«Beleidigti Brötli» haben «Alles beschtens greglet!»
19.11.2024 NachbarschaftDie Theatergruppe «beleidigti Brötli» verwandelt Jahr für Jahr den altehrwürdigen Zweisimmer Gemeindesaal in modernste Erlebnisinszenierung. Speziell die Lachmuskeln werden ganzheitlich verwöhnt. Mit belegten Brötli, mit köstlichen Kuchen, mit ...
Die Theatergruppe «beleidigti Brötli» verwandelt Jahr für Jahr den altehrwürdigen Zweisimmer Gemeindesaal in modernste Erlebnisinszenierung. Speziell die Lachmuskeln werden ganzheitlich verwöhnt. Mit belegten Brötli, mit köstlichen Kuchen, mit lustigstem Theater. Die neun Darstellenden machen aus dem Schwank in drei Akten «Alles beschtens greglet» grosse Volkskultur.
Die Theatergruppe «beleidigti Brötli» hat ihre Wurzeln im legendären Waldmattesääli an der Oeschseite. Wie in Sardinenbüchsen gedrängt genossen damals Zuschauende das Theater vom Chörli Reichenstein. Das Chörli Reichenstein und das Schulhaus Reichenstein sind längstens tempi passati. Das gute Alte, der Volkstheaterabend, lebt weiter – immer sanft verändert und fein erneuert. Das ist die DNA der Theatergruppe «beleidigti Brötli». Die Wahl des Stücks bildet die grösste Challenge. Mit «Alles beschtens greglet!», dem Schwank in drei Akten von Annamarie Berger, war in diesem Jahr die Wahl hervorragend.
Zuschauende eine Stunde früher da
Am Samstag füllt sich der Gemeindesaal Zweisimmen schon eine Stunde vor Theaterbeginn. Die Lachmuskeln der Gäste lassen sich traditionell mit belegten Brötli und Kuchen himmlisch umhüllen. Kulinarik und Theater sind seit gut 400 Jahren ein Erfolgsduo, wie es damals Shakespeare mit seinem Globe Theater inszeniert hat. Von G zu G, vom Globe zum Gemeindesaal! Motiviertes Teamwork ist eine weitere Erfolgsformel. Der Beweis sind Brötli und Kuchen, die so «gluschtig» herzlich präsentiert sind, sowie der Accueil, den die «beleidigte Brötli» perfekt ins Deutsch übersetzen.
Volles Haus ohne Influenzerinnen
Pünktlich um 20 Uhr kann Martin Kriegner ein volles Haus mit Gästen aus dem Simmental, dem Saanenland und dem Diemtigtal begrüssen. Hier sind keine Influenzerinnen und solches Zeugs nötig. Ehrliche, authentische Volkskultur ist der Magnet. Ein einfaches Bühnenbild mit dem Bauernhaus der eben zur Witwe gewordenen Bäuerin Rosi (Christa Fankhauser), dem Wohnschürli für Schwiegervater Anton (Martin Kriegner) und neuen Fremdenbetten genügt. Den Wildstrubel im Bühnenhintergrund freut es, dass die Autorin die Anfänge des Tourismus, wie er es selbst vor 140 Jahren erlebt hat, mit ins Spiel bringt. Und dann werden Salven von Humor ins Publikum zu Lachexplosionen mit Tiefgang getragen. Der Schalk baut auf Gegensätze zwischen Stadt und Land, auf Verwechslungen, auf Neid, Liebesschmerz, böses Spiel und Hoffnungen.
Neuling Christa Fankhauser schlüpft in Hauptrolle
Der Mut der «Brötli» wird belohnt, die Hauptrolle der Rosi dem Theaterneuling Christa Fankhauser zu vergeben. Sie hat schon fünf Sitealp-Sommer hinter sich und gibt nun wieder Gas als Wintersportverkaufsleiterin. Es ist smart, wie Rosi ihren Schwiegervater Anton stallt und dem ersten Gast auf dem Steinhof, den Schriftsteller Philipp (Fabrice Ludi), für seine frauenfeindlichen Bücher in die Schranken weist. «Heute ist ja Frauenwelttag», sagt sie bestimmt: «Ja, das war früher der Putztag», kontert Philipp. Stütze für Rosi ist deren Mutter Klara (Christine Schenk), die aus Sicht von Anton ein Putzteufel ist und die gute Seele stark spielt. Christine Schenk war wie die souveräne Souffleuse Lily Zeller schon in der Waldmatte dabei. «Herz-Schmerz», die Illustrierte für die moderne Frau, ist im Stück ein roter Faden. Das Publikum weiss bald, dass der frauenverachtende Schriftsteller Philipp für schnödes Geld unter dem Namen Britta von Schwalbach Antworten zu Liebesschmerz in «HerzSchmerz» liefert. Geld und Neid lässt die geizige Nachbarin Hermine (Regula Dänzer) in Hochform auflaufen. Britta von Schwalbachs Tipps sind Leitstern für Postbotin Lisa (Sandra Eymann), die ihren Liebesschmerz endlich mit einem guten Mann belohnt haben möchte.
Verwechslungen sorgen für Lachsalven
Dieser Mann ist am guten Ende der verirrte Wanderer Meinrad (Reto Blatter). Als Doktor der Chemie wird der Stadtmensch von Rosi mit einem Tierarzt verwechselt, geht irrtümlich Stier Hektor melken und hilft erfolgreich der Meisterkuh beim Kalben. Sein Schwips ist Volkstheater-Meisterklasse. Wegen einem von Anton im «HerzSchmerz» aufgegebenem Partnerinserat für Rosi kommt Tollpatsch Gustav (Gerhard Baumann) mit dem Mo-Mo-Mofa, um den verlockenden Mä-Mä-Mähdrescher und die Bäuerin zu sehen.
Deal ist topmodern aktuell
Topmodern ist der verlogene Deal von Anton mit Schriftsteller Philipp, wurde doch eben in Übersee ein lügnerischer Dealmacher für vier Jahre gewählt. Für köstliche Gegensätze auf dem Bauernhof sorgt auch die parfümierte Stadtfrau Sonja (Erika Grunder), die ihr Schatzi, den Schriftsteller, besucht. Als Regisseurin hat Erika Grunder super gewirkt. Aufgewachsen als Stadtmeitschi im Berner Fischermätteli hat sie den Stadt-Land-Gegensatz bestens ins Team getragen und es zu köstlichem Volkstheater hochgeschaukelt. Köstlich sind auch die schneeverzauberten Tischdekorationen aus Rindenholz von Erika. Nach der traditionellen Tombola spielten die «Edelwyss Buebe» Diemtigtal lüpfig zum Tanz. Am gut besuchten Sonntag sangen sich neben dem Theater die Jauner Kinderjodler «de Bärge zue» in die Herzen. Und am Dienstag, der letzten Vorstellung, wird in klassischer Chörlitradition das «Gruebechörli» die Vorstellung bereichern.
MATTHIAS KURT