Familie Gyger – ein Schlagzeuger und viel Brass

  31.03.2020 Porträt

Verschiedentlich haben wir in dieser Zeitung über die musikalischen Erfolge von Mitgliedern der Familie Gyger berichtet. Nun wollten wir wissen, was den Geist einer solchen Familie ausmacht. Dazu habe ich Véronique und Kurt Gyger mit ihren drei Söhnen Samuel, Cédric und Sascha in ihrem Zuhause in Schönried zu einem Gespräch getroffen.

ÇETIN KÖKSAL
Vater Kurt hatte vor Wochen schon die Organisation unseres Termins übernommen, was kein leichtes Unterfangen war, denn die beiden älteren Söhne Samuel und Cédric studieren in Bern und Zürich. Berücksichtigt man dann auch die musikalischen Aktivitäten der übrigen Familienmitglieder, gleicht bereits das Finden eines Datums, an dem alle zusammen im heimischen Schönried sind, einem kleinen Kunststück. Unser Gespräch fand kurz vor dem Corona-Lockdown statt, und wir alle waren froh, eine ganze Weile über Musik sprechen zu können.

Leidenschaft Brass Band
Nun sitze ich mit Gygers an ihrem Familientisch und möchte gerne wissen, woher die intensive Beziehung zur Musik stammt. Natürlich von den Eltern, aber warum und wie ist es dazu gekommen? Die gebürtige Walliserin Véronique antwortet lebhaft: «Ich bin schon in eine musikalische Familie hineingeboren worden, habe mit sechs Jahren angefangen, Musik zu machen und wurde sehr von meinem Vater gefördert.» Am Konservatorium in Sitten nahm sie Kornett-, Klavier- und Solfègeunterricht und mit sechzehn Jahren ging sie nach England – der Wiege der Brass Band – um sich in dieser Kunstform weiterbilden zu lassen. Anschliessend besetzte Véronique als erste Frau die Position der Principal-Solokornettistin in einer der renommiertesten Brass Bands der Schweiz. Auch als Dirigentin machte sie sich einen Namen und ging als Pionierin voran, was auch in dieser damals traditionell männerdominierten Szene nicht immer leicht war. Noch heute spürt man sofort den aufkeimenden Ärger, wenn Véronique über die frauenfeindlichen Verhältnisse spricht: «Als ich zum ersten Mal als Dirigentin mit meiner Band an einem Konzert auftrat, bemängelte ein Zuhörer tatsächlich, dass ich anstatt einer schwarzen Hose doch bitte schön einen Jupe hätte anziehen sollen. Ich konnte kaum glauben, was ich mir da anhören musste!» Véronique führt weiter aus, dass sie die Betonung ihres Geschlechts in Kritiken oder Anmerkungen immer sehr gestört hätten. «Ich wollte immer, dass man meine Leistung bewertet – nicht meine Leistung als Frau.»

Glücklicherweise hatte die emanzipierte, talentierte junge Frau in Kurt einen ruhigen Partner gefunden, der ihre Passion für die Musik bis heute teilt und sie in ihren Ambitionen unterstützt. «Nachdem wir uns kennengelernt hatten, wusste ich sehr bald, dass ich nicht mehr weitersuchen musste», erzählt er mit verschmitztem Lächeln. Nun, Kurt nahm bei Véronique Kornett-Unterricht, übte fleissig, denn er wollte seine Angebetete ja beeindrucken, machte auch entsprechende Fortschritte und brachte es sogar zum Schweizer Vizemeister auf seinem Instrument. Nach diesem Erfolg und der ebenso gelungenen, privaten Eroberung seiner Lehrerin legte sich Kurts Fleiss im Kornettüben allmählich, sodass die professionell strenge Véronique ihm eines Tages erklären musste, dass es schade für sein Geld und ihre Zeit sei, wenn er jeweils unvorbereitet in den Unterricht komme. Kurt akzeptierte dieses Verdikt und muss sich seither damit «begnügen», seine Véronique vorwiegend privat an der Seite zu haben. Es kommt aber noch immer häufig vor, dass sie ihm wiederum als Chefin seiner Brass Band dirigierend «den Marsch bläst».

