Rückkehr zum Glacier de la Plaine Morte

  12.08.2022 Nachbarschaft

Am 2. August 2022 startete die Klimagruppe Simmental ihre zweite Bergwanderung, wiederum von der Iffigenalp via Rawilpass zur Wildstrubelhütte. Anschliessend kehrte sie am 3. August 2022 über die Wisshorelücke (2851m) zur Westseite des Glacier de la Plaine Morte zurück.

«Unglaublich…! Das kann doch nicht wahr sein... In so kurzer Zeit…?» Aber die Vergleichsbilder mit den GPS-Daten beweisen, dass sich die Klimagruppe Simmental genau an derselben Stelle wie vor einem Jahr befindet. Sie steht eindeutig vor dem als Referenz dienenden Felsblock. Am 14. August 2021 konnte man hier noch im Schnee des Gletschers sitzen und bequem an ihn anlehnen. Nun liegt dieser Felsen sehr instabil drei Meter über uns!

Bereits bei der Ankunft auf dem Gletscher am frühen Vormittag fliesst Wasser in kleinen Kanälen auf der Oberfläche. Kaum eine Stunde später haben sich diese an einigen Stellen in Bäche verwandelt. Vor einem Jahr ragte der kleine, längliche Steinhügel noch wie eine kleine Insel aus dem Eis des Gletschers heraus. Die Sommerhitze 2022 hat ihn in kurzer Zeit dem Gletscher entrissen und ins Festland «integriert». Ernst Zbären dokumentiert anhand von alten Karten aus dem 18. Jahrhundert vor Ort die früheren gewaltigen Ausmasse des Gletschers.

In einem Artikel der «Simmental Zeitung» vom 9. Juni 2022 erklärte Daniel Zimmermann, Niederer + Pozzi AG, dass es in 50 Jahren auf der Plaine Morte keinen Gletscher mehr geben werde. Dies erscheint in Anbetracht des Gletscherschwundes während der letzten zwölf Monate eine unerfreuliche, aber realistische Einschätzung zu sein. Gemäss einem Artikel aus dem Jahr 2019 mit dem Schweizer Gletscherforscher Wilfried Haeberli sind die Eisriesen kaum noch zu retten.

«Schauen wir Gletscher an, dann blicken wir auf die Vergangenheit, denn Gletscher reagieren sehr langsam. Sie passen sich erst nach etwa 50 Jahren einer Klimaveränderung an. Selbst wenn die Erderwärmung sofort gestoppt würde, der Rückgang der Gletscher wäre nicht mehr zu verhindern.»

Beim Schreiben dieses Artikels kommt es einem dabei fast so vor, als handle es sich über eine längst vergangene Zeit. Corona und der Ukraine-Krieg haben die Klimathematik von der Bildfläche verdrängt. Fakt ist aber: Der grösste Plateaugletscher von Europa, welcher sich vor unseren Haustüren befindet, schmilzt – und zwar rasant. Die Klimakrise ist real. Auch hartnäckige Zweifelnde können es nicht mehr leugnen: Die Erde erwärmt sich mit rasanter Geschwindigkeit.

Gebirgsgletscher gelten dabei als Schlüsselindikatoren für Klimaänderungen, sozusagen als eine Art globales Fieberthermometer.

KLIMAGRUPPE SIMMENTAL/SONJA RUBI UND WERNER KOBI


HIER EINIGE GEDANKEN DER TEILNEHMENDEN:

Sonja Rubi (1997):
«Meine Grosseltern erzählen immer wieder, dass sie in ihrer Jugend vom Tal aus die Berge im Wallis wegen dem Gletscher nicht sehen konnten. In der Zwischenzeit hat sich das geändert. Trotzdem dachte ich als Kind, dass Gletscher unzerstörbar seien. Als ich nun zum zweiten Mal auf dem Glacier de la Plaine Morte stand und auf die erste Bergkette im Wallis blickte, war ich schockiert. Mit eigenen Augen zu sehen, wie schon nur die Höhe dieses Gletschers seit der Jugendzeit meiner Grosseltern gemäss unseren Berechnungen um mindestens 100 Meter abgenommen haben muss, macht mich sprachlos.»

Martin Hefti (1971):
«Den schneelosen Gletscher wie einen Eiswürfel in der Sonne liegen zu sehen, bereits Anfang August, schmerzt. So gehen unsere Süsswasservorräte in Europa schnell zur Neige. Besser kann man sich das kaum vor Augen führen. Sehr gefreut hat mich, dass auch Ernst Zbären Teil der Tour war, welcher mit viel Wissen auf Verschiedenes aufmerksam machte. Es zeigt mir einmal mehr auf,dass es die Klimagruppe braucht, um ein Umdenken in unserer Gesellschaft zu erwirken. Ich empfehle allen, diese Tour in den nächsten Jahren mitzumachen.»

Theres und François Clerc (1949 und 1951):
«Wenn man so nahe beim Gletscher ist wie wir auf dieser Wanderung und den Zustand der Eisfläche sieht, ist es schon beängstigend, wie schnell sich das Naturwunder Gletscher von uns verabschiedet. Da kann man nur hoffen, dass die Einsicht bei möglichst vielen Erdbewohnern kommt, sich der Natur gegenüber rücksichtsvoller zu verhalten betreffend Konsum, damit sie für weitere Generationen erhalten bleibt.»

Ernst Zbären (1941):
«Ich bin erschrocken, wie viele Meter die ausgeaperte Insel nahe dem westlichen Gletscherrand in die Höhe gewachsen ist. Seit meinem letzten Besuch vor zwei Jahren ist sie um wenigstens fünf Meter höher geworden. Um fünf Meter ist das Gletschereis der Plaine Morte abgeschmolzen – und der Sommer 2022 ist noch lange nicht zu Ende.» Werner Kobi (1953):
«Die Zukunft könnte in 50 Jahren am 13. August 2072 vielleicht so aussehen: Sonja steigt mit ihren Enkeln trotz glühender Sommerhitze den schlecht erkennbaren Bergweg zur Wisshorelücke hoch. Die SAC Wildstrubelhütte ist nur noch als Ruine erkennbar. Wegen Wassermangel wurde sie schon vor mehr als 30 Jahren aufgegeben. Sonja erzählt ihren Enkelkindern: ‹Meine Grosseltern haben mir vor vielen Jahren erzählt, wie sie in ihrer Jugend von hier aus keine hundert Meter bis an den Rand eines riesigen Eismeeres liefen. Als ich 2021 das erste Mal hier oben stand, musste ich damals zusammen mit der Klimagruppe Simmental bereits über eine Stunde hinunter zum Rand des Gletschers laufen. Immerhin war damals noch ein beachtlicher Teil dieser Hochebene mit Eis bedeckt. Das könnt ihr euch kaum mehr vorstellen. Ihr kennt Eis nur noch aus dem Tiefkühlschrank… Wie ihr auf eurer digitalen Karte der Schweiz erkennt, wurde das Wort ‹Glacier› entfernt. Ihr schaut nun auf ‹Le désert de la Plaine Morte› hinunter ...›»

 


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