Ein unvergesslicher Besuch in Tres Soles

  02.11.2021 Leserbeitrag

In der heutigen Bolivienspalte möchte ich abschliessend noch einmal auf den Besuch des «Missio-Eine-Welt-Kreises» der Kirchengemeinde St. Konrad, Mannheim bei uns in Tres Soles eingehen, vor allem aber auf Magda Keller, seit Jahrzehnten Vorsitzende dieses Kreises. Sie konnte nun endlich mit eigenen Augen ihr Lebenswerk betrachten.
Der «Eine-Welt-Kreis» unterstützt «Tres Soles» nicht nur seit über zwei Jahrzehnten, sondern koordiniert europaweit auch die gesamte Verwaltungs- und Promotionsarbeit für unser Projekt – und dies nur mit Freiwilligen, die für ihre Arbeit keinen Centavo erhalten. Bei meinem nun schon mehr als 10 Jahre zurückliegenden Besuch in Mannheim hatte ich zu der allmählich auf die 70 zugehenden Magda gemeint, dass es doch unmöglich sei, dass sie «Tres Soles» nun schon so lange unterstütze, ohne das Projekt zu kennen: «Wenn du es jetzt nicht anpackst, wirst du es nicht mehr tun.»
«Ja, manchmal erzähle ich von Tres Soles – und du weisst, dass ich es mit Begeisterung mache – und plötzlich fragt mich jemand, ob ich schon mal dort gewesen sei. Ich weiss dann gar nicht, was ich sagen soll», erwiderte sie kläglich. «Aber eine Reise nach Bolivien ist eben ziemlich lang und kompliziert, und überhaupt das Alter und die Höhe!» Trotzdem besprach sie sich mit den Mitgliedern des Kreises und so kam die Reise zustande, bezahlt übrigens von jeder Teilnehmerin aus eigener Tasche, was an dieser Stelle ganz klar erwähnt werden muss. Wieder zurück in Deutschland schrieben unsere Besucherinnen Magda Keller, Karin Geier, Angelika Ress, Claudia Herzner, Anja Bruckmeir und Heike Dentler einen Bericht über ihren «unvergesslichen Besuch in Tres Soles»:
«Seit über 20 Jahren unterstützen die Freunde aus der Kirchengemeinde St. Konrad in Mannheim das Kinder- und Jugendprojekt Tres Soles in Quillacollo bei Cochabamba. Wir, sechs Frauen dieser Unterstützergruppe, verbanden den Besuch in Tres Soles mit einer Rundreise durch Bolivien. Der Besuch bei unseren Kindern war für uns der Höhepunkt der Reise. Der Tag begann in der Kirche, wo die zehnjährige Fabiana, eines der Kinder der Wohngemeinschaft, getauft wurde. Anlässlich der Taufe und unseres Besuches wurde anschliessend in Tres Soles ein grosses Fest gefeiert. Eloy, ein ehemaliges Mitglied von Tres Soles und ausgebildeter Koch, hatte es sich nicht nehmen lassen, extra sieben Stunden aus La Paz anzureisen, um für uns alle ein Festmenü zuzubereiten. Bei einem Rundgang haben uns dann die Kinder mit grossem Eifer ihre Zimmer gezeigt und uns die Werkstätten erklärt, zu denen die Schreinerei, die Backstube und die Karten- und Nähwerkstatt gehören. Die vielen schönen Sachen wie handgemalte Karten und selbst genähte Taschen, Rucksäcke, Portemonnaies usw. verführten uns zum Grosseinkauf. Im Anschluss wurden uns traditionelle Tänze und Pantomime-Aufführungen geboten. Am späteren Nachmittag, bei Tee und Kuchen, konnte wir dann die Badetücher und Rucksäcke, die wir für sie als Mitbringsel organisiert hatten, überreichen. Zum Abschluss dieses ereignisreichen Tages durften wir das neue Stück der Theatergruppe ‹Ojo Morado› (‹Das blaue Auge›) im wahrsten Sinn des Wortes miterleben. ‹Ojo Morado› wurde als alternatives Erziehungsprojekt mit den Kindern und Jugendlichen von Tres Soles gegründet. Das Theaterspiel stärkt bekanntlich das Selbstbewusstsein und die Selbstfindung, was für diese psychisch geschädigten Kindern von grosser Wichtigkeit ist. Schweren Herzens und tief beeindruckt nahmen wir von den Kindern und Jugendlichen Abschied, in der Hoffnung, eines Tages wiederzukommen.»
