Generell «sollen» wir möglichst zu Hause bleiben

  15.04.2020 Serie

Praktisch alle Länder sind vom Coronavirus betroffen. Die einen stärker, die anderen schwächer. In loser Folge erzählen Abonnenten des «Anzeigers von Saanen» aus aller Welt, wie sie die Situation in ihrer (Wahl-)Heimat erleben. Heute: Peter Schubert aus dem deutschen Heddesheim.

So langsam kann ich Corona nicht mehr hören. Nachdem schon die «Tagesschau» fast nur Corona bringt, kommt anschliessend noch «ARD – Extra», nicht nur im ersten, sondern gleichzeitig in allen dritten Programmen. Wer das erste empfangen kann, bekommt auch die dritten, hat aber keine Wahl. Corona kommt überall. Auch die Zeitungen – ob NZZ, SZ oder FAZ – beleuchten Corona von allen Seiten, auf allen Seiten. Nachrichten, Spekulationen, Fakten. Einzelmeinungen von Virologen sind gefragt und werden breit getreten, gesicherte Schlussfolgerungen kann es ja noch nicht geben.

Eines ist aber sicher: Die Zahlen, die das Fernsehen bringt, sind wenig belastbar. Das wird auch durch ständiges Wiederholen nicht besser. Die Quellen sind unsicher, die Formulierungen unsauber. Jeder ältere Mann kennt die Frage, ob man an oder mit Prostatakrebs stirbt. Das ist mit den Corona-Toten» nicht anders. Hoffentlich sind die internen Erkenntnisse unserer Politiker als Basis ihrer Entscheidungen besser.

Ausgangsbeschränkungen
Wir haben Ausgangsbeschränkungen. Generell «sollen» wir möglichst zu Hause bleiben. Erlaubt ist ausdrücklich Einkaufen, der Gang zum Arzt oder zur Arbeit (viele Betriebe sind aber aus unterschiedlichsten Gründen geschlossen oder haben auf Homeoffice umgestellt). Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist der Kirchgang nicht freigegeben. Vom Nutzen des ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr) wird abgeraten (auch von Carsharing), nachdem das jahrelang als Allheilmittel gepriesen wurde. Nebenbei: Auch die gerade in Mode kommenden wiederverwendbaren Obst-/ Gemüsetüten und Fleischdosen sind derzeit unüblich.

Ungute Stimmung
Zwar gehöre ich zur «Hochrisikogruppe» (über 75, Bluthochdruck, Diabetes), bin aber nicht wirklich betroffen: eigenes Haus, liebe Ehefrau, Garten direkt an Feldern. Meine Frau und ich halten natürlich die sinnvollen Grundregeln ein (Abstand halten, Hygiene). Zum 40. Geburtstag der Schwiegertochter sind wir nicht gefahren, an Ostern haben wir auch Kinder und Enkel nicht gesehen. Einige Treffen mit Freunden wurden abgesagt, mit wenigen Paaren treffen wir uns (abwechselnd) im kleinsten Kreis mit grossem Abstand. Irgendwie ist die Stimmung doch beeinflusst, gedrückt. Natürlich spricht man ausführlich über Corona, diskutiert die Folgen für die Gastwirte, Handwerker, Läden, Hotels, die alle schliessen mussten. Aber auch im Lebensmittelladen herrscht eine ungute Stimmung. Man steht sich im Weg, weil man Abstand halten will, Überängstliche behindern das Ganze, die «Helden» (Kassierer) sind genervt, Regale unerwartet und unterschiedlich leer (nicht nur bei Klopapier, Knäckebrot und Nudeln). Es herrscht allgemeine Verunsicherung, obwohl spätestens am nächsten Tag die Lücken gefüllt sind.

Zunehmend werden die Kassiererinnen mit Plexiglasscheiben geschützt, sie tragen Schutzmasken und Handschuhe, um bargeldloses Zahlen wird gebeten. Bei den Käufern wächst der Anteil der Maskenträger, die Diskussion gewinnt an Schärfe, wie sinnvoll Masken sind. Unsere Apotheke hatte bis in die Karwoche keine Masken, meine Frau und ich tragen keine. Käufer mit Masken und Handschuhen kommen auch vor. Es empfiehlt sich, zu ihnen auf zusätzlichen Abstand zu gehen. Sie kennen alle Vorschriften (was nicht heisst, dass sie sie verstehen), haben Angst und null Toleranz.

