Im Saanenland aufgewachsen und jetzt …

  14.08.2020 Serie

Das Saanenland war und ist geprägt von Zu- und Wegzügen. Die Leserinnen und Leser des «Anzeigers von Saanen» sind nicht nur im Saanenland zu finden, sondern in der Schweiz und im Ausland – ja, in der ganzen Welt. Diese «Auswanderer» will «Im Saanenland aufgewachsen und jetzt …» vorstellen.

Der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) wurde am 15. Mai 1979 gegründet. Sein Hauptsitz ist in Bern und dort sitze ich Stéphanie Penher gegenüber, in ihrem Büro mit Blick auf die ehemalige Hauptpost an der Aarbergergasse. Es ist Ferienzeit und sie ist das einzige Mitglied der dreiköpfigen Geschäftsleitung, das im Haus anwesend ist. Der VCS zählt über 100’000 Mitglieder und ist damit nach dem Touring Club Schweiz (TCS) der zweitgrösste Verkehrsverband im Land. Vereinszweck ist gemäss Statuten eine menschen-, umwelt- und klimagerechte Mobilität.

Aus dem Saanenland nach Bern – wie sieht dieser Weg aus?
Für meine Ausbildung zur Lehrerin ging ich ins Seminar Hofwil, pendelte also zwischen Münchenbuchsee und Feutersoey, weil ich gerne an den Wochenenden im Saanenland war. Da hiess es in Zweisimmen auf die MOB umsteigen. Bald wird das nicht mehr nötig sein. In Zweisimmen wird ja die Umspuranlage gebaut. Das ist ein gutes Projekt. Ich schätze den öffentlichen Verkehr sehr, weil ich viel im Zug arbeite. An die Vorstandssitzungen von «Transport & Environment» in Brüssel fahre ich mit dem Zug. T&E ist die Dachorganisation von nichtstaatlichen europäischen Organisationen aus dem nachhaltigen Verkehrsbereich. Auf vielen europäischen Strecken habe ich Internet im Zug, was in der Schweiz noch nicht überall der Fall ist. Im Zug kann ich lesen, schreiben, arbeiten oder mir die Gegend anschauen, wenn die Strecke nicht durch einen Graben führt. Alles ohne Stress. Auch die Nachtzüge benütze ich gerne und schlafe gut dort. Letztes Jahr fuhren wir mit dem Nachtzug an die Ostsee und der Night-Jet nach Wien ist ein Traum. Es gibt nichts Schöneres, als die Ferien im Schlafwagen zu beginnen. Ich setze mich zurzeit dafür ein, dass Zugreisen europaweit genauso einfach gebucht werden können wie Flugreisen.

Wie ist heute Ihr Verhältnis zum Saanenland?
Mein Vater Francis kommt aus der Bretagne und meine Mutter Marie-Antoinette ist eine Walliserin aus Charrat. Beide lebten von 1977 bis 2013 im Chalet Gehret in Feutersoey, er war Koch im Restaurant «Rössli», sie arbeitete dort im Service und später bei Cadonau in Gstaad. Bis 2013 hatte ich einen Ankerplatz im Saanenland. Diesen zu verlieren war hart für mich, mit vielen Emotionen verbunden, denn es ist seltsam für mich, dort nicht mehr nach Hause zurückkehren zu können und ich fühle mich nun im Saanenland ein wenig als Fremde.

Haben Sie in Bern mit Saanerinnen und Saanern Kontakt?
Ich habe den «Anzeiger von Saanen» abonniert, denn ich will wissen, was im Saanenland läuft. Marc Herrmann, den Sohn von Maja und Daniel Herrmann, kenne ich gut. Anja Hurni ist eine Hofwiler Seminarkollegin. Mit Steve Walker, dem Filmemacher, bin ich auch befreundet und ebenfalls mit Caroline Waser vom «Spitzhorn». Sven Montgomery, Radrennfahrer und heute Polizeichef von Köniz, der Sohn von Marianne und Jerry Montgomery, kommt wie ich aus Feutersoey. Mit ihm bin ich manchmal nach der Schule an den Arnensee gefahren. Wir gingen zusammen in die Sekundarschule nach Gstaad. Die Abfahrten mit ihm vom Arnensee hinunter waren haarsträubend.

Sie sind perfekt zweisprachig. Wie kommt das?
Meine beiden Eltern sprechen französisch. Deutsch habe ich im Kindergarten bei Frau Tauss gelernt, in der Unterschule bei Marianne Montgomery und in der Mittelschule bei Isabelle Knöri, die mir beim Übertritt in die Sekundarschule die sprachlichen Defizite zu bewältigen half und für mich ein Vorbild war. Meine Muttersprache ist Französisch. Für meinen beruflichen Werdegang war die Zweisprachigkeit ein Vorteil, hier beim VCS ist sie eine Bedingung. Die Gründungsmitglieder waren alle Deutschschweizer, die bald merkten, dass sie sich zur Westschweiz öffnen mussten. Ich habe immer bewusst Anstellungen gesucht, bei denen ich Kontakt in die Romandie hatte. Das Saanenland habe ich als gemischtsprachlich erlebt: Alle können Französisch, sogar das Personal am Skilift und in den Läden. Meine Mutter spricht Deutsch, mein Vater hat nie Deutsch gelernt und sprach selbst in den Feuerwehr Feutersoey Französisch. Zuhause haben wir immer Französisch gesprochen.

