Ein Dach schwebt durch die Luft

  07.02.2020 Saanenland

Das neue Eggli-Berghaus, das Fünffamilienhaus im Grund, das Luxuschalet auf der Wispile, der Gstaad Airport: Sie alle wurden oder werden in Massivholzbauweise und mehrheitlich im Elementbau errichtet. Der «Anzeiger von Saanen» greift den neuen Trend auf und geht auf Spurensuche.

BLANCA BURRI
Die Spurensuche führt zu Chaletbau Reuteler im Grund. Seit mehr als fünfzehn Jahren beschäftigt sich das Unternehmen mit Elementholzbau und hat dafür erst eine Fertigungshalle und später eine Lagerhalle erstellt. Im vergangenen Herbst richtete die Firma in unmittelbarer Nachbarschaft der Fertigungshalle ein Haus mit fünf Wohneinheiten in rekordverdächtiger Zeit auf. Ein Besuch des Chalets gibt einen Einblick in die Thematik. Ein Objekt von Chaletbau Matti in Massivholzbau befindet sich vis-à-vis vom Park Gstaad im Bau.

Nachhaltigkeit – ein Marketingslogan?
Nachhaltigkeit ist der Marketingslogan der vergangenen zwei Jahre und wirkt manchmal ein bisschen abgedroschen. Wenn es darum geht, ein Produkt «grüner» zu verkaufen, als es in Wirklichkeit ist, ist der Begriff fehl am Platz. Auch beim Massivholzbau hält Nachhaltigkeit als Hauptgrund für den neuen Trend her. In diesem speziellen Fall aber wird der Begriff richtig verwendet.

CO2-Speicher
Bäume nehmen CO2 aus der Luft auf, binden es und geben im Gegenzug Sauerstoff ab. Das heisst, dass uns die Wälder mit frei verfügbarer Luft versorgen. Das Gute daran ist, dass die Bäume CO2 für Hunderte von Jahren speichern und so dazu beitragen, die Klimaerwärmung einzudämmen. Der Wald bietet aber nur begrenzten Speicherplatz, weshalb Holzbauten vierfach nachhaltig sind:
1. Holz ist grundsätzlich ein nach wachsendes Naturprodukt und bei wachsamer Waldpflege ein Rohstoff, der nie ausgeht.
2. Holzgebäude lagern schädliche CO2-Stoffe genauso wie lebende Bäume, nur viel länger.
3. Der Baustoff Holz wärmt Wohnungen nach dem Abbruch eines Gebäudes, wenn er als Heizstoff eingesetzt wird.
4. Wird bei der Wahl des Holzes auf Regionalität geachtet, fällt auch der Transport weg, was den CO2-Ausstoss während der Herstellung auf einem Minimum beschränkt.

Wohlbehagen
Ein emotionaler Grund für den Trend hin zu Massivholzbau ist die positive Ausstrahlung von Holz. Viele Menschen empfinden Wohnen im Holzchalet als sehr angenehm, weil der natürliche Baustoff schalldämpfend wirkt und eine gewisse Ruhe ausstrahlt. «Bestimmt hat das Wohlbehagen auch mit dem natürlichen Feuchtigkeitsaustausch zu tun», sagt Beat Matti von Chaletbau Matti. Denn das Holz wirke ausgleichend. «Im Sommer nimmt es Feuchtigkeit auf, im Winter gibt es sie wieder ab», weiss er.

Weshalb plötzlich möglich?
Lange Zeit war ein mehrgeschossiger Massivholzbau aufgrund der Statik und des Brandschutzes nicht möglich. «Durch eine enorme Entwicklung in der Branche hat sich das seit Kurzem geändert», weiss Sandro Reuteler von Chaletbau Reuteler. Die Qualität der geleimten Trägerelemente sei durch die neuartige Technologie massiv verbessert worden. Zudem seien die verschiedenen Holzarten statisch geprüft worden. «Die Esche eignet sich beispielsweise für Tragelemente besonders gut. Sie ist extrem stabil. Im Vergleich zur Fichte braucht sie für eine grosse Traglast weniger Volumen», erklärt Beat Matti.

So viel Holz wie möglich
Bei der herkömmlichen Bauweise im Saanenland werden das Untergeschoss, das Sockelgeschoss, der Liftschacht und die Böden oft aus Beton beziehungsweise Backsteinen und Fliessböden gebaut. Die Verkleidung der Obergeschosse erfolgt mit Holz. Im Unterschied dazu wird beim Massivholzbau in der Regel nur das Untergeschoss durch den Baumeister erstellt.Alle anderen Geschosse, manchmal sogar die Treppen und der Liftschacht, sind aus Holz. «Das ist nur dank dem Fortschritt der letzten Jahre möglich», erklärt Daniel Matti von Chaletbau Matti. Beim Massivholzbau kommen in der Regel drei Techniken zur Anwendung: der Rundholzbau, der herkömmliche Holzbau mit Aufrichten und Verkleiden auf Platz sowie der Elementholzbau, bei dem Elemente von bis zu 15 Metern Länge und drei Metern Höhe in der Fertigungshalle vorproduziert und mit einem Kran oder an schwer zugänglichen Orten per Helikopter montiert werden.

