Grenzen sprengen, um das Unmögliche zu erreichen

  13.10.2020 Porträt

Katrin Ganter ermöglicht Menschen, ihre Ziele zu erreichen. Inspiriert durch Betrand Piccard liess sie sich zur Hypnosetherapeutin ausbilden. Heute coacht sie Menschen aus ganz Europa.

BLANCA BURRI
Ein Buch von Bertrand Piccard öffnete Katrin Ganter ein Türchen in eine neue Welt, als sie mit dem Gesundheitssystem haderte und nicht mehr Vollzeit als Hebamme arbeiten wollte. Der Abenteurer, Psychologe und Hypnosetherapeut Piccard beschrieb darin, wie er durch die Selbsthypnose seine Grenzen verschiebt, Ängste abbaut und Ziele erreicht. Fasziniert davon, beschloss sie, selbst Hypnosetherapeutin zu werden.

Zitronen essen für die Show
Das bekannteste Gesicht der Hypnose sieht man in TV-Shows. In Hypnose versetzte Kandidaten essen Zitronen, ohne mit der Wimper zu zucken. Der grosse Showeffekt dient allerdings einzig den Therapeutinnen und Therapeuten, denn sie lassen sich damit als Magier feiern. In der Showhypnose sieht man allerdings sehr deutlich, wozu der Geist fähig ist: Er kann alles erreichen, was er sich vorstellt und zutraut. Um die Grenzen zu verschieben, braucht die Klientin in der Regel eine Therapeutin. Er gibt den Rahmen vor und begleitet die Klienten in diesem Prozess.

Wie geht Showhypnose?
Die Showhypnose kann eigentlich mit einem Film verglichen werden. An der Kasse bezahlt der Kandidat Eintritt und gibt somit die Einwilligung für die Hypnose mit all ihren angenehmen und unangenehmen Komponenten. Danach lässt er sich total in den Film sinken und durchlebt alle Gefühlslagen der Protagonisten. Obwohl klar ist, dass es nur ein Film ist, weint, lacht und erschrickt er.

5 Prozent Bewusstsein
Bei der lösungsorientierten Hypnose gehen Therapeutinnen wie Katrin Ganter einen sanfteren Weg. «Ich will nicht, dass die Klienten in eine Zitrone beissen, ich will, dass sie ihre Ziele erreichen», sagt Katrin Ganter. Diese moderne Form der Hypnose unterscheidet sich von der klassischen Hypnose dadurch, dass sie von jedem selbstbestimmt eingeleitet werden kann und die oder der Hypnotisierte immer die volle Kontrolle über sich selbst behält.

Katrin Ganter erklärt, wie das geschieht: Nur rund 5 Prozent aller Handlungen steuert die Menschheit bewusst (mit dem Verstand) – 95 Prozent hingegen unbewusst. Der Verstand denkt in Wörtern, das Unterbewusstsein aber in Bildern, Gefühlen und allen Sinnen. Ganter: «Das Unterbewusstsein erlebt alles und wenn wir es erleben, ist es viel intensiver, wie wenn wir es nur hören oder lesen.» Sie geht sogar noch weiter: «Wir sind, was wir uns vorstellen.» In der Hypnose erinnert die Therapeutin die Klienten daran, wie der Verstand und das Unterbewusstsein zusammenarbeiten können.

In Bildern sprechen
Diese Kompetenz nutzen wir Menschen etwa bis siebenjährig ganz intuitiv. Sie ist dafür verantwortlich, dass Kinder extrem schnell lernen. In kurzer Zeit können sie sehr komplexe Zusammenhänge erkennen und verstehen. Mit dem Erwachsenwerden wird ihnen diese Gabe abgewöhnt. «Träume nicht so herum, das ist ja nur ein Spiel, setzte dich endlich hin und lerne richtig», heisst es dann oft. «Wenn wir nur noch mit dem Verstand denken, entgeht uns eine grosse Chance», Katrin Ganter redet mit dem ganzen Körper. Ihre Handbewegungen unterstreichen wichtiges, ihre Augen funkeln und ihr Lachen verleihen der komplexen Thematik eine Leichtigkeit.

Trampelpfade erschweren Reise
Katrin Ganters Aufgabe liegt darin, die Klientinnen in ihr Unterbewusstsein zu führen und dort den Weg zum Erreichen ihrer Ziele zu ebnen. Eigentlich könnte jeder Mensch selbst Kontakt mit seinem Unterbewusstsein aufnehmen. Genau das lernen die Klienten in den Sitzungen mit der Hypnosetherapeutin. Doch die ersten Schritte sind meist mit einigen Hindernissen verbunden, sie sollten mit der Fachfrau gegangen werden. Später gibt sie mentale Werkzeuge mit, um gewisse Veränderungen auch selbst herbeiführen zu können.