Der Kanton Bern ist zweisprachig. Was können Sie dazu sagen?
Bern ist ein Brückenkanton. Im Einkaufszentrum Westside spricht die Hälfte der Besucher Französisch. Ich kann auch in Bern konsequent französisch sprechen und werde verstanden. Beim VCS als nationale Organisation ist uns die gerechte Berücksichtigung der Landessprachen ein wichtiges Anliegen. Während der monatlichen «semaine française» werden alle Sitzungen und Treffen auf Französisch abgehalten. Unser Büro für die Verkehrssicherheit ist dazu in Genf. Wir profitieren alle von der Mehrsprachigkeit. Die Deutschschweizer schlagen sich sprachlich relativ gut durch. Wir tolerieren Fehler, die Verständlichkeit steht im Vordergrund und deshalb fördern wir hauptsächlich das Sprechen. Unterschiede werden akzeptiert.

Was möchtest Sie den Leuten im Saanenland sagen?
Werdet VCS-Mitglieder! Der VCS setzt sich für den öffentlichen Verkehr im Saanenland ein, bietet eine Pannenhilfe an und fördert nachhaltige Autos: Auf der Umweltliste des VCS sind die umweltfreundlichsten Fahrzeuge zu finden, auch Lieferwagen. Klimaschutz, die schmelzenden Gletscher (der VCS unterstützt die Gletscherinitiative), der fehlende Schnee oder die Schulwegsicherheit – das sind alles VCS-Themen. Das Saanenland soll Sorge zur Region tragen und sich nachhaltig weiterentwickeln. Die Kultur muss weiter gepflegt werden, es braucht ein grösseres Kulturzentrum, bezahlbaren Wohnraum. Letzterer lässt sich vielleicht genossenschaftlich schaffen. Skifahren mit Schneekanonen ist nur eine Übergangslösung. Es müssen andere Freizeit- und Sportaktivitäten gefördert werden. Das Saanenland kann zuversichtlich in die Zukunft schauen: Es hat viel Sonne und viel Wasser. Es gibt grosses Potenzial im Saanenland. So können die erneuerbaren Energien ausgebaut und mit der Fotovoltaikanlage auf dem Dach das Elektroauto mit Energie versorgt werden. Ein Angebot von mir für interessierte Saanerinnen und Saaner: Gerne zeigen ich ihnen auf Anfrage die Stadt Bern. Wer weiss, vielleicht mit einem anschliessenden Essen im Tramdepot, wo Nicolas Zürcher arbeitet?

Sprechen Sie noch Saanendeutsch?
Ich sage «d Schueh nüsche» und die Leute schauen mich dann komisch an. Für ein Messer sage ich immer noch «e Guttel». Heute spreche ich Berndeutsch wie die Stadtberner. Die Dialekte vermischen sich, die Leute sind viel mobiler als früher. In Bern leben auch Basler und Zürcher.

Sie haben auch politisch Karriere gemacht.
Ich habe vor allen Leuten Respekt, die sich für ein politischen Amt zur Verfügung stellen, im Saanenland oder in Bern. Ich sass als Grüne im Parlament der Stadt Bern und habe diese Zeit auch als Weiterbildung angesehen, als Lebensschule. Mit anderen Meinungen kann ich gut umgehen und ich schätze Auseinandersetzungen. Aus beruflichen und familiären Gründen muss ich die Politik zurzeit ruhen lassen. Ich werde zur Kämpferin, wenn ich mich für ein sinnvolles Ziel einsetzen kann. Das macht mir Spass. Die Bretagne und das Wallis sind Randregionen, die für ihre Anliegen kämpfen müssen. Ich bin sicher, dass mir meine Eltern eine gewisse Hartnäckigkeit in die Wiege gelegt haben.

THOMAS RAAFLAUB


STÉPHANIE PENHER

Geboren am 20. Februar 1975
Schulen im Saanenland
Seminar Hofwil 1992–1997
Universität Bern: Französisch,
Geschichte, Kunstgeschichte
Gewerkschaft Commedia, heute Syndicom
Kampagneleiterin Grüne Schweiz
Geschäftsführerin VCS-Bern
Bereichsleiterin Verkehrspolitik
VCS-Schweiz, Mitglied der
Geschäftsleitung
Lebt in Partnerschaft, ein Sohn
Maximilian (8)


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