Volkskunst geht ins Netz

  12.03.2021 Kunst

Vom 5. bis 7. März konnten im Park Gstaad Sammler, Liebhaber oder schlichtweg Interessierte einen Einblick in die wertvolle Privatsammlung von Scherenschnitten und Aquarellen erhalten, die am 24. März in Basel versteigert wird. Insbesondere die Werke des lokalen Künstlers Johann Jakob Hauswirth sollten potenzielle Kunden in die Kulturhauptstadt locken wenngleich Auktionen zunehmend ins Digitale abwandern.

SOPHIA GRASSER
«Es handelt sich um eine der bedeutendsten Privatsammlungen, die je zur Versteigerung standen», erklärte Kunstexperte und Geschäftsleiter Nicolas Beurret von Beurret Bailly Widmer Auktionen. 18 Kunstwerke, ausgestellt im Park Gstaad, gaben vergangenes Wochenende einen Überblick über die geplante Auktion in Basel. Insbesondere die Scherenschnitte von Johann Jakob Hauswirth weckten dabei die Aufmerksamkeit und das Interesse vieler Besucher. Der Künstler gilt als Begründer der Schweizer Scherenschnittkunst, hinter der sich weitaus mehr als «alpiner Alltag» verbirgt.

Die Volkskunst des Scherenschnitts
«Hauswirth schuf ein Sujet, das zahlreiche – auch zeitgenössische Künstler – aufgriffen und auch heute noch aufgreifen», informierte Nicolas Beurret. Hauswirths Werke zeigen filigrane Kühe, Arbeiter, Blumen oder Herzen mit geometrischen Elementen. Sie erzählen die Geschichte des Alpaufzugs oder der Jagd. Dabei beabsichtigte der Künstler keinesfalls eine möglichst naturgetreue Darstellung des alpinen Lebens. Vielmehr lag ihm daran, volkstümliche Alltagsmotive mit dekorativen, poetischen Elementen zu kombinieren, sodass daraus ein Abbild von aussergewöhnlicher Schönheit entstand. Grössere Kompositionen gestaltete er überdies mit mehrschichtig übereinandergeklebten Collagen – eine Technik, die den eindrucksvollen Effekt verstärkt. Die Kunstwerke spiegeln auf besondere Art eine lyrische und fröhliche Lebenswelt wider – und sind damit alles andere als profan. Auch die Schauspielerin Elisabeth Taylor erfreute sich an der brillanten Kunstform. Sie besass das heutige Los 613, das ursprünglich in ihrem Chalet in Gstaad hing.

Mehr online, weniger «Ambiance»
Die allgemein fortschreitende Digitalisierung wirkt sich auch auf herkömmliche Auktionen aus. Dem Kunstexperten Nicolas Beurret zufolge ersteigern Interessenten die Kunstgegenstände in erster Linie online oder telefonisch. Dabei zeichne sich eine reale Auktion unter anderem durch ihre spezielle «Ambiance» aus. «Dieses Feeling geht online leider verloren», so Beurret. Die Abwanderung ins Internet sei nicht ausschliesslich auf Corona zurückzuführen, obgleich die Pandemie den Trend begünstigte. Demnach nehmen Internetauktionen nicht nur aufgrund der untersagten Präsenzveranstaltungen zu. Auch die aktuell begrenzten Freizeit- und Beschäftigungsmöglichkeiten fördern den Onlinehandel.

Wie läuft eine Onlineversteigerung konkret ab?
Sammler und Liebhaber registrieren sich auf verschiedenen internationalen Plattformen und erhalten auf diese Weise die Möglichkeit, die Werke zu begutachten und zu ergattern. Per Tastendruck bekundet ein User sein Interesse und steigt in die Gebote ein. Zur gleichen Zeit steigern Repräsentanten der jeweiligen Plattformen im Auktionssaal für den Internetkunden. «Das findet live statt – ob in Hongkong, New York oder der Schweiz. Weltweit sitzen Personen zu ihrer jeweiligen Ortszeit – bei Tag oder Nacht – vor dem Bildschirm und nehmen teil», erklärte Nicolas Beurret. Es dauere in etwa eine Stunde, bis alle Kunstwerke der angebotenen Sammlung aufgerufen seien.

«Die genaue Anzahl von Personen, die online für ein Kunstwerk mitbieten, lässt sich nicht bestimmen – es handelt sich um Hunderte.» Zum einen möchte man die Privatsphäre der Bieter wahren, zum anderen muss jeder User zunächst auf seine Seriosität geprüft werden. Anhand vorheriger Auktionskäufe oder der Kreditwürdigkeit wird entschieden, wer an einer Versteigerung teilnimmt.

So werden wohl auch die Scherenschnitte Hauswirths am 24. März einen neuen Besitzer finden – ob im virtuellen oder realen Auktionssaal.


JOHANN JAKOB HAUSWIRTH (18091871)

Johann Jakob Hauswirth gilt als Begründer der schweizerischen Scherenschnitttradition. Geboren in Saanen, bestritt er seinen Lebensunterhalt als Knecht, Wanderarbeiter oder Holzfäller. Während der Wintermonate bot er Bauern seine filigranen und beeindruckenden Scherenschnitte gegen eine warme Mahlzeit oder ein Nachtlager an – kaum ein Hof im Berner Oberland war nicht im Besitz eines seiner Kunstwerke. Sein Stil ist besonders von der hohen Dichte an Motiven geprägt.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote