Alex Kühni hat den Krieg im Fokus
10.05.2024 SaanenmöserEin nicht alltägliches Foto einer alltäglichen Szene aus dem Schaffen des Kriegsfotografen und Fotojournalisten Alex Kühni aus Bern. Er war mit seinem Vortrag «An der Front mit der Kamera» zu Gast am öffentlichen Clubabend von Soroptimist Gstaad-Saanenland. Seine ...
Ein nicht alltägliches Foto einer alltäglichen Szene aus dem Schaffen des Kriegsfotografen und Fotojournalisten Alex Kühni aus Bern. Er war mit seinem Vortrag «An der Front mit der Kamera» zu Gast am öffentlichen Clubabend von Soroptimist Gstaad-Saanenland. Seine Erzählungen waren berührend und machten betroffen. Kühni macht keine Politik, sondern erzählt Geschichten aus dem Krieg mit Fotos, die er nicht selten unter Lebensgefahr geschossen hat, und die es in sich haben.
Frieden ist die grosse Ausnahme
Fotos eines Kriegsreporters und dessen authentische Augenzeugenberichte brachten für eine Stunde lang den Schrecken weltweiter Kriege und Konflikte ins Saanenland. Der diesjährige Clubabend von Soroptimist Gstaad-Saanenland ging unter die Haut.
KEREM S. MAURER
Die Programmdirektorin von Soroptimist Gstaad-Saanenland, Susanne Staub, liess sich für den diesjährigen öffentlichen Clubabend etwas Spezielles einfallen: Sie engagierte für einen Vortrag den mehrfach preisgekrönten Berner Fotojournalisten und Kriegsfotografen Alex Kühni. Soroptimist International Switzerland unterstütze ihre Schwesterorganisationen in der Ukraine seit dem Ausbruch des Krieges, sagte Susanne Staub und erläuterte, dass schon viel Geld aus dem Saanenland in Projekte vor Ort geflossen sei und man mittlerweile neunzehn Briefe aus der Ukraine erhalten habe, in denen das Leben während des Krieges geschildert werde. Susanne Staub hat überlegt, wie sie diese Eindrücke vermitteln kann, ohne einfach nur einen Film zu zeigen. «So bin ich auf Alex Kühni gestossen, weil er ein Dokumentarfotograf mit Fokus auf Kriege, Konflikte und soziale Themen ist – und auch der Lehrer meiner Tochter», sagte Staub. Und Anita Huwiler, Präsidentin Soroptimist Gstaad-Saanenland, zeigte sich überwältigt vom grossen Interesse und den zahlreich Erschienenen. «Es ist kein einfaches Thema, aber sehr interessant, die Geschichten aus erster Hand zu hören von jemandem, der vor Ort war», sagte sie.
Immer auf dem Asphalt bleiben
«Man muss darauf achten, dass man den Schrecken des Krieges auf den Fotos abstrahiert, sonst werden sie in den Zeitungen nicht publiziert», sagte Alex Kühni und zeigte demgemäss nicht nur Fotos von getöteten Menschen, sondern auch von trauernden und traumatisierten Hinterbliebenen. Er überlege sich immer genau, wie er was fotografiere, um mit einem Bild eine Geschichte zu erzählen und Emotionen sprechen zu lassen.
