«Alz het syni Zyt»
27.02.2024 PorträtBeatrice Reichenbach investiert sich gerne mit Leib und Seele. Immer fröhlich und voller Energie gibt sie schon seit vielen Jahren Sportkurse, Kindern wie auch Erwachsenen. Doch selbst bei ihr können manchmal die Batterien leer sein.
SONJA WOLF
Sie ist ...
Beatrice Reichenbach investiert sich gerne mit Leib und Seele. Immer fröhlich und voller Energie gibt sie schon seit vielen Jahren Sportkurse, Kindern wie auch Erwachsenen. Doch selbst bei ihr können manchmal die Batterien leer sein.
SONJA WOLF
Sie ist eine fröhliche Frau. Sie strahlt einen an und lacht viel – und ihr Lachen ist absolut ansteckend. Voller Elan erzählt Beatrice Reichenbach über das, was ihr im Leben wichtig ist. Und das ist sicherlich der Sport. Obwohl sie sich selbst gar nicht als sportlich einstufen würde: «Ich gehe nicht nach der Arbeit noch stundenlang zum Joggen!» Nun, das braucht es auch gar nicht.
Dafür fährt sie mit dem E-Bike mitsamt Hund Tilly im Anhänger von Saanenmöser nach Saanen zur Arbeit oder geht den einstündigen Weg mit Tilly auch mal zu Fuss. Oder powert sich einen Abend die Woche beim gemischten Turnen bei Krafttraining oder Mannschaftsspielen aus. Oder dehnt sich am Mittwochmorgen um 6 Uhr (!) in der Yogastunde. «Ja, ich bin ein früher Vogel!», kommentiert sie lachend die frühe Anfangszeit.
Aber vor allem überlegt sie sich, wie sie auch anderen Menschen den Sport näherbringen kann. Die Endvierzigerin ist bereits seit über 30 Jahren Sportinstruktorin. «Gleich nach meiner Schulzeit mit 16 habe ich hier im Rock’n’Roll-Klub Saanenland in der Turnhalle Bissen zweimal pro Woche trainiert. Es hat mir so gut gefallen, dass ich eine Ausbildung in Jugend- und Sport gemacht habe und – seit ich 18 war – die Kurse selbst geleitet habe», berichtet sie mit einem Funkeln in den Augen. Man spürt förmlich, wie sehr ihr der Rock’n’Roll und das Tanzen im Blut liegt. Zwar wurde der Rock’n’Roll-Klub um die Jahrtausendwende zu Beatrice Reichenbachs grossem Bedauern geschlossen, doch sofort ging sie das nächste Projekt an: Geräteturnen.
Schon als Kind turnte sie selbst an Ringen und Stufenbarren, denn ihre Mutter Martha hatte das Geräteturnen im Saanenland zusammen mit Elsbeth Raaflaub aufgezogen. Nun machte sie also auch für diesen Bereich die entsprechende Jugend- und Sportkursausbildung und trainierte Kinder im TV Saanen-Gstaad. Ganze 15 Jahre lang.
«Aber alz het syni Zyt», sagt sie lächelnd, und sie wird diesen Satz im Laufe des Gesprächs noch häufiger sagen. «Das Geräteturnen mit den Kindern hat mir viel gegeben und auch immer noch gut gefallen, aber die Zeit war gekommen, wo es einen anderen Fokus brauchte.»
Und den fand sie beim Erwachsenensport. Über Aquafit-Kurse kam sie schliesslich zur Leitung von älteren Teilnehmern, «einer coolen Ü40-Turngruppe, mit denen ich Bewegungselemente aus diversen Richtungen –Yoga, Antara usw. – mache». Oder ihre Pro-Senectute-Stunde: «Die Teilnehmenden sind meine riesengrossen Vorbilder!» Die Anerkennung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Kein Wunder: Die sechs Teilnehmenden sind über 80, gar bis 93 Jahre alt und kommen fleissig zum Trainieren ins Schulhaus Grund – teilweise über 30 Minuten zu Fuss. Hauptsächlich auf und am Stuhl übt sie mit den Senioren Beweglichkeit und Gleichgewicht.
