Jassen – Spiel mit 36 Karten

  14.01.2020 Leserbeitrag

Jassen ist nicht einfach nur ein Zeitvertreib. Jassen ist mehr. Jassen ist spielen. Und spielen ist erfüllte Lebenszeit. Denn: «Wir hören nicht auf zu spielen, weil wir alt werden. Wir werden alt, weil wir aufhören zu spielen.» (Bernard Shaw)

Zeit lässt sich übrigens gar nicht vertreiben. Aber man kann die Lebenszeit, die einem zur Verfügung steht, auf ganz verschiedene Art und Weise füllen oder leer lassen. Und wer in der Familie oder im Freundeskreis miteinander spielt – oder eben einen Jass «klopft» – kann sogar spielend erfüllte Zeit erleben.

Erwachsene haben manchmal das Gefühl, spielen sei eine nutzlose Tätigkeit, obwohl es alle machen – auch die Tiere. Spielen sollte immer ein fester Bestandteil des Lebens und der menschlichen Kultur sein – ob in kleinen oder grossen Gruppen, bewusst oder unbewusst, ob für sich alleine am PC oder in guter Gesellschaft. Denn nach dem Sinn des Spielens muss man nicht fragen. Der Sinn des Spielens ist das Spielen selbst.

Spielen und Jassen sind zwar nicht lebensnotwendig, aber sie können sehr viel zu einem erfüllteren Leben beitragen. Die Nebenwirkungen des Spielens und Jassens sind nämlich sehr erfreulich und beachtlich. Denn beim Spielen und Jassen kann man die Zeit vergessen. Man ist ganz versunken im Hier und Jetzt. Und das wirkt besonders dann befreiend, wenn das Leben es gerade nicht so gut meint mit einem. Friedrich Schiller wagte sogar die Aussage: «Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.»

Jassen fördert zugleich auch die geistige Beweglichkeit. Gehirnzellen können sich beim Jassen ganz neu vernetzen. Dadurch wird das Gedächtnis gefördert. Spielen und Jassen beleben auch die lebenswichtigen sozialen Kontakte. Und schliesslich kann man bei den andern, die mitspielen, immer wieder neue Eigenschaften entdecken und so die eigene Menschenkenntnis verfeinern. Geteilter Spass beim Spielen ist also doppelter Spass.

Das alles gilt jedoch nur, wenn es beim Spielen nicht um Geld geht und das Spielen nicht zur Sucht geworden ist. Sobald viel Geld im Spiel ist, sind Jassen und Spielen nicht mehr Spiel, sondern todernste Sachen. Denn wer verliert, wenn viel Geld im Spiel ist, macht Verluste. Und jeder Verlust tut weh und bewirkt einen Frust. Jassen und Spielen sollten aber gerade Freude bereiten und die Möglichkeit bieten, verlieren zu können, ohne dass das eigene Selbstwertgefühl Schaden nimmt, und gewinnen zu können, ohne überheblich zu werden und zu meinen, man sei besser als die anderen.

In allem, was einem gut tut im Leben und einen den Alltag ein wenig vergessen lässt, steckt letztlich aber auch die Versuchung, es so intensiv zu betreiben und zu geniessen, dass der Alltag einen eines Tages plötzlich wieder unsanft einholt. Denn es gibt im Leben halt doch viele Sachen, die noch wichtiger sind als Jassen und Spielen. Aber die regelmässigen spielerischen Auszeiten sind trotzdem eine gute Medizin zur Stärkung der Lebensfreude. Während der spielerischen Auszeiten kann man sich erholen und stärken, damit es gelingt, im Alltag auch dann gut zu «spielen», wenn das Schicksal und das Leben einem wieder einmal schlechte Karten zugeteilt haben. Darin besteht ja letztlich eine grosse Lebenskunst, dass es einem gelingt, nicht nur beim Jassen, sondern auch im Alltag mit schlechten Karten gut zu spielen.

Jeder Tag bietet unzählige Möglichkeiten, den Alltag zu gestalten. Und die 36 Spielkarten eines Jassspiels können einem dabei helfen. Denn mit diesen 36 Karten sind unzählige Spielarten und Spielvarianten möglich. Man kann zwar nie zum Voraus wissen, was für Karten man beim Spielen bekommt. Aber man kann immer selber bestimmen, wie man mit den Karten, die man bekommen hat, spielen will. Am einfachsten ist aber, wenn man gute Karten bekommt. Aber mit den besten und mit den schlechtesten Karten kann sich das Blatt und das Schicksal im Laufe der Zeit und des Spiels immer wieder wenden. Auch bei höchster Konzentration, grösster Geduld und gutem Gedächtnis bleibt Jassen aber zu 50 Prozent ein Glücksspiel. Beim beliebtesten Jass zu viert, dem Schieber, sagt man, der Spielverlauf sei bis zu 90 Prozent Glücksache. Aber oft passiert es, dass gute Jasserinnen und Jasser mit schlechten Karten gegen schlechte Jasserinnen und Jasser mit guten Karten gewinnen. Auch dann, wenn man die Karten fest im Griff hat, hat man den Spielverlauf noch lange nicht im Griff. Aber es ist eine Tatsache, dass beim Jassen kein Spieltag gleich verläuft wie der andere. Nach Tagen mit schlechten Karten kommen ganz sicher auch wieder bessere Zeiten. Im Alltag und beim Jassen ist es darum hilfreich, sich immer wieder an das Jodellied «Ä gschänkte Tag» von Adolf Stähli zu erinnern und sich selbst zu singen: «…vergiss im Läbe nie, dass alli Wulche witer zieh.» Beim Jassen könnte man sogar singen: «…vergiss bim Jasse nie, dass schlächti Charte witerzieh.»

ROBERT SCHNEITER


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