Politikunterricht mit 12 Zylindern

  29.05.2020 Leserbeitrag

Ich muss die autoaffinen Leser dieser Kolumne vorwarnen: Wenn Sie Autos nicht nur lieben, sondern auch gerne im TV verfolgen, könnte es Spoiler geben – und zwar nicht als schickes Anbauteil für den Flitzer aus Jugendzeiten.

Es gibt bekanntlich viele verschiedene Möglichkeiten, sich über das Geschehen auf dieser Welt und dessen Hintergründe zu informieren. Es gibt Leute, die Geld in gesicherte Informationen investieren und dafür in Kauf nehmen, nur Schwarz-Weiss-Bilder zu bekommen. Sie haben die NZZ abonniert und bekommen tagtäglich seriöse Information serviert, mit der sie über die Aktualitäten und Hintergründe der ganzen Welt up to date sind. Dann gibt es diejenigen, die kein Geld für Information ausgeben wollen. Sie lesen dann zum Beispiel «20 Minuten». Dort gibts farbige Bildli, aber nur so vereinfachte Berichterstattung, dass sie nicht als Grundlage für eine Diskussion taugt. Und es gibt natürlich die Leute, die sich überhaupt nicht für das interessieren, was ausserhalb ihres direkten Einflusskreises geschieht.

Ich will heute über eine Teilmenge der letzten Gruppe schreiben. Es gibt nämlich Leute, die sich überhaupt nicht für das Weltgeschehen interessieren, aber trotzdem darüber Bescheid wissen. Vor einigen Jahren war der englische TV-Moderator Jeremy Clarkson gross in den (internationalen!) Schlagzeilen. Er war als Moderator der beliebten TV-Show «Top Gear» (eine BBC-Produktion) gegenüber einem Produzenten so ausfällig geworden, dass er gefeuert wurde. Nun gestaltete sich die Situation aber so, dass seine Moderationskollegen James May und Richard Hammond die Sendung auch nicht mehr moderieren wollten und den Dienst quittierten.

Dazu muss man wissen, dass schon «Top Gear» mehr als eine Autosendung war: Die Moderatoren stellten sich abstrusen Herausforderungen (sie überquerten zum Beispiel den Ärmelkanal mit einem umgebauten Pickup-Truck), machten derbe Witze und scherten sich demonstrativ nicht darum, den Zuschauern einen tatsächlichen Mehrwert für den Autokauf zu bieten. Kurz: Die Sendung war beste Unterhaltung.

Wenig später wurde bekannt, dass das Trio eine ganz ähnliche Sendung produziert. Sie heisst «The Grand Tour» und vertraut auf die gleichen Zutaten: Es geht um Autos, die Sendung lebt aber von den abstrusen Abenteuern und lustigen Charakteren der Moderatoren. So stark, dass die Sendung sogar für nicht Autofans interessant ist.

Ein wichtiger Teil der Sendung sind die Reisen des Trios in ganz viele Länder der Erde. Gestern habe ich mir die Sendung gegönnt, in der die Moderatoren in Sportwagen von Georgien nach Aserbaidschan fahren (und hier beginnt der Spoiler). Dabei besuchen sie den Geburtsort von Josef Stalin, Richard Hammond wird ein Stalin-Statuen-Kopf auf das Auto montiert. Und sie diskutieren lange darüber, ob einer, der zwar Hitler besiegt hat, aber selbst Millionen umgebracht hat, eine Statue verdient.

Man kann die Sendung als das anschauen, was sie primär sein soll: beste Unterhaltung. Man kann aber auch den anderen Wert sehen: Auf sehr subtile Weise vermitteln hier drei Menschen auf die unterhaltsame Weise Wissen über die Länder dieser Erde.

So stelle ich es mir vor, wenn ich gefragt werde, wie Journalismus in Zukunft sein soll: Er soll Geschichten erzählen, die fesseln. Die zum Lachen, Weinen oder Fluchen anregen. Die reine Information kann so viel effektiver vermittelt werden, weil sich Menschen halt primär für andere Menschen interessieren.

Also: Wenn Sie mehr über die Welt wissen wollen, schauen Sie sich diese Autosendung an. Es gibt nur ein Problem. Denn wie jede gute Informationssendung findet man auch «The Grand Tour» nicht gratis im Pendlerzug. Die Sendung wird über den Pay-TV-Sender Amazon Prime vertrieben.

SEBASTIAN DÜRST
[email protected]


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