Die gebürtige Deutsche erklärt die Hypnosereise konkret wie folgt: «Eigentlich sind alle Ziele immer erreichbar. Gewisse Prägungen und Erfahrungen aber verhindern das Erreichen der Ziele.» Sie wird wieder bildhaft: «Es kann sein, dass ich bei irgend einer Bergtour von einem Gewitter überrascht wurde und daraufhin in eine Höhle flüchtete. Häufig kommt es vor, dass ich in Zukunft bei jeder Gewitterwolke sofort eine Höhle suche und mich darin verstecke. Wenn ich ein anderes Ziel verfolge und trotzdem bei jedem Wölkchen in die Höhle flüchte, komme ich nicht weiter. Wir beseitigen diese vorgegebenen Muster und machen den Weg frei – für immer.»

Kein Üben
Viele Therapieformen basieren auf Übungen und Verhaltensarten, die mühsam antrainiert werden. Die lösungsorientierten Hypnose hingegen geht einen anderen Weg. «Wir führen die Menschen zurück zum Ursprünglichen.» Der Grund dafür liegt in der Kindheit. Kinder sind von Natur aus neugierig, haben Freude am Leben und am Lernen, sie wollen ihre Ziele erreichen. Mit dieser Haltung ist der Weg frei, sein Potenzial auszuschöpfen. Alles in einer Leichtigkeit, die sich viele nicht vorstellen können. Dazu muss man aber auch bereit sein, konventionelle Muster abzulegen, sich Menschen zu öffnen und anderen Menschen Lebewohl zu sagen.

Veränderungen sind markant
Was konkret können die Klientinnen erreichen? Katrin Ganter erzählt, dass sich viele Veränderungen erst mit der Zeit bemerkbar machen: «Ein Gleitschirmpilot hatte beim Landen immer Stress. Deshalb verfolgte er das Ziel, sicher zu landen.» Seit der Therapie fliege er sicher und fokussiert und somit sei auch die Landung stressfrei. Gleichzeitig seien viele andere Bereiche bei der Arbeit und in der Partnerschaft zum Positiven verändert worden. «Es gibt Sachen, die sich sofort bemerkbar machen und andere, die man erst im Nachhinein feststellt», hält Ganter fest. Sie sagt es mit einer Selbstverständlichkeit, als sei Veränderung etwas vom Einfachsten auf der Welt.

Das Gewicht in die Waagschale legen
Die Selbstverständlichkeit ist einer der wichtigsten Aspekte von Katrin Ganters Arbeit: Sie hält immer alles für möglich, sie zweifelt die Ziele der Klienten nie an. Der Grund ist einfach: Am Anfang glauben die Klienten oft selbst nicht, dass sie sie jemals erreichen können. Wenn die Therapeutin an sie glaubt, ist der Start extrem viel leichter. Und weil die meisten Klienten ihre Ziele erreichen, fällt es Ganter auch sehr leicht, daran zu glauben.

Gelingt es allen?
Wenn eine Selbsthypnose gelingen soll, so müssen die Klienten offen sein, an sich selbst zu arbeiten. Denn man konsumiert nicht einfach eine Massage oder erhält einen neuen Haarschnitt. Deshalb funktioniert die Selbsthypnose nicht in jedem Fall. Diejenigen, die bereit sind, den Weg zu gehen, sind auch zu 100 Prozent fähig, anzukommen.

Tränen fliessen
Der Weg zum Ziel kann mit einer Bergwanderung verglichen werden. Einfache schöne Wegabschnitte wechseln sich mit schwierigen Kletterpartien ab, manchmal herrscht Nebel, dann wieder droht ein Gewitter oder die Sonne scheint und die Aussicht ist unvergleichlich. Die Hypnose ist also kein Spaziergang, sondern kann mitunter recht anstrengend sein. Auf dieser Reise erzählen die Klienten der Therapeutin, was sie sehen, fühlen und erleben. Wenn sich eine dicke Nebelschicht plötzlich öffnet, wenn eine Einöde plötzlich zu blühen beginnt, dann kann es vorkommen, dass Ganters Tränen fliessen, aus Rührung und Glück darüber, dass der Klient seinen Weg zu sich selbst gefunden hat.


ZUR PERSON

Geboren ist Katrin Ganter in Hamburg, aufgewachsen im Schwarzwald. Nach der Schule folgte die Lehre zur Schreinerin und die ersten Auslandjahre. Anschliessend (2001) folgte die Ausbildung zur Hebamme in Villingen-Schwenningen (D). In der Zwischenzeit war sie Mutter geworden. Das Reisefieber blieb, weshalb sie überlegte, wohin sie ihren Lebensmittelpunkt verschieben möchte. Die Schweiz gewann das Rennen gegen Neuseeland. Als sie sich im Spital Zweisimmen vorstellte, passte alles: das schöne Gleitschirmwetter, die netten Menschen, die Geburtenabteilung und das grosse Skigebiet. 2004 zog sie mit Ehemann und Sohn ins Simmental. Inspiriert durch die Fluglegende und den Hypnotherapeuten Bertrand Piccard begann sie 2010 mit der Ausbildung zur Hypnosetherapeutin am Zentrum für angewandte Hypnose in Mainz (D). Gleitschirmfliegen gehört seit bald 20 Jahren zu ihren grössten Hobbys.


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