Instrumentenwahl
Die Söhne Samuel und Sascha spielen beide Tuba, sind also der Blechblastradition ihrer Eltern gefolgt, nur eben am anderen Ende der Klanghöhe und -farbe. Cédric schert diesbezüglich aus, wusste er doch schon von ganz klein auf, dass er Schlagzeug spielen wollte. Er nutzte in kreativer Weise jedes Hilfsmittel, das sich ihm anerbot, um den Drang nach Rhythmus auszuleben. Zielstrebig, hartnäckig und mit hohem Anspruch an sich selbst trachtet er danach, seine Schlaginstrumente möglichst gut beherrschen zu können. Die bereits zahlreich gewonnenen Preise bestätigen, dass der junge Musikstudent der ZHdK (Zürcher Hochschule der Künste) auf einem erfolgversprechenden Weg ist. Fragt man sich, wie sich begabte Menschen bereits in jungen Jahren zu stundenlanger, intensivster Detailarbeit motivieren lassen, könnte Cédric als gutes Fallbeispiel gelten. Im Gespräch mit ihm merkt man sofort diese bedingungslose Begeisterung und Faszination für seine Tätigkeit. Es ist nicht ein überbordender Ehrgeiz oder gar der Wille zu Ruhm, der Menschen wie ihn antreibt – nein, es ist diese tief empfundene Liebe zu dem, was sie tun, die ihnen jeden Tag aufs Neue die Energie zur Knochenarbeit verleiht.

Selbstverständlich fiel und fällt das auch Cédric nicht immer leicht, doch wann immer er oder seine beiden Brüder eine Anschubmotivation brauchten, war die strenge, aber liebevolle Mama zur Stelle. Offensichtlich ist es ihr gelungen, mit der genau richtigen Dosis Druck ihre Jungs «auf Kurs zu halten».

Als es bei Samuel darum ging, ein Instrument auszuwählen, beschreibt Véronique ihre damaligen Überlegungen folgendermassen: «Ich wollte meinen Kindern unbedingt eine freie Wahl lassen und vermeiden, dass sie nur Blasinstrumente spielten, weil es ihre Eltern auch tun. Also motivierte ich Samuel dazu, es doch einmal mit Klavier zu versuchen. Dabei dachte ich mir auch, dass es ja nie schadet, wenn man etwas Klavier spielen kann.»

Nun, Samuels Begeisterung für das Tasteninstrument kam nie so richtig auf und nach kurzer Zeit konnte er sich auch durchsetzen. «Ich mochte zwar den Klang des Blechs und insbesondere auch die Musik, welche meine Eltern mit der Brass Band machten, doch das Kornett war mir einfach zu hoch. Müsste ich ein Streichinstrument spielen, würde ich eindeutig den Kontrabass wählen. Seit ich mich erinnern kann, gefallen mir die dunklen Klangfarben – also fing ich mit Tuba an», erzählt Samuel. Unumwunden gibt der junge Mann zu, dass ihm das minutiöse, konsequente, tägliche Arbeiten am Instrument nicht immer leicht gefallen ist. Vater Kurt ergänzt, dass es dem Sohnemann dank seines Talents lange ziemlich mühelos gelang, gut zu sein. Vielleicht etwas verwöhnt durch seine Erfolge, musste er an seiner Disziplin arbeiten, was sich durchaus gelohnt hat. Der Beginn des Musikstudiums an der Hochschule der Künste Bern hat da ein gutes Stück weit mitgeholfen. «Wenn ich an der Hochschule bin, gibt es viel weniger Ablenkung und wenn alle üben, fällt auch mir das Üben leicht», so Samuel.

