100 Jahre Wirtschaftliche Genossenschaft Turbach

  10.05.2019 Turbach

Was war denn am Sonntag, 5. Mai im Turbach los, dass Jung und Alt bei Schneegestöber dem Schulhaus zuströmten? Dort fand nicht nur die Jahresversammlung, sondern anschliessend auch eine Feier zum 100. Geburtstag der wirtschaftlichen Genossenschaft statt.

Nach dem kurzen geschäftlichen Teil wartete auf die Teilnehmer ein Apéro und später ein gutes Mittagessen mit Fleisch vom Grill, Pommes frites und gemischtem Salat. Bis zum Dessert mit «gluschtigem» Kuchen und Glace hatten alle Zeit, mit Fragen zum Tal und seinen Bewohnern ihre Hirnzellen zu aktivieren. Herzlichen Dank allen Helfern, die alles so gut vorbereitet und durchgeführt haben!

Während der Versammlung führte uns Christoph Bach, der 21. Präsident der Genossenschaft, in kurzen Zügen zu den wichtigsten Punkten der hundertjährigen Geschichte: Die noch heute bekannten Flurnamen wie Sattler, Nagler, Gärbi usw. deuten noch heute darauf hin, dass sich unsere Vorfahren im schwer zugänglichen Tal selber zu helfen wussten.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde es einigen Bewohnern zu anstrengend, die lebensnotwendigen Waren immer von Gstaad heraufzuschleppen. Deshalb wurde auf Initiative des in Turbach geborenen Gesamtschullehrers Ernst Frautschi am 17. Februar 1919 mit neun Personen die wirtschaftliche Genossenschaft Turbach gegründet. Ihr Plan bestand aus dem Bau eines Strässchens und der Errichtung eines Lebensmittelladens. Mit Obligationen und Darlehen konnte das jetzige «alte Konsumgütlein» erworben werden. Helferdienste beim Aufbau leisteten der Verband schweizerischen Konsumvereine und der landwirtschaftlichen Genossenschaften. Gute Handwerker aus den eigenen Reihen bauten den Laden unter anderem mit viel Windfallholz auf. Da niemand auf Ladenerfahrung zurückgreifen konnte, gestaltete sich der Start schwierig und erforderte am Anfang wöchentliche Vorstandssitzungen!

1920 kam der erste Telefonanschluss ins Tal. Im selben Jahr begann man Spargelder anzunehmen und eröffnete das Kaffeestübli.
Nach knapp zwei Jahren kündigte das erste Verwalterehepaar Christener. Kurzentschlossen übernahmen Christian und Emilie Frautschi-Ogi die Geschäftsführung. Gesamtlohn monatlich Fr. 320.–, ohne Lohnerhöhung bis 1949!

1927 bewilligte die Kreispostdirektion die Postablagestelle Turbach. 1930 wurde die Genossenschaft in den Verband Bernische Käserei- und Milchgenossenschaften aufgenommen. Der Butterhandel gestaltete sich zuerst schwierig. Mit dem Kauf einer Zentrifuge konnte die gelieferte Milch zu Rahm und Butter verarbeitet werden. Diese Produkte fanden in Thun und Burgdorf Absatz. Bald folgte auch die Installation des elektrischen Lichtes und die Einrichtung einer Ferienwohnungsvermittlung.

1946 übernahm die Genossenschaft die Funktion des Verkehrsvereins. Mit seinem Pferd Joggi, mit Schlitten oder Wägeli, führte Christian Frautschi bei jedem Wetter Nachschub für den Laden, Paket- und Briefpost und das Gepäck der Feriengäste von Gstaad in den Turbach.

Nach der Einführung all dieser Errungenschaften traf ein schlimmer Rückschlag das junge Unternehmen: Ein einstündiges schweres Hagelwetter und intensiver Regen im Heuberg liessen den Bach am 20. Juli 1948 so stark anschwellen, dass alle Brücken bis zur Bissenbrücke weggeschwemmt wurden. Leider wurde dabei auch das Ladenlokal samt vielen Waren und Einrichtungen zerstört oder gar weggerissen.

Nach diesem Ereignis verlegten die Talbewohner das Strässlein trotz hoher Kosten auf die Sonnseite des Tales bis zur «Statt» hinein. Damit wurden die «Heimetli» auch besser erschlossen. An der neuen Strasse konnte von der Genossenschaft Land erworben und ein neues Haus mit Laden, Postbüro und Wohnung errichtet werden. Im November 1949 wurde das Haus bezogen. Milchlokal und Garage kamen später dazu.

Nach 28 Jahren Verwaltungstätigkeit übergaben Frautschis den Betreib an ihre Tochter Ruth und den Schwiegersohn Albert. Von Grünigens gelang es, eine Postautoverbindung einzurichten. Zuerst mit einem Willys-Stationswagen mit zwei Kursen pro Tag, später mit verschiedenen kleinen Bussen und immer mehr Kursen. Mit grossem Einsatz besorgten die Verwalter den Laden, die Post mit Briefträgerdienst, die Schneeräumung und vieles mehr. 1975 zogen die beiden ins neue Posthaus und besorgten dort auch die Geschäfte der neu gegründeten Raiffeisenkasse.

Im Laden amtete jetzt Martin Humm als Pächter. Einige Jahre später kam seine Frau Susi dazu, die sich vor allem dem Laden widmete. Als ehemaliger Laborant konnte Martin mit regelmässigen Proben die Qualität der Rahmund Milchlieferungen auf hohem Niveau halten. Bis 1978 wurde Rahm geliefert, dann je länger, je mehr auch Milch. Wechselnde Milchabnehmer und immer grössere Milchmengen erforderten wieder und wieder Anpassungen mit grösseren Tanks, Absaugpumpen, Milchwaagen usw. Später stellten einige Bauern auf Bio um, was die Milchannahme komplizierter machte. Zum Glück schafften einige Lieferanten Tanks mit elektrischer Kühlung an, so konnten die Gebrüder Frautschi die Milch direkt ab Hof holen.

Die «Epoche Humm», in der auch Futtermittelvertrieb und Benzintank-Service dazugehörten, dauerte bis Juni 2011. Im Jahr zuvor beschloss die GV den Neubau von zwei Häusern. Ein Gebäude mit vier Wohnungen und ein zweites mit Laden und einer Wohnung plus Fernheizung für Nachbarn. Die Milchsammelstelle wurde auf das alte Konsumgüetli am Bach ausgelagert. Im Dezember 2012 konnte der neue Talladen mit Selbstbedienung eröffnet werden. Seit Oktober 2012 sorgt Cornelia Zahler als Hauptverantwortliche mit ihren Ablöserinnen umsichtig für einen guten Betrieb.

Heute erfüllt uns Freude und Dankbarkeit, dass unsere Jubilarin, die wirtschaftliche Genossenschaft Turbach, trotz immenser Herausforderungen über all die Jahre hinweg mit ihren vier Standbeinen Laden, Milch, Wohnungen und Fernwärme (vier Bezüger) recht gut dasteht. Ein Beispiel dafür, was gute Zusammenarbeit auch in kleineren Talschaften bewirken kann. GRETI REICHENBACH


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