Hählen übernahm dieses Amt. Damit ging sein lang gehegter Traum in Erfüllung. Allerdings nicht in dem Ausmass, wie er sich das vorgestellt hatte. «Ich wollte eigentlich einen ganzen Sommer lang auf einer Hütte sein und nicht nur an den Wochenenden.»

Vom eigenen Süppchen zur Halbpension
«Seinerzeit, als ich die Grubenberghütte 1998 übernahm, war es noch so, dass jeder seine Wurst und seine Suppe selber mitbrachte und sich sein Essen in der Küche zubereitete», erinnert sich Hählen. Doch der selbsternannte Hütten-Fan fände es cool, «wenn man den Gästen Halbpension anbieten könnte!» Natürlich waren nicht alle Hüttenwartteams von dieser Idee begeistert, wenige sind sogar abgesprungen. Ruedi Hählen übernahm in der Folge eine Doppelfunktion als Hüttenchef, der sich um die Administration kümmerte, und auch als Hüttenwart, der die Bewirtschaftung der Hütte sowie die Gästebetreuung unter sich hatte.

Doch die Halbpension war nur sein erster Streich. Hählen revolutionierte das Hüttenwesen auf der Grubenberghütte. Er initiierte Events wie Live-Jazz oder die Erzählnacht für Erwachsene und er legte neue Wanderwege an. Hählen lebte in der Grubenberghütte seinen Traum und das tut er noch heute. «Ich kann mich dort oben wunderbar selber verwirklichen!», sagt er mit leuchtenden Augen. Er ist noch immer voller Enthusiasmus bei der Sache. Wenn er am Samstagvormittag zur Hütte kommt, hisst er die Fahne und heizt den Ofen ein, bevor die ersten Tagesgäste eintrudeln. Diese bewirtet er mit Speis und Trank. Nachmittags treffen die Übernachtungsgäste ein. Hählen kocht an Spitzen-Wochenenden für bis zu 30 Gäste, die sich alle zusammen um halb sieben an die Tische setzen. Dabei entstehen die wunderbarsten Begegnungen. Sonntags ist er wieder früh auf den Beinen und serviert den Gästen ihr Frühstück, bevor diese die Hütte verlassen. Danach richtet er die Hütte für die Tagesgäste ein, welche nie lange auf sich warten lassen. Er kocht Suppe, macht Käseschnitten, backt Früchtekuchen usw. Alles auf dem Holzfeuer, denn die Solarpanels liefern nur Strom für den Kühlschrank und die Beleuchtung. Am späteren Sonntagnachmittag wird es ruhig auf der Grubenberghütte. Hählen bringt die Hütte auf Vordermann und beendet den Betrieb. Zuhause in Zweisimmen lässt er die vergangenen 36 Stunden auf dem Berg gerne bei einem entspannten Schaumbad noch einmal Revue passieren.

Seit einigen Jahren hilft er während der Skitourensaison in der SAC-Wildhornhütte mit ihren 96 Schlafplätzen aus. Das sei ein knallharter Job und habe mit Berghüttenromantik, wie man es sich als Gast vielleicht vorstellt, nichts zu tun. Dank dieser Erfahrung gelangte Ruedi Hählen zur Erkenntnis, dass die Grubenberghütte genau das Richtige für ihn ist: nämlich ein Hobby. Und das soll es auch bleiben.

Vor dem Berg sind alle gleich
Hählen erzählt, dass sich einmal eine Gesellschaft aus der gehobenen Klasse zusammen mit einer Gruppe aus einer Institution für Menschen mit Behinderungen zum Übernachten angemeldet hatten. Zum Nachtessen sassen die beiden Gesellschaften am selben Tisch. Die zuvor heterogene Gruppe sei am Tisch zu einer homogenen Einheit verschmolzen. Unterschiede in Sachen Herkunft oder körperlicher Verfassung seien wie weggewischt gewesen. Alle hätten zusammen geredet, gelacht und sich die Speisen weitergereicht.

Das Hüttenleben sei etwas ganz Spezielles, habe seine eigenen Dynamiken. Alle kämen her, um eine Auszeit zu geniessen. «In der Natur und vor dem Berg sind alle gleich – und das ist es, was mich an diesem Leben derart fasziniert!», sinniert Hählen.

Kein Grund, damit aufzuhören
Ruedi Hählen strahlt bei allem, was er macht und erzählt eine grosse Zufriedenheit aus. Auf die Frage, ob er – wenn er das Rad der Zeit zurückdrehen könnte – alles noch einmal so machen würde, wie er es gemacht hatte in seinem Leben, sagt er ohne zu zögern: «Ja, hundertprozentig!»

Auch die Grubenberghütte will er in Zukunft noch weiterführen. Der heute 52-Jährige denkt nicht ans Aufhören. Im Gegenteil: Wenn er dereinst im Pensionsalter sei, könne er es sich gut vorstellen, seine Aktivitäten auf der Hütte sogar noch auszuweiten. Dann nämlich, wenn er frei sei von anderen geschäftlichen Verpflichtungen. Denn: «Es gibt immer viel zu tun auf der Grubenberghütte!» Vielleicht würde er dann auch länger als nur 36 Stunden am Stück auf der Hütte verbringen.


DIE GRUBENBERGHÜTTE: DURCHGEHEND OFFENE SCHUTZHÜTTE

Lage: am Fuss der Gastlosen-Gebirgskette
Höhe: 1840 m ü.M.
Kapazität: 32 Schlafplätze
Saison: an den Wochenenden von Mai bis Oktober, übrige Zeit auf Anfrage
Reservationen: Grubenberghütte, Postfach 167, 3780 Gstaad; Tel. 079 335 27 62; E-Mail: [email protected]

www.grubenberghuette.ch


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