Der jüngste Gyger – Sascha – nahm während zweier Jahre Singunterricht, kam dann aber aus folgendem Grund wieder davon ab: Zu jener Zeit wurde sein ältester Bruder Samuel für die Rekrutenschule ausgehoben und natürlich war es keine Frage, dass er bei der Militärmusik landen würde. Sascha beobachtete diese Entwicklung mit wachem Verstand und überlegte folgerichtig, dass ihm mit seiner Stimme als Instrument eine «Komfort»-RS bei der Musik verwehrt würde. Infanterie oder Artillerie erschienen dem Jüngling als absolut unakzeptable Alternativen, weshalb er dann fleissig weiter Tuba übte. Meine Frage, ob er sich vorstellen könne, dereinst wie seine beiden Brüder die Musik zum Beruf zu machen, verneint Sascha entschieden. Ihm gefalle das Zusammensein mit Gleichgesinnten und anscheinend amüsiert er sich mit seinen Freunden bereits prächtig während der jeweils eher langen Zugfahrt an die Proben der Brass Band Berner Oberland Junior nach Münsingen. Die Tuba gefalle natürlich auch ihm, aber ihm genüge die Auseinandersetzung mit ihr als Freizeitbeschäftigung. Schliesslich hat er noch ein anderes grosses Talent vorzuweisen, wie die ganze Familie einstimmig bestätigt. Sascha kocht und backt für sein Leben gern und anscheinend auch mit Erfolg.

Bedeutung der Musik
Wer Musik macht, tut dies ja nur in den seltensten Fällen für sich ganz allein im stillen Kämmerchen. Musiker tragen vor und dazu braucht es Publikum. Im Idealfall entsteht eine magische Verbindung zwischen Spielenden und Zuhörenden, was einen wesentlichen Teil eines gelungenen Konzerts ausmacht. Bevor aber gespielt wird, muss man auf die Bühne. Ich wollte nun von den Gygers wissen, wie sie mit dem von vielen gefürchteten Lampenfieber umgehen.

Für Véronique bedeutet die Zeit vor einem wichtigen Auftritt jeweils Höchststress: «Ich schlafe unruhig, bin leicht reizbar und kann nicht mehr richtig essen. Kurz bevor ich auf die Bühne muss, bin ich jeweils enorm aufgeregt – einfach schrecklich.» Cédric ergeht es im Grossen und Ganzen wie seiner Mutter. Nur Samuel ruht entspannt in sich, sobald er vor Publikum spielen darf. Er präzisiert aber: «Solange ich spielen darf, geht es mir gut. Wenn ich aber auch nur vor einem kleineren Grüppchen sprechen muss, überkommt mich unvermittelt der blanke Horror. Irgendwie habe ich dann die irreale Angst, von den Zuhörern überrannt zu werden.» Kurt litt vor allem früher und bei wichtigen Auftritten unter Lampenfieber, Sascha eher weniger.

Warum also tut man sich das überhaupt an und welche Bedeutung hat die Musik für Gygers? Kurt und Sascha schätzen besonders die Geselligkeit, das Miteinander und das einmalige, befriedigende Gefühl nach einem gelungenen Konzert. Cédric überlegt ein Weilchen und antwortet dann so: «Wenn ich spiele, möchte ich eine Geschichte erzählen. Die Spannung und Herausforderung liegen darin, mein Publikum damit zu erreichen. Habe ich das Gefühl, dass mir dies gelungen ist, die Kommunikation also erfolgreich war, ist das unbeschreiblich erfüllend.» Für Samuel ist Musik ein Ventil für das gesamte Gefühlsspektrum: «Bin ich traurig, spiele ich, und meine Stimmung hebt sich. Bei Wut beruhige ich mich, und bin ich glücklich, so kann ich dies mit Musik auf eine Weise ausdrücken, wie ich es anders nicht könnte.» Véronique machte immer schon die Erfahrung, dass die intensive Beschäftigung mit Musik einen bisweilen über sich selbst hinauswachsen lässt. Plötzlich spielt es, und man staunt verwundert über die Töne, die da kommen. In Véroniques speziellem Fall heisst das auch, dass die Musik ihr bisweilen ungeahnte Kraft und Energie schenkte. «Ich hatte vor einigen Jahren eine schwere Krankheit und fühlte mich in der Genesungsphase oftmals so schwach, dass ich mich ausserstande sah, eine Probe oder ein Konzert zu bestreiten. Nur mit äusserster Willenskraft schaffte ich es auf die Bühne. Nach den ersten Takten aber trug mich die Musik fort und ich fühlte mich gut und lebendig.»

Vielleicht können wir alle während dieser schwierigen Zeiten ab und an mithilfe von Musik für ein Weilchen den Alltagssorgen entfliehen, etwas zur Ruhe kommen und dann mit neuer Energie, mit Mut und Zuversicht unsere Herausforderungen angehen.


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