In früheren Jahren hatten wir häufiger Besuch. Wir waren sogar über zehn Jahre lang im Programm eines alternativen Reiseveranstalters, der solidarische Besuche bei ausgewählten Projekten organisierte. Die Besuche liefen ähnlich ab, wie sie die Mannheimer Frauen beschrieben haben.
Wie für jede Aktivität in Tres Soles gibt es eine Zielsetzung, die die Jugendlichen selbst erarbeiten. Auf einem Schild an der Wand des Hofes, wo die Treffen stattzufinden pflegten, hatten sie festgehalten: «Vor anderen zu sprechen, ist sehr wichtig, weil wir dabei lernen, uns auszudrücken und uns verständlich zu machen.» Im Zuge dessen hatten wir uns ein Spiel ausgedacht, an dem sowohl die Besucher als auch die Kinder teilnahmen. In einem Reisekoffer lagen zum einen Geschenke, wie etwa Schokolade, ein Taschenmesser oder Füllfederhalter, die die Besucher mitgebracht hatten; zum anderen lagen in dem Koffer landestypische Sachen aus Bolivien wie Quinua, Kokablätter, Fähnchen oder eine Flöte, die wir organisiert hatten. Um ein Geschenk auswählen zu dürfen, musste jeder abwechslungsweise innerhalb des Kreises eine Klischeerolle der «Gegenseite» spielen, zum Beispiel musste ein Solesianer einen deutschen Touristen darstellen, dem die Kamera gestohlen worden war, oder ein Tourist einen Solesianer, der mit einem Betreuer diskutierte, weil er sich ungerecht behandelt fühlte – und das alles natürlich ohne Worte, da normalerweise weder die Touristen Spanisch noch die Solesianer Deutsch sprechen. Oft wurde auch ein Auszug aus einem unserer Theaterstücke aufgeführt oder musiziert. Im Gegenzug wurden die Besucher aufgefordert, wenigstens ein Lied zu singen, was aber nicht immer funktionierte. Immerhin sollte es nicht wie beim Besuch eines zoologischen Gartens verlaufen, nämlich dass man arme Kinder bestaunte, sondern es sollte ein gegenseitiger Austausch sein. An solchen Nachmittagen wurde natürlich viel gelacht, aber ganz sicherlich verhalf es dazu, Verständnis für die Andersartigkeit zu wecken. Leider war die Gruppe des «Eine-Welt-Kreises» die letzte Gruppe, die uns auf diese Art besuchte. Wegen der wachsenden Unsicherheit und der ständigen Streiks und Blockaden im Land musste diese Reise aus dem Programm genommen werden. Wir bedauerten dies sehr, denn durch die Besucher, vor allem aus dem deutschsprachigen Europa, – sie kamen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich – war ein grosser Unterstützerkreis entstanden, wodurch unsere finanzielle Absicherung mehr Stabilität erhielt und sogar drei Europatourneen mit der Theatergruppe ermöglicht wurden.

STEFAN GURTNER

Stefan Gurtner ist im Saanenland aufgewachsen und lebt seit 1987 in Bolivien in Südamerika, wo er mit Strassenkindern arbeitet. In loser Folge schreibt er im «Anzeiger von Saanen» über das Leben mit den Jugendlichen. Wer mehr über seine Arbeit erfahren oder diese finanziell unterstützen möchte, kann sich beim Verein Tres Soles, Walter Köhli, Seeblickstrasse 29, 9037 Speicherschwendi, E-Mail: walterkoehli@ bluewin.ch erkundigen. Spenden: Tres Soles, 1660 Château-d’Oex, Kto.-Nr. 17-16727-4. www.tres-soles.de


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