Der Mann, der die Nacht zum Tag macht

  12.06.2020 Porträt

«Beckenbauer», Peter Zumbrunnens Spitzname, vereint zwei seiner Berufe: Bäcker und Bauer. Dazu gesellen sich Gastwirt, «Musiker», Familienvater und Alpenkalb.

BLANCA BURRI
Peter Zumbrunnen sitzt am grossen Holztisch im ehemaligen «Bären» mitten im Dorfkern von Lauenen. In T-Shirt und Hosenträgern, seinem Markenzeichen, erzählt er aus seinem farbigen Leben. Seine Frau Heidi kocht Tee. Am Holztisch in der «Zentrale», so nennt er seine Wohnküche, kommt die Familie zusammen, hier bekocht Heidi ihre sieben Grosskinder und hier entlarvt sich Zumbrunnen als Alpenkalb. Eigentlich ist er ein Alpenkalb unter vielen, denn in früheren Jahren wurde im Saanenland oft und ausgiebig gefeiert. «Wir waren eine lustige Truppe und machten aus jedem Anlass ein Fest.» Das wohl denkwürdigste fand im «Rössli» in Gstaad statt. Hauptdarsteller war ein Stier, den Peter Zumbrunnen der Viehzuchtgenossenschaft Lauenen 3 abgekauft hatte. Die Waage befand sich in Gstaad, weshalb er und der Handelspartner von Lauenen ins Tal fuhren und nach dem Wägen im «Rössli» mit einem Gläschen anstiessen. Aus dem Gläschen wurden zwei oder drei, bis Charles Werren, seines Zeichens Immobilienhändler, von Peter Zumbrunnen den neu erworbenen Stier zu einem super Preis erstehen wollte: «Wenn du den Muni im ‹Rössli› vorführst, kaufe ich ihn dir ab.» In strömendem Regen holte der Beckenbauer das Tier aus der «Bäne», führte es vors Restaurant, die Treppe hoch bis in den Windfang. Zumbrunnen steckte seinen Kopf durch den Vorhang und alle johlten: «Wo hast du den Stier?» «Ja, hier!», antwortete er und spazierte mit dem Schwergewicht durchs Restaurant. Egal, ob die Teller noch voll waren, mit dem Schwanz räumte das Tier die Tische ab. «Das hät du scho e bitz e Sach gä», schaut Zumbrunnen verschmitzt zurück und meint damit, dass sein Ruf als Alpenkalb mit dieser Aktion zementiert wurde. Das Beweisfoto hängt noch heute im «Rössli».

Blickt Zumbrunnen auf Situationen wie diese zurück, meint er etwas nachdenklich, dass er es mit der Festerei eine Zeit lang schon ein bisschen übertrieben habe. Denn eigentlich steht für ihn die Familie im Zentrum, die er damals manchmal vernachlässigte. Das musste vor allem seine Heidi ausbaden, die zu Hause am Karren riss, die Familie zusammenhielt, in der Bäckerei und in der Landwirtschaft zum Rechten schaute. «Ja, es war eine strenge Zeit, aber wir haben es gemeinsam gemacht», entgegnet Heidi Zumbrunnen, sie sitzt nun ebenfalls am Familientisch.

Wieder taucht Zumbrunnen in Erinnerungen ein. Seine Augen leuchten lustig, als er erzählt, wie er wegen einer Radiosendung zu seinem Spitznamen «Beckenbauer» kam, der heute ein bisschen in Vergessenheit geraten ist. Zumbrunnen war vom bekannten «Cerf»-Wirt Köbi Bach für eine Radiosendung nominiert worden. Als er im Porträt über seinen Beruf sprach, meinte Zumbrunnen: «Eigentlich bin ich Beckenbauer, obwohl ich weniger Steuern hinterschlagen kann als die Fussballlegende.» Der träfe Spruch schlug ein wie eine Bombe. Am Viehmarkt, bei gemütlichen volkstümlichen Abenden in der ganzen Schweiz, überall wurde Zumbrunnen alias Beckenbauer erkannt.

