RANDNOTIZ

  14.01.2022 Leserbeitrag

Für Mirko

SONJA WOLF
«Ich mag lieber Menschen, die überall etwas finden, was sie fasziniert, als Menschen, die überall etwas suchen, was sie aufregt», postete ein Bekannter auf Linkedin. Stimmt, ich auch, schiesst es mir durch den Kopf. Mir fällt auf, dass zu meinem engeren Freundeskreis eigentlich keiner aus der Gruppe der ewigen Nörgler gehört.

Als weitläufige Bekannte auf Facebook und Co. schwirren sie gleichwohl noch herum und lassen sich wortreich darüber aus, bis zu welchem Alter Stillen bei Babys noch «normal» ist, warum Djokovic nicht spielen sollte und was Angela Merkel in 16 Jahren alles verbockt hat. Oder wie im Fall meines ehemaligen Studienkollegen Mirko*, der sich immer noch nicht über die Handhabung der Pandemie beruhigen kann. «Ich bin halt einer mit wachem Verstand, der Missstände sieht, seine Kritik in Worte fasst und etwas verändern will!», höre ich ihn sagen. Nun, lieber Mirko, das ist im Prinzip richtig und sei dir auch gegönnt. Ich lese deine Posts über eine Bill-Gates-Weltherrschaft und deine Grippe-Corona-Vergleiche sogar ab und an, da ich mich wirklich dafür interessiere, wie andere Menschen ticken. Es kommt sogar nicht selten vor, dass ich beim Surfen durch aktuelle Nachrichten länger an den Kommentarspalten hängen bleibe als am eigentlichen Artikel: einfach spannend, wie unterschiedlich Menschen doch denken! Ich versuche, mich in ihre Meinungen hineinzuversetzen und google nach, aus welchen Gründen die eine oder andere Gruppe gegen Impfungen oder für das Stillen bis zur Schulzeit ist.

Aber was ich gar nicht nachvollziehen kann, lieber Mirko, ist die Vehemenz, mit der du Evidenzen für deine Position sammelst. Warte, ich schaue gerade mal nach: ganze neun Posts in den letzten 24 Stunden, und ausschliesslich zum Pandemiethema! Machst du noch etwas anderes im Leben? Und wen willst du damit überzeugen? Einen Abend oder zwei würde ich ja noch mit dir diskutieren, ich mag kraftvolle Diskussionen mit clever gewählten Argumenten. Aber bei gefühlt zehn identischen Posts pro Tag seit über zwei Jahren überlege ich mir doch allmählich, dich stummzuschalten. Wie viele deiner Facebook-Freunde das wohl schon gemacht haben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das dein Ziel ist. Oder dass du dich zusammen mit den vier bis fünf ähnlich Gestrickten, die regelmässig deine Posts liken, von deinen restlichen 600 Freunden distanzieren willst. Und vielleicht auch von deinen Freunden im richtigen Leben? Komm doch einfach raus aus deiner dunklen Weltuntergangshöhle und tauch ein ins bunte, vielseitige Leben! Mach eine Skitour oder geh ein neues berufliches Projekt im Jahr 2022 an! Ab und zu auch solche Neuigkeiten von dir zu lesen, würde mich wahnsinnig freuen!
*Name geändert

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