Auf einem Foto zeigte er junge, bewaffnete Kurdinnen in Uniform und erklärte, dass es für einen IS-Krieger ungünstig sei, von einer Frau getötet zu werden, weil er dann nicht ins Paradies komme. Dies mache diese Frauen im Krieg zu sehr effizienten Kämpferinnen. Kühni erzählte, wie er sein Leben immer wieder vertrauensvoll in die Hände lokaler Kontakte wie Führer oder Übersetzer lege und wie er gelernt habe, sich stets auf dem Asphalt zu bewegen, weil neben den Strassen im Morast die Tretminen lauern. Oder wie er auf Mauern am Strassenrand achte, hinter denen er sich bei einem Angriff in Deckung werfen könne. Doch gelte es jedes Mal abzuwägen, ob er bei einem Beschuss Schutz suche oder die ideale Position für das perfekte Bild. Alex Kühni zeichnete mit seinen Worten, die er mit Bedacht wählte, und seinen Fotos, die unter die Haut gehen, eindrücklich den Alltag eines Kriegsreporters zwischen Leben und Tod, Sicherheit und Risiko nach. Ein Leben im Ausnahmezustand, das er selbst so gewählt hat. Sein grosser Vorteil sei, dass er, wenn er vom Krieg genug habe, einfach wieder nach Hause fahren könne. Die einheimische Bevölkerung habe diese Chance nicht.
Berührt und betroffen
Das aus rund 40 Personen bestehende Publikum folgte gebannt Kühnis Ausführungen. Oft hörte man Laute des Erstaunens, sah fassungsloses Kopfschütteln oder beobachtete ungläubiges Staunen. Ein Foto zeigte eine ältere Dame, die mit der Hand vor dem Mund vor einem zusammengebombten Haus stand. Am nächsten Tag sei sie immer noch am selben Ort gestanden. Durch seinen Dolmetscher erfuhr Kühni, dass sie erst weggehen würde, wenn ihr Sohn und ihre Enkeltochter herausgetragen worden seien.
Nein, wir haben in der Schweiz keine Ahnung, was Krieg bedeutet und Alex Kühni machte nachdrücklich klar, dass dies auch gut so ist. Mit seinen Fotos wolle er nicht zuletzt zeigen, dass der Zustand des andauernden Friedens, wie wir ihn seit Generationen kennen, auf der Welt nicht der Normalität entspreche, sondern die grosse Ausnahme darstelle. Und wer hierzulande über den verschneiten April und den bislang verregneten Mai jammere, solle sich angesichts wirklicher Not bewusst werden, dass schlechtes Wetter eigentlich gar kein Problem bilde.
«Ich probiere, so gut es geht, neutral zu bleiben»
ALEX Kühni befasst sich gegenwärtig intensiv mit dem Krieg in der Ukraine. Von 2015 bis 2020 reiste er mehrmals nach Syrien und in den Nordirak, um über den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) zu berichten. Ausserdem realisierte er Fotoreportagen im Libanon, in Gaza, Südsudan, den Philippinen und Nordkorea. Am Dienstagabend war er in Saanenmöser und berichtete von seinen Erlebnissen. Im Interview erzählt er, was ihn an der Kriegsfotografie fasziniert.
KEREM S. MAURER
Wo übernachten Sie, wenn Sie mit der Kamera an der Front unterwegs sind?
Die Logistik ist sehr unterschiedlich. Im Donbass, also im ukrainischen Kriegsgebiet, schauen jeweils meine Übersetzer für einen Schlafplatz in frontnahen Städten. Meistens schlafe ich in Häusern, aus denen die Menschen geflohen sind und wo es noch Abwarte hat, die diese vermieten. Oft sind wir auch in Hotels, wo die Offiziere sind, doch das ist gefährlich. Ein Hotel, in dem ich gewohnt habe und das ich auch gefilmt habe, wurde zwei Wochen später total zerstört.
Sie sind von Berufes wegen gezwungen, genau hinzuschauen, auch oder speziell dann, wenn es richtig «gruusig» ist. Was machen solche Bilder mit Ihnen?
Nicht mehr viel. Ich habe das Gefühl, dass man sich mit der Zeit daran gewöhnt. Ich habe erfahren, dass die Emotionen von trauernden Menschen oder wenn jemand stirbt, schwieriger zu ertragen sind, als die Fotos selbst. Wenn ich fotografiere, habe ich eine Professionalität, ähnlich wie ein Rettungssanitäter.
Sie schaffen also eine gewisse Distanz?