Die beiden Hauptberufe übte der gelernte Bäck-Konditor 20 Jahre lang in der familieneigenen Bäckerei und dem eigenen Landwirtschaftsbetrieb, beide in Lauenen, aus. Er war mit Leib und Seele Viehzüchter und Stierenhalter der reinen Simmentaler Rasse. Viehausstellungen, insbesondere der Stierenmarkt in Thun, wo er während vieler Jahre im Vorstand aktiv war, lagen ihm besonders am Herzen. Bereits mit 46 Jahren übergab er die Bäckerei seinem Sohn. .

Wer denkt, Zumbrunnen lasse sich auf seine Festlaune reduzieren, täuscht sich gewaltig. Zumbrunnens Brot wird von vielen als das Beste im Saanenland betitelt, das Restaurant Geltenhorn wurde innert kürzester Zeit zum Ländlermusikmekka und als Immobilienbesitzer vermietet er mehrere Wohnungen im Dorf Lauenen. Sämi Moor nominierte ihn als Alltagsheld, weil er ein super Gastgeber sei und sich nie habe unterkriegen lassen, weder nach der frühen Übergabe der Bäckerei noch später. Gemeinsam mit seiner Frau pachtete Beckenbauer das Restaurant Geltenhorn. Gastgeber zu sein, hätten ihm viele nicht zugetraut. Sie dachten, dass Zumbrunnen in seiner eigenen Beiz sein bester Gast sein würde. Er bewies das Gegenteil: «Bevor ich begonnen habe zu wirten, hatte ich 20 bis 30 Jahre Teigologie und Wirtschaftskunde studiert, nun war es Zeit für ein seriöses Praktikum.» Schon bald war das Geltenhorn fester Bestandteil der Schweizer Volksmusikszene, auch Zumbrunnen griff, wenn er die Laune dazu hatte, in die Handorgeltasten. Die Vermieter sahen im florierenden Betrieb finanzielle Chancen, doch nach zehn Jahren antwortete das Wirtepaar nach Uneinigkeiten mit den Eigentümern mit der Kündigung. Wieder wagten Zumbrunnens einen Neuanfang und zogen ins Wallis in die Nähe der Tochter, wo sie ein Restaurant übernahmen. Vom Wallis ist das Paar längst zurück, und zwar weil Sohn Bernhard, der ebenfalls wie Peter eine Leidenschaft für die Viehzucht hat, zur eigenen Liegenschaft noch einen Hof kaufen konnte und deshalb Mithilfe in der Bäckerei brauchte. Seither macht Peter Zumbrunnen die Nacht wieder zum Tag, gibt sich der Teigologie hin und denkt an vergangene Zeiten, als die Geselligkeit und der Zusammenhalt noch vor Digitalisierung und Effizienzsteigerung standen.

Wir stellen Ihnen Menschen vor, die jenseits der Schlagzeilen die Geschichte des Saanenlandes mitschreiben. Leute, die im Hintergrund Fäden spannen, ihr Umfeld mit ihrer Art bereichern oder ganz einfach anders sind. Die Serie rollt wie ein Schneeball durch die Region, denn die Porträtierten wählen jeweils selbst einen/eine Nachfolger/in. Auf Wunsch von Peter Zumbrunnen besuchen wir als Nächstes Heinz Addor.


ZUR PERSON

Peter Zumbrunnen kam 1955 als Adoptivkind vom Kanton Zürich in die Lauenen. Der gelernter Bäcker-Konditor ist mit Heidi Zumbrunnen-Perreten verheiratet, hat drei Kinder und sieben Grosskinder zwischen 5 und 19 Jahren. Während 20 Jahren führte das Ehepaar die Bäckerei Zumbrunnen in Lauenen und übergab sie 2001 an seinen Sohn Bernhard. Danach führte es das Restaurant Geltenhorn in Lauenen und später das Restaurant Edelweiss in Unterems im Wallis. Vor fünf Jahren kehrte das Ehepaar zurück, um den Sohn in der Bäckerei zu unterstützen. Trotz Pensionierung arbeitet es dort weiter. Peter Zumbrunnen: «Seit dem Ruhestand nur noch an fünf, statt wie vorher an sechs Tagen.»


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