Contact Tracing – nicht immer datenschutzkonform

  13.11.2020 Saanenland, Coronavirus

Wer Restaurants, Altersheime oder andere öffentlich zugängliche Institutionen besucht, muss sich in Covid-Kontaktlisten eintragen. Doch nicht immer werden die erhobenen Daten datenschutzkonform behandelt.

KEREM S. MAURER
Viele mögen sich bereits daran gewöhnt haben, anderen geht es gegen den Strich: Das Sich-eintragen-Müssen in sogenannte Covid-Kontaktlisten in öffentlich zugänglichen Institutionen oder Gastronomiebetrieben. «Contact Tracing» nennt dies das BAG und schreibt dazu: «Contact Tracing wird bei allen Personen mit laborbestätigtem Covid-19 ober bei hospitalisierten Personen mit wahrscheinlichem Covid-19 empfohlen. Die zuständige kantonale Stelle identifiziert die engen Kontaktpersonen und kontaktiert diese.» Mit dem Ziel, weiterführende Massnahmen zu treffen, um die Verbreitung des Sars-CoV-2 Virus einzudämmen. Vierzehn Tage nach Erhebung solcher Contact-Tracing-Daten müssen diese wieder gelöscht werden – so will es das Gesetz.

Lascher Umgang mit den Listen
Aufhorchen lässt, dass beispielsweise in Alters- und Pflegeheimen ein beachtenswert ungezwungener Umgang mit Kontakt-Tracing-Listen beobachtet wurde. Eine Leserin: «Als ich mich letzte Woche für einen Besuch im Pflegeheim registrierte, fiel mir auf, dass die Liste – eine A4-Excel-Tabelle – schon fast vollständig ausgefüllt war. Ich hätte diese Liste in aller Ruhe fotografieren oder lesen können!» Jemand anderes gibt an, dass eine ausgefüllte Liste einfach auf dem Tisch liegen geblieben war, als eine weitere Tabelle bereits angefangen wurde. «Solche Vorkommnisse sind in der Tat heikel», konstatiert André Streit, Geschäftsführer der Alterswohnen STS AG, auf Anfrage. Ist das mit den geltenden Datenschutzbestimmungen vereinbar?

Allgemein herrscht Verständnis
«Nachdem im Frühjahr die Heime auf Geheiss des Bundesrates für Besucher geschlossen werden mussten, setzten wir alles daran, dass in der jetzigen Zeit, in der wesentlich mehr Covid-19-Fälle als im Frühjahr gezählt werden, unsere Häuser für Besuchende offen bleiben», erklärt André Streit und weist auf die diversen, aktuell in Heimen geltenden Schutzmassnahmen hin, die für Besuchende ebenso wie für Pflegende gelten. Dazu gehöre auch, dass die Besuchenden verpflichtet sind, sich für die Rückverfolgbarkeit in Contact-Tracing-Listen einzutragen. «Die Besucherinnen und Besucher tragen sich in der Regel problemlos in die Liste ein», so Streit.

Diese Erfahrung macht man auch in der Gastronomie. Offensichtlich hat man sich an das Registrieren gewöhnt. Eine Gastgeberin aus dem Saanenland, die ihren Namen an dieser Stelle nicht lesen will, sagt dazu: «Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.» Zwar hätten sich einige Gäste zu Beginn der Massnahmen dagegen gesträubt, doch mittlerweile hielten sich praktisch alle an die Vorgaben. In ihrem Restaurant werden von den Gästen Einzelkarten ausgefüllt, was datenschutztechnisch unbedenklich ist. Einzig das Geburtsdatum gebe hin und wieder zu reden, sagt sie und fügt hinzu: «Einige Gäste fragen, wozu es dieses braucht.» Diese Frage beantwortet Rahel Lutz, stellvertretende Datenschutzbeauftragte des Kantons Bern, wie folgt: «Ob es zusätzlich zur vollständigen Adresse auch das Geburtsdatum braucht, erscheint uns zweifelhaft. Nach Auskunft der zuständigen Direktion ist dieses nur in einzelnen Fällen zur eindeutigen Identifikation des Gastes erforderlich. Die Datenschutzaufsichtsstelle hat in der Folge mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass erst eine genügende Anzahl von solchen Fällen eine flächendeckende Erfassung rechtfertigt, und darum empfohlen, bei der vom Epidemiegesetz vorgeschriebenen nächsten Überprüfung der Massnahmen insbesondere diesen Punkt genau zu verifizieren und gegebenenfalls zu korrigieren.» Ähnliche Erfahrungen machte auch Ruth Lüthi vom Hotel-Restaurant Wildhorn in Lauenen. Sie registriert ihre Gäste elektronisch mittels einer entsprechenden App. Das sei weniger aufwendig und gehe schneller. Auch sie weiss zu berichten, dass ihre Gäste grossmehrheitlich zuvorkommend und verständnisvoll auf die Registrierungspflicht reagierten. Diese Pflicht sei eigentlich nie wirklich ein Problem gewesen. Auch im Wildhorn gibt, wenn überhaupt, die Bekanntgabe des Geburtsdatums Anlass zu Diskussionen.