Genau. Ich stehe dort, schaue, was um mich herum passiert und entscheide, was ich aufnehme. Die Kamera wirkt wie ein Filter. Wenn ich durch den Sucher blicke, denke ich in Formen, in Winkeln, in Farben und in Bildausschnitten. Ausserdem sehe ich durch den Sucher zweidimensional, das hilft auch.
Das klingt nach einer sehr konzentrierten und fokussierten Herangehensweise.
Ich bin während der Arbeit tatsächlich sehr fokussiert. Mir ist es schon passiert, dass ich zu Hause meine Fotos angeschaut habe und mich dabei plötzlich fragte, ob ich das alles wirklich selbst gesehen hatte.
Die Fotografie ist ein grosses Gebiet, darin gibt es auch viel Schönes. Was macht für Sie den Reiz aus, gerade dieses Genre mit Kriegen und Konflikten abzudecken?
Mich hat die Kriegsfotografie fasziniert, seit ich ein Kind war. Mein Vater hatte in seinem Büro Fotobücher vom Vietnamkrieg und vom Zweiten Weltkrieg. Er hat mir immer gesagt, ich dürfe diese Bücher nicht anschauen.
Verbotenes ist reizvoll...
Genau. Ich bin dann während seiner Abwesenheit in sein Büro geschlichen und habe mir die Bücher angeschaut. Seitdem ist es diese Art von Fotografie, die mich interessiert. Es geht um das Einfangen dieser Emotionen.
Wenn Sie Fotos an Agenturen oder Redaktionen senden, könnten die Bilder in einem Kontext verwendet werden, den Sie so nicht geplant haben. Wie gehen Sie damit um?
Ich mache nicht viele Agenturarbeiten. Zudem schreibe ich meist die Artikel zu meinen Fotos selbst, mache Bildserien mit eigenen Texten. Aber es ist auch schon vorgekommen, dass ich mit gewissen Kontexten im Zusammenhang mit meinen Bildern nicht zufrieden war. Dann bin ich enttäuscht. Einmal wurde ich angefragt, ob ich ein gutes Bild vom IS zu einer Geschichte habe, in der es um Schweizer ging, die in den Dschihad reisten. Ich schickte ein Archivfoto, auf dem zu sehen ist, wie irakische Soldaten eine IS-Fahne herunterreissen. Das wurde von der Redaktion akzeptiert, obschon es nur indirekt etwas mit der Geschichte zu tun hat.
Sie betonen, dass Sie Fotos machen, um Geschichten zu erzählen, aber keine Politik. Kann man dies bei dieser Art von Fotografie wirklich voneinander trennen?
Ja, diesen Anspruch habe ich. Ich will damit eher sagen, dass ich keine politischen Texte schreibe. Ich probiere, so gut es geht, neutral zu bleiben, was aber im Kontext eines Krieges meist sehr schwierig ist. Aber ich gehe nicht in die Ukraine und komme mit dem Gefühl zurück, erklären zu müssen, wie dieser Konflikt funktioniert.
Sondern...?
Ich begleite Zivilisten oder Soldaten, die den Krieg direkt erleben und erzähle darüber, ohne die politischen Hintergründe zu recherchieren. Ich will keine politischen Texte machen.
ZUR PERSON
Alex Kühni, 1982 in Bern geboren, entdeckte die Liebe zur Fotografie vor 20 Jahren auf einer Reise durch Asien. Für seine Serie «Krieg der Sniper» gewann er 2018 den ersten Preis der Kategorie Ausland im Swiss Press Photo Award. 2020 gewann er in derselben Kategorie den dritten Platz für seine Berichterstattung über die Proteste in Hongkong. Kühni ist Mitglied beim Schweizerischen Humanitären Korps, für das er Medienarbeit in Einsätzen rund um den Globus leistet. Neben seiner Tätigkeit als Fotograf doziert Kühni an der Schule für Gestaltung in Bern. Seine Arbeit handelt stets von Menschen, nicht von Politik oder Ideologien.
PD/KMA