Mit 19 Jahren hat sich Céline Reichenbach aus Lauenen einen Platz im C-Kader von Swiss-Ski erkämpft. Die junge Athletin begeistert mit Tempo, Disziplin und einer grossen Portion Dankbarkeit – und peilt im Europacup die Top 30 an.
JOCELYNE PAGE
Offen, herzlich, aber keine Frau der grossen Worte: Céline Reichenbach antwortet bedacht, kurz und präzise. Doch wenn sie übers Skifahren spricht, verändert sich ihr Wesen. Ihre Augen leuchten, das Lächeln wird breiter. Die Leidenschaft ist spürbar. Die 19-jährige Lauenerin hat sich ihren Platz im C-Kader von Swiss-Ski für die kommende Saison hart erarbeitet. «Es war ein grosses Ziel von mir. Ich bin sehr dankbar, dass ich das erreichen durfte», sagt sie.
In den vergangenen Jahren hat Reichenbach konsequent an sich gearbeitet. Sie besuchte die Sportmittelschule in Engelberg, lebte unter der Woche im Internat, trainierte halbtags, die andere Hälfte war dem Unterricht gewidmet. Eine intensive Zeit, die ihr gefiel, auch wenn sie viel Veränderung mit sich brachte, besonders die Distanz zu Familie und Freunden. «Die Anreise dauerte oft über vier Stunden. Meistens musste ich am Sonntagnachmittag los. Das war schon manchmal hart.»
Seit diesem Sommer absolviert Reichenbach ein zweijähriges Praktikum bei der Gemeinde Lauenen. Sie arbeitet im 50-Prozent-Pensum, um Beruf und Sport miteinander zu verbinden. «Meine Vorgesetzten sind sehr flexibel, ich erhalte enorm viele Freiheiten. Dafür bin ich sehr dankbar.» Am Ende wird sie das eidgenössische Fähigkeitszeugnis als Kauffrau in der Hand halten.
Schnelligkeit hat ihr schon immer zugesagt
Obwohl Céline Reichenbach ursprünglich im Riesenslalom Fuss fasste, hat sie sich in der vergangenen Saison in den Speeddisziplinen etabliert. «Ich hatte schon immer ein Flair für schnelles Skifahren. Es ist einfach cool», sagt sie und lächelt. Auch im Europacup sammelte sie erste Erfahrungen – und gleich erste Punkte. «Ich bin irgendwie vom Riesenslalom in die Speeddisziplinen reingerutscht und durfte diese Saison viele Rennerfahrungen sammeln.»
Reisen, Training, Rennen: Das alles gehört für Reichenbach längst zum Alltag. Und doch ist jede Erfahrung für sie besonders. «Mit dem Team unterwegs zu sein, verschiedene Leute kennenzulernen, andere Regionen der Schweiz oder auch andere Länder zu sehen – das ist etwas, das ich sehr schätze.»
Starke Familie im Rücken
Den Rückhalt findet Reichenbach in ihrer Familie. Und sie teilt mit ihr nicht nur den Alltag, sondern auch die Leidenschaft für den Skisport. Sie und ihre drei Geschwister sind vom Skifieber gepackt. Die beiden jüngeren Schwestern verfolgen ebenfalls eine Rennkarriere. «Chiara hat den Schritt ins BOSV-Junioren-Kader geschafft. Sie wird nächste Saison ihre ersten FIS-Rennen bestreiten.» T O Ohne ihre Eltern, betont sie mehrmals, wäre ihr Weg nicht möglich gewesen: «Sie waren immer da, bei Freudentränen wie auch bei Frust. Und sie haben alles für mich getan, beispielsweise mich mit all dem Material um zwei Uhr morgens nach Spiez fahren.»
Grosse Ziele, klare Haltung
Reichenbach bleibt bodenständig und fokussiert. «Ich freue mich auf alles, was kommt. Mein Ziel ist es, im Europacup in die Top 30 zu fahren, im Super-G und in der Abfahrt.» Auch der Aufstieg ins nächsthöhere Swiss-Ski-Kader steht auf ihrer Liste. Gleichzeitig will sie mit Freude trainieren und vor allem gesund bleiben. «Man merkt oft erst, was man hat, wenn man es nicht mehr hat.»
Im Sommer steht Konditionstraining in Magglingen und Skitraining in Zermatt an. Wenn sie zu Hause in Lauenen ist und arbeitet, trainiert sie alleine weiter. Innerer Schweinehund? Nicht vorhanden. «Wenn du ein Ziel hast, dann machst du es einfach. Egal, wie anstrengend es ist.»
«Hauptsache, ich kann mitanpacken»
Ob auf der Skipiste, im Training oder daheim auf dem Bauernhof in Lauenen: Céline Reichenbach bleibt selten still sitzen. Im Interview spricht die 19-jährige Lauenerin über Vorbilder, Freeride-Tage mit ihrem Vater und wie sie mit Druck umgeht.
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Wer war früher Ihr Vorbild?
Ich hatte viele Vorbilder: Lindsey Vonn, Lara Gut, Mikaela Shiffrin, Aleksander Aamodt Kilde – alle auf ihre Art sehr cool.
Wie schalten Sie ab vom Trubel rund um den Skizirkus und Ihrer Ausbildung bei der Gemeinde?
Ich bin jemand, der immer etwas zu tun haben muss. Oft helfe ich auf unserem Bauernhof mit. Klar, nicht alles macht auf Anhieb Spass, aber meistens kommt etwas Gutes dabei raus. Ob mit Maschinen oder mit Tieren, Hauptsache, ich bin beschäftigt und kann mitanpacken.
Was würden Sie als eine Ihrer grössten Stärken bezeichnen?
Ich bin freundlich und stets hilfsbereit.
Gibt es eine Angewohnheit, die Sie gerne ablegen würden?
Ich bin manchmal etwas tollpatschig. Oder ich vergesse Kleinigkeiten, obwohl ich es besser wissen müsste.
Was war Ihr Traumberuf als Kind?
Ich wollte Tierärztin werden. Aber das habe ich schnell wieder verworfen, als ich erfuhr, was ich alles dafür tun muss (lacht). Dann kam das Skifahren.
Wie gehen Sie mit Druck um?
Mit Musik und indem ich versuche, die Dinge nicht zu ernst zu nehmen. Locker bleiben, auf das Ziel fokussieren und daran glauben, was man kann. Dann funktioniert es meistens.
Wo befindet sich Ihre Lieblingsskipiste?
Jede Piste hat ihre schönen Seiten. Meine Lieblingsabfahrtsstrecke ist Kvitfjell – die coolste Abfahrt, die ich je gesehen habe. Zum freien Skifahren ist das Gfell in Schönried mein Favorit. Die Piste ist enorm breit, die Aussicht wunderschön.
Piste oder Freeride – was bevorzugen Sie?
Wenn es guten Pulver hat, ganz klar Freeride. Am liebsten mit meinem Vater auf dem Glacier 3000.