Nicht datenschutzkonform
Fragen in der Bevölkerung wirft eher auf, wie mit vollgeschriebenen Listen und den darauf enthaltenen Daten verfahren wird. Anders als Gastronomiebetriebe, für welche das kantonale Verordnungsrecht die Erfassung zusätzlicher Datenkategorien vorschreibt, handeln Altersheime gemäss der «Covid-19-Verordnung besondere Lage des Bundes» sowie einem spezifischen Dokument – «Vorgaben, Empfehlungen und Informationen des Alters- und Behindertenamtes (ALBA) und des Spitalamtes (SPA) an die Alters- und Pflegeheime, Institutionen für erwachsene Menschen mit Behinderungen, Einrichtungen der Suchthilfe und Spitex-Organisationen im Kanton Bern» –, wenn sie die Kontaktdaten von den Besuchenden aufnehmen. Demnach erheben sie Name, Kontaktinformation, Datum und Uhrzeit des Besuchs sowie die besuchte Person. Aber kein Geburtsdatum. Dazu sagt die stellvertretende Datenschutzbeauftragte des Kantons Bern: «Sie müssen diese Kontaktdaten in elektronischer Form – in der Regel wird dies eine Besucherliste pro Kalendertag sein – ablegen, damit im Ernstfall die Rückverfolgung im Rahmen des Contact Tracings möglich wird.» Dies gilt im Übrigen auch für Restaurationsbetriebe. Ob die Daten, die bei einem Besuch in einem Alters- und Pflegeheim erhoben werden, von grosser Brisanz sind oder nicht, ist nicht relevant, es geht ums Prinzip. «Auf den Listen ist ersichtlich, wer wann wen besucht», hält André Streit fest. Doch man habe es bislang «nicht für problematisch gehalten, wenn ersichtlich ist, wann eine Tochter ihre Mutter besucht». Rahel Lutz hält dagegen: «Im Anhang der Covid-19-Verordnung besondere Lage des Bundes steht ausdrücklich: ‹Der Betreiber oder Organisator muss die Vertraulichkeit der Kontaktdaten bei der Erhebung und die Datensicherheit namentlich bei der Aufbewahrung der Daten gewährleisten›.» Die stellvertretende Datenschutzbeauftragte des Kantons stellt fest, dass die von den Lesenden geschilderten Begebenheiten gleich mehrere Prinzipien des Datenschutzrechts verletzen: «Daraus resultiert eine unerlaubte Datenbekanntgabe an Private und die Vertraulichkeit der Kontaktdaten ist nicht gewährleistet. Zudem ist die Datensicherheit durch die einfache Zugänglichkeit ohne Sicherungsmassnahmen nicht gewahrt.»

Was wäre machbar?
Laut André Streit wird die Datenschutzfrage in Heimen durchaus ernst genommen, auch arbeite man bereits an Möglichkeiten, wie diese Listen ersetzt werden könnten (siehe Kasten). Für André Streit wäre die erste Möglichkeit aus Sicht der Rückverfolgbarkeit und der Sicherheit die beste Lösung, allerdings wäre diese seiner Meinung nach sehr restriktiv und verhindert, dass verschiedene Leute eine Bewohnerin oder einen Bewohner besuchen könnten. Deshalb käme diese Lösung zumindest vorläufig nicht in Frage.

Die zweite Möglichkeit verunmögliche spontane Besuche. Dabei könnte es passieren, dass Leute, die von weit her anreisten, die gewünschte Person im Heim nicht besuchen könnten.

Die dritte Möglichkeit könnte gemäss André Streit am Umstand scheitern, dass alle Besuchenden über ein Smartphone verfügen müssten, was jedoch nicht der Fall sei.

Die vierte Variante scheine gangbar zu sein, verunmögliche allerdings, dass das Personal der Heime die Vollständigkeit der Daten überprüfen könne.

Wie dringend ist es?
«Eine zu 100 Prozent befriedigende Lösung gibt es leider nicht», resümiert André Streit und führt aus, dass die Contact-Tracing-Liste, wie sie aktuell eingesetzt wird, nach wie vor die einfachste und sinnvollste Lösung biete. Sollte sich allerdings erweisen, dass die Datenschutzfrage in diesem Zusammenhang zentral sei, würde er wohl am ehesten auf die Möglichkeit 3 (siehe Kasten) ausweichen. Diese würde momentan ohnehin geprüft, auch wenn sie bislang noch keine Priorität hat.


MÖGLICHKEITEN, WELCHE DIE CONTACT-TRACING-LISTE ERSETZEN KÖNNTEN

1. Möglichkeit
Analog den bernischen Spitälern: Eine nahestehende Person wird als berechtigte Person für Besuche registriert. Diese darf einmal täglich die oder den Bewohnende/n besuchen.

2. Möglichkeit
Besucher müssen sich telefonisch voranmelden und dürfen dann zur abgemachten Zeit einen Besuch abstatten.

3. Möglichkeit
Die Registrierung wird elektronisch mittels Smartphone und einem QR-Code gemacht.

4. Möglichkeit
Jeder Besucher füllt ein kleines Formular aus und wirft es in einen geschlossenen Behälter.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote