Geschichte des Jassens – Der Jass-Röstigraben

  31.01.2020 Leserbeitrag

Mehr als drei Millionen Schweizerinnen und Schweizer können jassen und betreiben auch regelmässig diesen «Nationalsport». Seit 2011 ist das Jassen sogar auf der Unesco-Liste der «Lebendigen Traditionen der Schweiz» aufgeführt. Der «Samschtig-Jass» gehört sogar zu den ältesten Unterhaltungssendungen in der Deutschschweiz. Das war jedoch nicht immer so. Jassen genoss nicht immer und überall einen guten Ruf. Der älteste Schweizer Beleg für das Wort «Jassen» aus dem Jahr 1796 berichtet nämlich von einer Klage gegen zwei Bauern, die in Schaffhausen «um ein Glas Wein» spielten mit einem Spiel, «welches man Jassen nenne». Die Stadt Bern hatte schon viel früher, 1367, ein Verbot erlassen und das Spielen mit Karten unter Strafe gestellt. Dieses Verbot gilt ganz allgemein als ältester Hinweis auf das «Gebetbuch des Teufels» – wie das Kartenspiel etwa bezeichnet wurde. Aber auch andere Städte untersagten in jener Zeit das Spielen mit Karten.

In bestimmten Kreisen ist das Jassen auch heute noch ein Spiel, bei dem man nicht mitspielen sollte. In der Mitte des letzten Jahrhunderts wurde zum Beispiel der Pfarrer von Saanen gerügt, weil er beim Jassen im Wirtshaus ertappt worden war. Und als der Pfarrer von Saanen vor etwa dreissig Jahren seine Freude am Jassen öffentlich aussprach, bekam er einen Brief mit der Warnung, Jassen sei eine schwere Sünde. Dies wurde begründet mit dem Hinweis, der Trumpf-Bube habe seinen Ursprung in Christus, und mit Christus dürfe man nicht spielen. Das – so hiess es – gelte auch für die Kartenfarbe Kreuz. Doch der Bube ist kein Symbol für Christus und das, was wir beim Jassen als Kreuz bezeichnen, hat nichts mit dem Kreuz Christi zu tun. Denn dort, wo die französischen Karten herkommen, heisst die Farbe Kreuz «trèfle». Und «trèfle» bedeutet Kleeblatt. Auf den Kreuz-Karten ist zwar kein vierblätteriges Kleeblatt abgebildet, das ganz sicher Glück bringen sollte, sondern ein dreiblätteriges. Denn beim Jassen entscheidet nicht immer nur das Glück, sondern auch das Können.

Die ablehnende Haltung gegenüber dem Jassen und dem Kartenspiel wird verständlich, wenn man bedenkt, wer das Kartenspiel in die Schweiz gebracht hat. Es waren wohl protestantische Söldner, die das Kartenspiel im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in die Schweiz gebracht haben. Und bei den Söldnern wurde offenbar beim Spielen auch recht stark geflucht, und es ging fast immer um Geld. Schliesslich wurden die Karten auch gebraucht, um die Zukunft zu lesen und Geister zu beschwören. Wegen des Jassens verarmte im Laufe der Jahre auch manche Familie, weil die Väter ihr ganzes Vermögen und noch viel mehr beim Kartenspiel verspielt hatten. Das Jassen hat in der Zwischenzeit seinen schlechten Ruf aber weitgehend verloren. Geblieben ist jedoch die Spielsucht und die falsche Hoffnung, endlich einmal Glück zu haben. Aber nicht beim Jassen, sondern in den Schweizer Casinos werden dafür pro Jahr zirka 700 Millionen umgesetzt. Viele Spieler bleiben dabei auf der Strecke mit Spielschulden, die sie bis ans Lebensende kaum mehr abstottern können.

Wenn jemand beim Jassen in eine Abhängigkeit hineingerät, dann sind jedoch nie die Spielkarten dafür verantwortlich, sondern die Spieler selber. Spielkarten sind bloss Spielgeräte, die helfen, vergnügliche Stunden zu gestalten. Solange kein Geld ins Spiel kommt. Im Gegensatz zu all den unzähligen Computerspielen haben Spielkarten auch eine lange Geschichte und Tradition. Sie haben ihren Ursprung vermutlich in Ostasien. Die frühesten Spielkarten sind in Korea und China des 12. Jahrhunderts nachweisbar. Vermutlich wurde aber schon viel früher mit Karten gespielt. Nicht nur die Spielkarten, sondern auch der Name des schweizerischen Nationalspiels hat eine lange Geschichte. Und auch der Name hat einen ausländischen Ursprung. Denn die Bezeichnungen «Jass» oder auch «Jas» für den Buben kommen aus den Niederlanden. So haben wir vieles, worauf wir Schweizer und Schweizerinnen stolz sind, eben doch letztlich dem Ausland zu verdanken. Nicht nur die Spielkarten, sondern auch der Name unseres Nationalspiels wurde ja aus den Niederlanden importiert.

Zur Geschichte des Jassens gehört natürlich auch der Jass-Röstigraben in der Schweiz. Westlich einer Linie Brünig–Napf–Reuss wird mit französischen Karten gespielt (Herz, Ecken, Kreuz und Schaufel), und östlich dieser Linie wird mit wenigen Ausnahmen mit Deutschschweizer Karten gespielt (Schelle, Schilte, Rose und Eichel). Trotz der verschiedenen Kartenbilder sind die Spielregeln für die gängigsten Jassvarianten aber auf beiden Seiten die gleichen. Und das ist typisch für die kulturelle Vielfalt in der Schweiz. Das, was für den Zusammenhalt entscheidend ist (die Regeln), verbindet die Menschen miteinander, und das, was unterschiedlich ist (die Kartenbilder), macht das Leben in der Schweiz bunt und interessant.

Die Entstehung des Jass-Röstigrabens ist unklar. Aber weil dieser Graben schon so uralt ist, hat er sicher auch etwas mit der Politik zu tun, mit dem Königreich Burgund im Westen und mit dem Herzogtum Schwaben im Osten. Für die übrige Welt hat der Schweizerische Jass-Graben jedoch keine Bedeutung. Denn bei den Kartenspielen, die weltweit gespielt werden (Bridge, Rommé Patience, Poker usw.), dominieren die französischen Spielkarten. So ist wohl manches, dem wir in unserem Land grosse Bedeutung beimessen, für die weite Welt nicht so wichtig.

ROBERT SCHNEITER


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