In Winterstiefeln und Bikini

  12.01.2021 Saanenland

Als waschechte Unterländerin werde ich immer wieder davon überrascht, was das Saanenland alles zu bieten hat – und verpasse keine Gelegenheit, auf Entdeckungsreise zu gehen. Mein viertes Abenteuer war eiskalt und kochend heiss zugleich.

NADINE HAGER
Dieses Jahr bin ich in den Weihnachtsferien nicht mit meiner Familie fortgefahren – sie kam zu mir. Da meine Eltern und meine jüngere Schwester aus doch relativ verständlichen Gründen darauf verzichteten, sich mit mir in meiner Einzimmerwohnung unterbringen zu lassen, mieteten wir eine Ferienwohnung in der Umgebung von Gstaad, um dort gemeinsam die Festtage zu verbringen. Meine Reise zum Ferienort dauerte dieses Jahr somit keine halbe Stunde. Eines unserer Highlights in diesen lauschig-verschneiten Ferientagen spielte sich an einem dunklen Abend ab.

Den Tag über waren wir in den Höhen unterwegs und bewältigten bei circa minus 20 Grad Celsius den Peak Walk. Es war atemberaubend – nicht nur wegen der schönen Aussicht, auch die Kälte schnürte einem die Kehle zu. Und ich wäre auch nicht ich, wenn ich es mir leicht gemacht und mich konsequent warm gehalten hätte. Nein, Nadine Hager musste selbst bei den eiskalten Temperaturen und dem unerbittlichen Wind ihre Hände immer wieder aus den dicken Handschuhen winden und jeweils für ein paar Sekunden dazu benutzen, Fotos zu schiessen. Diese Sekunden reichten immer völlig dafür aus, meinen Fingern komplett das Gefühl zu nehmen – doch als leidenschaftliche Hobbyfotografin war es für mich schlichtweg keine Option, auf ein Bild zu verzichten, das ich schiessen wollte. Am Abend sehnten sich meine Familienmitglieder und besonders ich uns dann nur noch nach einem: Wärme.

Dementsprechend war es äusserst naheliegend, unseren Vermietern den Wunsch anzukündigen, den zur Ferienwohnung zugehörigen Jacuzzi benutzen zu wollen. Dieser verfügt über eine Temperatur von 40 Grad. Das Kritische war nur: Die Wanne befand sich draussen. Im Schnee.

Eigentlich hatte ich mir bei unserer Aktion im Vorfeld nicht so viel gedacht. Dies änderte sich schlagartig, als ich über meinen Bikini einen Bademantel anzog, meine nackten Füsse in Winterschuhe steckte und mein Haupt mit einem Stirnband beglückte. Ja, es fühlte sich seltsam an. Auch mein Vater trug Badehose und Wintermütze – ich lachte ihn so lange aus, bis ich selbst in den Spiegel sah.

Grinsend wagten wir vier uns dann erwartungsvoll in die eisige Kälte hinaus und umrundeten das Haus im knöchelhohen Schnee. Die Dämmerung war bereits weit fortgeschritten, doch wir erkannten den Jacuzzi von Weitem: Unsere Vermieter hatten nicht nur Handtücher und einen Badezimmerteppich zurechtgelegt, sondern auch Kerzchen und ein Feuer entzündet, die uns einladend entgegenflackerten. Auch der Jacuzzi selbst war beleuchtet und machte die dichten Dampfschwaden sichtbar, die er in die klirrende Kälte schickte. Zwischen unserer Haustür und dem Bad lagen nur ein paar Meter, die wir zurückzulegen hatten. Trotzdem zitterten wir alle vor Kälte, als wir letzteres erreichten.

Als ich endlich vor dem warmen Wasser stand, schlotterte ich so sehr, dass sich alles in mir dagegen sträubte, den Bademantel und die Winterschuhe auszuziehen. Am liebsten wäre ich samt allem ins heisse Wasser gehopst. Glücklicherweise siegte meine Vernunft und ich entledigte mich beidem, bevor ich vorsichtig als Erste von uns den Einstieg wagte. Das fiel mir trotz dem Temperaturunterschied zwischen dem Winterabend und dem vor Hitze dampfenden Wasser nicht schwer – denn wenn es eine Eigenschaft gibt, die definitiv auf mich zutrifft, dann ist das Wärmebedürftigkeit. Lieber schmore ich in 40 Grad heissem Wasser vor mich hin, als zu schlottern.

Nacheinander stiegen auch meine Schwester und meine Mutter hinter mir in die Wanne – nur mein Vater schaffte es kaum hinein und tat lautstark und mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Protest kund. Im Gegensatz zu uns Frauen ist Kälte eher sein Ding als Hitze. Doch auch er begann gleich darauf, sich zu entspannen: Die Wärme umgab uns vollkommen und Sprudeldüsen sorgten für unsere eigene Privatwellness. Dank dem Dampf war es sogar so heiss, dass ich bald mein Stirnband ausziehen musste!

Um uns herum wurde es immer dunkler, während Kerzchen und Feuer unbeirrt ihr Licht in die hereinbrechende Nacht schickten. Wir schwebten dampfumspielt unter den Sternen und gönnten uns Chips mit Apéro-Getränken – welch ein luxuriöses Vergnügen! Irgendwann wurde es dann jedoch selbst mir zu heiss. So heiss, dass ich, klatschnass und dampfend, nicht einmal auf dem Rückweg vom Jacuzzi in die Ferienwohnung zu frieren begann. Und das muss bei mir – dem Inbegriff eines «Gfröörli», wirklich etwas heissen.


ZUR SERIE

Als abenteuerlustige Zwanzigjährige, die zum ersten Mal alleine wohnt, sehe ich das Saanenland als wahren Schatz der Möglichkeiten an. Vieles kenne ich aus dem Aargau nicht – beispielsweise Alpabzüge oder Skipisten direkt vor der Tür. Bereits im Sommer habe ich deshalb beschlossen, mein halbes Jahr hier oben dafür zu nutzen, in die hiesigen neuen Welten einzutauchen und Neues auszuprobieren. Ich nehme Sie mit auf meine Reise.


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