«Alz het syni Zyt» könnte auch beruflich das Lebensmotto von Beatrice Reichenbach sein. «Ich verstehe absolut die Leute, die 30 Jahre im selben Job bleiben, für die stimmt es einfach», sagt sie. «Aber das bin nicht ich!» und lächelt bereits wieder verschmitzt. Sie selbst hat in ihrem Leben schon so einige berufliche Stationen durchlaufen. Nach ihrer Ausbildung zur «uniformierten Postbeamtin» – damals noch bei der PTT– machte sie recht bald das Handelsdiplom und arbeitete in der Verwaltung diverser Unternehmen. Und da war einfach alles dabei: vom Hotel über eine Autowerkstatt, das Strassenverkehrsamt, eine Bank, das Sportzentrum bis hin zu einem Elektrofachgeschäft. Schliesslich begann sie 2017 beim Spitex-Verein Saane-Simme, wo sie noch heute tätig ist. «Warum haben Sie so oft gewechselt?», wurde sie einmal bei einem Vorstellungsgespräch gefragt. Die Antwort fiel ihr nicht schwer: «Es hat mir bei allen Stellen gefallen, auch mit den Arbeitskollegen habe ich es immer sehr gut gehabt. Aber irgendwann stellt sich eine Gewohnheit ein.» Und wenn sie dann in dieser Phase ein interessantes Stelleninserat sieht... Das Charakteristische an Beatrice Reichenbach ist einfach, dass sie extrem offen ist – «gwundrig aufs Leben», wie sie es selbst ausdrückt.
«Aber momentan stimmts für mich, ich bin dankbar. Ich kann nur nicht schon jetzt sagen, wo ich in fünf Jahren bin.»
Kann so eine offene, energiegeladene, fröhliche Person auch einmal nachdenklich, introvertiert oder sogar traurig sein? «Oh ja! Das gibt es auch!», sagt sie, gleichwohl wieder mit ihrem sympathischen Lächeln – vielleicht dieses Mal eine Spur ruhiger. Denn sie leidet bereits seit ihrer Pubertät an einem chronischen Eisenmangel. Den galt es zunächst zu diagnostizieren, dann zu akzeptieren und schliesslich geeignete Gegenmassnahmen zu finden. Inzwischen hat sie mit etwa zwei Eiseninfusionen pro Jahr das Problem im Griff, aber es gab durchaus schwierigere Phasen in der Vergangenheit. Die Energie hat für die Arbeit inklusive der Sportkurse immer gereicht. Danach habe ich aber nur noch geschlafen und war am nächsten Morgen trotzdem nicht ausgeruht und fit», erinnert sie sich an die schlimmeren Zeiten. Darunter haben zum Teil auch ihre sozialen Kontakte gelitten. «Etwas zu akzeptieren braucht seine Zeit... Dabei ist mein Eisenmangel ‹Peanuts›!»
Beatrice Reichenbach weiss, wovon sie spricht, denn ihr Vater war fast 30 Jahre lang nierenkrank, einschliesslich zweier Nierentransplantationen, und verstarb vor wenigen Jahren.
Doch Beatrice Reichenbach lässt sich nicht unterkriegen! «Menschen mit einem ‹Helfersyndrom› fällt es sowieso schwer, Nein zu sagen», meint sie humorvoll. So powert sie fröhlich weiter und animiert die Teilnehmenden in ihren Kursen, auch wenn sie selbst manchmal ein wenig «off» ist. Was man ihr aber wirklich nicht anmerkt.
Wir stellen Ihnen Menschen vor, die jenseits der Schlagzeilen die Geschichte des Saanenlandes mitschreiben. Leute, die im Hintergrund Fäden spannen, ihr Umfeld mit ihrer Art bereichern oder ganz einfach anders sind. Die Serie rollt wie ein Schneeball durch die Region: Auf Wunsch von Beatrice Reichenbach besuchen wir als Nächstes Christoph Walker aus Gsteig.
ZUR PERSON
Beatrice Reichenbach ist in Saanen aufgewachsen. Nach Stationen im Grund und in Turbach lebt sie nun mit ihrem Partner Peter Sollberger in Saanenmöser. Sie ist die älteste von vier Schwestern. Zusammen mit ihrer Tante Ruth Domke ist sie im Organisationskomitee des Freilichttheaters «Der Castellan von Saanen» und wird auch eine kleine Rolle darin spielen. Die Schauspielerei gefiel ihr schon als Schülerin. Sie wirkte im Theaterverein Turbach mit, später in den Freilichttheaterstücken «Farinet, der Falschmünzer» und «Der Schwarz Steff». Durch ihre Arbeit, das Theater und vor allem durch die vielen Sportkurse, die sie gibt oder selbst besucht, hat sie viel mit Menschen zu tun. Daher geniesst sie es in ihrer Freizeit auch einfach einmal, in ihrem Garten zu «krautere» oder ein Buch zu lesen.
SWO