Massiv verkürzte Bauzeit
Durch die Produktion in der Fertigungshalle können Elementholzteile oft parallel zu den Baumeisterarbeiten erstellt werden. Nach den Aufrichtearbeiten, die in wenigen Tagen erfolgen, kann sofort mit dem Innenausbau begonnen werden. «Das bedeutet eine Zeiteinsparung von rund einem Monat pro Etage», sagt Sandro Reuteler. Für viele Bauherren sei das ein Entscheidungsgrund.

Obwohl die Planung und Umsetzung von Elementbauten viel komplexer sind als die herkömmliche Bauweise und zudem grosse Fertigungshallen voraussetzen, tendieren auch Zimmereien zu dieser Bauweise. «Elementbauten lassen sich sehr gut planen», begündet Reuteler. Die Arbeiten würden besser aufs ganze Jahr verteilt, was sich positiv auf die Belastung der Mitarbeitenden auswirke. Auch auf die Ferienplanung nimmt die Elementbauweise Einfluss. «Die Zimmerleute können viel flexibler Ferien beziehen als noch vor ein paar Jahren», betont Daniel Matti. Denn damals seien im Frühling und Frühsommer die meisten Baumeisterarbeiten erfolgt. Im Sommer und Herbst hätten die Zimmerleute und weitere Handwerker auf Hochdruck gearbeitet, um die Chalets noch vor Weihnachten bezugsbereit zu machen.

«Heute sind wir vom Wetter viel unabhängiger», so Reuteler. Innerhalb von nur acht Tagen hat Holzbau Reuteler vergangenen Herbst ein dreigeschossiges Haus mit 80 Elementen aufgerichtet. Danach war alles am «Schärme». Mit dem Innenausbau konnte sofort begonnen werden. Weil bei den weiteren Arbeiten oftmals die Trockenbauweise zum Einsatz kommt, fallen wochenlange Trocknungsperioden weg.

Kosten fast gleich hoch
Wenn eine Bauweise schneller ist als eine andere, liegt die Vermutung nahe, dass sie auch günstiger ist. Das ist aber ein Trugschluss. «Bei der Elementbauweise werden viele Arbeitsschritte in der Produktionshalle statt auf dem Bau vorgenommen», erlärt Daniel Matti. Trotzdem sind gleich viele Arbeitskräfte im Spiel. Auch die Kosten der Baustoffe halte sich in etwa die Waage. Deshalb seien die Elementbauweise und insbesondere der Massivholzbau sowie die konventionelle Bauweise ähnlich teuer, der Elementbau ist sogar eher etwas teurer. Genaue Prozentzahlen sind nicht zu erfahren.

Die Planung ist komplex
Die Holz-Elementbauweise erfordert eine exakte und durchdachte Planung. Dadurch sinkt die Flexibilität der Entscheidungsträger, während dem Bau noch etwas zu verändern. Insbesondere der Zimmermann ist angehalten, sehr genau zu arbeiten. Die Zimmerleute legen bereits in der Produktionshalle den Grundstein für die Verbindungen der verschiedenen Elemente, für Wasser- und Stromleitungen und für vieles mehr. Dafür braucht es in der Fertigungshalle einen Hallenkran und Platz für andere Handwerker, weil gewisse Leitungen bereits dort verlegt werden. Ein Spezialanhänger ist schliesslich für den Transport vonnöten. «Natürlich ist die Zusammenarbeit mit den anderen am Bau beteiligten Berufsgattungen noch viel intensiver als bei herkömmlichen Bauten», meint Sandro Reuteler.

Ängste sind unbegründet
Knarrende Holztreppen und ächzende Holzböden sind aber passé. «Solche Schallschutzprobleme gibt es heute glücklicherweise nicht mehr», lacht Sandro Reuteler. «Die Schallschutzmassnahmen im Holzbau sind gleich gut wie bei Betonbauten», versichert er. Auch betreffend Brandschutz hat die Forschung neue Erkenntnisse (siehe Interview). Betreffend Erdbebenschutz ist der Holzbau gleich weit wie andere Technologien. Holz ist dehnbar und kann gewisse Schwingungen somit kompensieren. Die Metallverbindungen garantieren die Stabilität.

Während ein Elementbau früher mit billig, zweckmässig und schnell gleichgesetzt wurde, ist dieses Vorurteil heute nicht mehr gültig. «Es gibt qualitativ keinen Unterschied mehr zu anderen Bauweisen. Im Gegenteil, die Elementbauweise ist qualitativ sehr hochstehend. Sogar Luxuschalets werden so hergestellt», beteuert Sandro Reuteler.

Zu den Verfärbungen des Holzes durch Sonneneinstrahlung meint Daniel Matti: «Wer das natürliche Verfärben nicht mag, lässt einen Vergilbungsschutz auftragen, damit ist das Problem gelöst.»


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