«Überperfektionierte» Detailvorschriften
Die Neigung deutscher Obrigkeit zu überperfektionierten Detailvorschriften ist auch nicht hilfreich. Warum darf man nicht allein auf einer Parkbank sitzen und ein Buch lesen? Was ist das für ein Aufwand, alle Parkbänke mit weissrotem Warnband zu umwickeln! Warum sind Kinderspielplätze generell gesperrt? Wo sollen die Kinder hin, wenn Kindergarten/Kita geschlossen und die Wohnungen eng sind? Müssen die Neckarwiesen in Heidelberg und Ladenburg wirklich komplett gesperrt und feinsäuberlich mit Absperrband gekennzeichnet werden? Könnten nicht Gaststätten wieder geöffnet werden mit der Auflage, maximal jeden dritten Tisch zu besetzen?

Hohe Polizeipräsenz und Denunziantentum
Seit Parksünder in Deutschland von Politessen bestraft werden und Tempofallen weitgehend automatisiert wurden, waren Polizisten weitgehend unbekannte Wesen. Man sah sie noch im Fernsehen, wenn sie hochgerüstet Hochrisikopartien im Bezahlfussball bewachten oder rechte Demos von Gegendemonstranten trennten. Jetzt auf einmal sind sie wieder da, dutzendweise. Auch bei uns auf dem Land sieht man Polizeistreifen, die auf das Einhalten der Verbote am Baggersee achten oder Menschengruppen am Flussufer zerstreuen. Woher kommen die auf einmal und was werden sie «nach Corona» tun?

Mich erschreckt, wie schnell überholt geglaubtes Verhalten wieder auflebt. Ein Landrat in Bayern (in der Schweiz wohl mit dem Regierungsstatthalter vergleichbar) hat seine Bürger aufgefordert, Autos mit ortsfremden Kennzeichen zu melden, damit man prüfen könne, ob ihr Aufenthalt berechtigt sei. Das Denunziantentum wird wieder amtlich gefördert. Tourismushochburgen an Nord- und Ostsee versuchen, Zweitwohnungsbesitzern den Aufenthalt in ihren Wohnungen zu verbieten.

Da alle Gaststätten geschlossen sind, versuchen viele, auf Take-away umzustellen, vergessen aber, dies auch zu kommunizieren, sowohl auf der Homepage als auch in der Ortspresse. Da sind die Geschäfte in Gstaad/Saanen und der «Anzeiger von Saanen» meilenweit voraus.
AUFGEZEICHNET VON ANITA MOSER 


ZUR PERSON

Peter Schubert (Jg. 1944) ist in Starnberg, Raum München, aufgewachsen. Kurz nach der Heirat hat es ihn berufsbedingt in den Raum Mannheim zur deutschen Tochter der schweizerischen BBC verschlagen. Dort kamen der Sohn und die Tochter zur Welt, beide lernten früh Skifahren. «Nach vielen Jahren Skiurlaub in Tirol grasten wir Schweizer Orte ab, zuletzt Davos.» Die Höhe sei ihm aber nicht bekommen und so suchte die Familie nach Alternativen. «1998 kamen wir erstmals nach Gstaad. Das Ehepaar Blunschi brachte uns auf Wanderungen Schönheit und Attraktivität des Saanenlandes nahe. Uns gefiel es, wir fühlten uns wohl und konnten 2001 eine Wohnung käuflich erwerben. Auch unseren Kindern gefällt es, als Wandergegend mehr als als Skiresort. Der Sohn hat im Saanenland geheiratet.» Schuberts sind Mitglied bei den Freunden des Museums Saanen und des Fördervereins des Menuhin Festivals, er ist Kleinstaktionär der Saanen Bank und Mitglied des Schweizerischen Scherenschnittvereins.

Peter Schubert und seine Frau wohnen in Heddesheim/Deutschland. Heddesheim ist ein Ort mit ca. 11’000 Einwohnern im Einzugsbereich von Mannheim/ Heidelberg im Nordwesten von Baden-Württemberg. Es grenzt an das Bundesland Hessen, knapp 20km westlich auf der anderen Rheinseite ist Rheinland-Pfalz. Der Edeka mitten im Ort ist der einzige Nahversorger, daneben gibt es eine Apotheke sowie in rund 200m Distanz die VR-Bank.

AUFGEZEICHNET VON ANITA MOSER


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