Komme, was wolle – der Turpachbach ist bereit

  29.06.2021 Turbach

Letzte Woche fand die Abnahme des grossen Wasserbauprojektes «Turpachbach» statt. Eine Laiin durfte Mäuschen sein und ihre «Gwundernase» füttern.

DANIELA ROMANG-BIELER
Für mich begann alles letzten Herbst, als ich am stotzigen Hang über dem Turpachbach am Pilze sammeln war: Ich hörte Maschinenlärm und immer wieder laute Rufe unten beim Bach. Es klang nach grosser und schwerer Arbeit da unten. Erst im neuen Jahr, als wir mit unseren sieben Sachen von der Bissen in den Turbach zügelten, fuhren wir regelmässig die Turbachstrasse rauf und runter und konnten das Geschehen aus der Nähe verfolgen. Es sah noch nicht fertig aus, zudem musste die Uferlandschaft wieder aus dem Winterschlaf erwachen. Als ich im Frühling ein paarmal mit dem Velo die Strasse hochkraxelte, konnte ich mich noch nicht so erfreuen am Turpachbach. Aber in den letzten Wochen, als der lange Winter direkt dem Sommer Platz machen musste und die Natur förmlich explodierte, schoss auch am Bach viel Grün empor und die ersten Gewitterwasser formten das Bachbett nach eigener Lust und Laune, sodass ich mich des Anblicks wirklich erfreuen konnte.

Schönheitswettbewerb, Baumfriedhof oder «LandArt»?
Ein grosses Fragezeichen blieb vor meinem Kopf: Was bedeuten diese ausgestellten Baumstrünke zwischen Bach und Strasse? Wird da der schönste Baumrest am ganzen Turpachbach gesucht? Sieht so ein Baumfriedhof aus, oder ist dies jetzt einfach moderne «LandArt»? Ich rief einfach mal auf der Gemeinde Saanen an, um meine «Gwundernase» zu füttern. Und ich nahm mir vor, im «Anzeiger von Saanen» etwas darüber zu berichten.

Dass dann vor einer Woche die Chefredaktion anrief, um mir mitzuteilen, dass bald die Abnahme genau dieses Projektes stattfinden würde, war perfektes Timing und ich gab schnell den Handschlag: Ich wollte doch wissen, welche Operation der Bach hinter sich hat, dessen Rauschen mich jedes Mal begleitet, wenn ich im neuen Zuhause ein Fenster öffne.

Grosszügiges Apéro und viel Lob
Als ich dann zur Brätelstelle kam, wo ein grosszügiger Apéro für rund 40 Personen zur Abnahme des Bauprojektes stattfand, wurde ich mir der Grösse der nun fast abgeschlossenen «Operation» bewusst. In der Ansprache von Klaus Mösching, Präsident der Schwellenkorporation, war viel Freude und Dankbarkeit zu hören. Jedes Wasserbauprojekt sei einmalig und unberechenbar. «Man kann nicht einfach eine Schublade öffnen und das fertige Projekt ‹Turpachbach› hervornehmen. Unter teils schwierigen und nicht ungefährlichen Bedingungen wagen sich Planer und Unternehmer auf Neuland. Mit Willen und Können haben alle Beteiligten zum Gelingen beigetragen.» Und das Erfreulichste am Ganzen sei, dass alles unfallfrei verlaufen ist, konnte Mösching verkünden.

Der Kraft des Wassers trotzen – kein Kinderspiel
Mit der Bestandesaufnahme 2013 hatte das grosse Projekt begonnen. Ein möglichst sicheres Arbeiten in bis zu acht Meter tiefen Baugruben und auf teils lehmigem Boden musste geplant, bewegliche Böschungen fixiert und ein Bachbett mit viel oder noch mehr Wasser mittels Wasserhaltungen trockengelegt werden. Umfangreiche Vorabklärungen fanden statt, immer in engster Zusammenarbeit mit den Fachstellen. Geld wurde beschafft, Anträge geschrieben und zum Teil strenge Auflagen gemacht. Vom Förster Daniel Bütschi lernte ich, dass für jedes definitiv gerodete Stück Land eine Ersatzfläche bestockt werden muss. Im Grund konnte Land gekauft werden, um dieser Auflage gerecht zu werden.

Woher all die Steinblöcke im Bach kommen, wollte ich wissen. Von Projektleiter Beat Brunner, Büro Emch+Berger AG in Spiez, erfuhr ich, dass insgesamt 13’000 Tonnen Steinblöcke aus dem Greyerzerland herantransportiert werden mussten, da das Saanenland nicht über einen entsprechenden Steinbruch verfügt. Diese rund zwei Tonnen schweren Steinblöcke sollen nun 80 Jahre lang den Launen des Turbachwetters trotzen!

Beat Brunner erklärte mir auch, wie mit den zehn sanierten Betonsperren und den um die 25 neuen Blockschwellen die Bachsohle fixiert und somit allzu grosse und gefährliche Verschiebungen von Erosionsmaterial verhindert werden können. «Wenn wir nichts gemacht hätten, würde sich die Bachsohle weiter absenken, die Hänge noch mehr ins Rutschen kommen und die Strasse nebenan würde möglicherweise bald gen Himmel schauen», erklärte Brunner.

Würdigung nach jahrelanger Arbeit
Nach jahrelanger Arbeit konnten viele Beteiligte nun eine Stunde lang wohlverdient Geniesser sein. Klaus Mösching bediente alle Anwesenden gerne persönlich. Und ich als «Gwundernase» durfte den Gesprächen unter Fachleuten lauschen und Antworten auf die Fragen eines Laien bekommen. Ich hatte mich entschieden, keinen technischen Bericht zu schreiben. Also verzichtete ich auf Antworten zu neuen Fragen. Denn über das Erlebte jedes einzelnen Mitgestalters in diesem einmaligen Bauprojekt könnte ich wohl ein Buch schreiben.

Försterlektion
Eine Frage hatte ich aber nicht vergessen und darauf wollte ich noch eine Antwort haben: «Was bedeuten die ausgestellten Baumstrünke?» – «Das ist nicht Kunst, sondern Lebensraum», waren sich Beat Brunner und Klaus Mösching einig. Diese «Ausstellung» sei Teil des Wiederaufforstungsprojektes. Eidechsen, Käfer und andere Tierchen finden da neuen Lebensraum. Die Baumresten können auch wieder spriessen oder werden von kleinen Lebewesen zersetzt. Sie bleiben da. In ein paar Jahren sieht man nichts mehr von ihnen. «Sträucher und vor allem Bergahorn wurden zusätzlich gepflanzt. Erlen und Fichten kommen von selber», weiss Fachmann Daniel Bütschi. Er ist ganz in seinem Element, als er mir beibringt, dass ein Bergahorn pro Jahr 30 bis 50cm wachsen kann und erst in 100 Jahren einen Durchmesser von 50cm hat. Was nun wirklich an den Ufern des spannenden Turpachbaches geschehen wird, werde ich in den nächsten Jahrzehnten beobachten können.


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