Daisy Weichert-Brand: nimmermüde Allrounderin
26.07.2024 SaanenlandDas Saanenland war war und ist geprägt von Zu- und Wegzügen. Die Leserinnen und Leser des "Anzeigers von Saanen" sind nicht nur im Saanenland zu finden, Schweiz und im Ausland – ja, in der ganzen Welt.
Diesmal berichten wir über Daisy Weichert-Brand, welche vor 46 ...
Das Saanenland war war und ist geprägt von Zu- und Wegzügen. Die Leserinnen und Leser des "Anzeigers von Saanen" sind nicht nur im Saanenland zu finden, Schweiz und im Ausland – ja, in der ganzen Welt.
Diesmal berichten wir über Daisy Weichert-Brand, welche vor 46 Jahren von Feutersoey nach Kanada reiste, um Englisch zu lernen und seither bereits vielerorts in der Schweiz zu Hause war. Heute führt sie im Kanton Thurgau gemeinsam mit ihrem Partner ein Bed & Breakfast.
THOMAS RAAFLAUB
Daisy Weichert-Brand wagte 1978 und im Alter von achtzehn Jahren den Sprung von Feutersoey über den Atlantik nach Kanada und weiss noch heute nicht genau, was sie dazu bewog. Waren es die Berge, die ihr immer zu nahe erschienen, waren oder war es ein unausgesprochenes Gefühl der Enge, das sie forttrieb? Ein realer Grund für die Reise nach Ontario war, Englisch zu lernen. Nach einem Jahr als Nanny in einer jüdischen Familie mit deren drei Buben konnte sie genügend Englisch und beschloss, zurück in die Schweiz zu ziehen – am liebsten in eine Stadt. Sie kam jedoch zurück ins Saanenland, wo sie dank ihrer neu erworbenen Englischkenntnissen eine Stelle bei Comestibles Pernet in Gstaad bekam.
Während dieser Zeit war im «Berner Oberländer» eine Stelle an einer amerikanischen Brokerbörse ausgeschrieben, die gutes Englisch voraussetzte. Daisy zügelte nach Zürich und begann als Telexistin zu arbeiten: In einem Schichtbetrieb rund um die Uhr und an der Telexfernschreibmaschine tippte sie Börsenterminberichte (Wer nicht weiss, was ein Telexfernschreiber ist, soll seine Grosseltern fragen). Eine Bekannte aus Feutersoey vermittelte ihr eine Wohnung in Schwamendingen, wo sie die nächsten fünf Jahre wohnte.
Immer offen, nie engstirnig
Ihr Saanen- oder Berndeutsch war nur bedingt verständlich in Schwamendingen. Sie musste entweder übersetzen oder sie passte sich sprachlich an, was ihr überhaupt nicht schwer fiel: Bis heute ist sie anpassungsfähig, offen, neugierig und hat immer Lust, Neues zu entdecken, was ihr schon in Kanada zu guten Erfahrungen verhalf. Nur ganz wenige saanendeutsche Ausdrücke sind ihr geblieben: Sie sagt «ging wider» für immer wieder. Offenheit als Lebensmotto, denn Engstirnigkeit ist ihr in ihrem Innersten fremd.
Heimweh unbekannt
Vom Saanenland angezogen wurde Daisy vom Schnee, vom Skifahren und selbstverständlich vom Zusammensein mit ihren Eltern Carmen und Viktor Brand, dem Bruder Jean-Marc, der viel stärker als sie im Oberland verwurzelt war, und den Grosseltern Anna und Robert Brand auf dem Bühl in Feutersoey. Gerne erinnert sie sich an ihre Schulzeit in Feutersoey und dann an die erweiterte Oberschule in Gsteig mit Lehrer Clovis Defago. Dorthin marschierte sie auf ihrem langen Schulweg mit Margot Bettler. Manchmal nahm sie auch ihr Vater bis zur Zimmerei in der Schüdelen mit und dann konnte sie bei Bettlers zu Mittag essen. So gerne sie das Saanenland besuchte, so gerne verliess sie es wieder.
Zu Fuss ins Chlösterli
Stolz ist Daisy noch heute auf ihre Leistungen in den Diktaten: «Da hatte ich immer eine Sechs. Dagegen war ich in der Mathematik keine Leuchte.» Sie habe sehr viel gelesen, sagt sie: «Im oberen Stock auf dem Bühl entging ich der Kontrolle und konnte ungestört unter der Decke lesen.» Das Schlafzimmer dort hatte einen weiteren Vorteil: Unbemerkt konnte sie von dort in den Ausgang und sich danach auch wieder ins Haus stehlen. «Mein Vater war auch eine ‹Festhütte› und meine Mutter als Romande stand ihm in dieser Hinsicht in nichts nach. Dazu waren beide passionierte Jasser.» Daisy kann nicht jassen, dafür schaffte sie es aber problemlos, mit Hedy Annen zu Fuss vom Bühl ins Chlösterli zum Tanz.
Ausgewogene Waagen
«Ich bin ein Tanzfüdle», sagt Daisy, «und die Clubs, Dancings und Discos in Zürich zogen mich magisch an.» Nicht beim Tanzen, sondern beim Windsurfen auf dem Zürichsee lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen – Robert Weichert. Sie 24, er 25 Jahre alt, mit einem deutschen Vater und einer Schweizer Mutter. Da trafen sich zwei ausgeglichene Waagen im Sternzeichen, beide sehr ruhig. Das Familienunternehmen Weichert montierte untergehängte Decken und Daisy arbeitete im Betrieb mit. 1985 heiratete das Paar in Wolishofen, wo der jüngere Sohn immer noch wohnt. «Ich wollte, dass uns mein Onkel Christian Brand, Pfarrer in Yverdon, traut. Unsere Hochzeitsreise führte uns in die USA und nach Kanada», sagt Daisy. 1987 kam Stefan zur Welt, und 1989 folgte ihm sein Bruder Andreas.
Motorisiert unterwegs
Daisy sagt von sich, dass sie Benzin im Blut habe. Sie ist eine begeisterte Kurier- und Schulbusfahrerin und fährt ganz allgemein gerne Auto. Diese Vorliebe scheint für die ganze Familie Brand zu gelten: Bruder Jean-Marc war Lastwagenfahrer, auch international, und dann war er während vieler Jahre Mechaniker bei der Garage Pichler in Feutersoey, Vater Viktor und Sohn Andreas dienten als Motorwagenfahrer in der Armee. Die viereinhalb Stunden Autofahrt aus der Ostschweiz ins Saanenland sind dementsprechend reine Erholung für sie.
Sportlich unterwegs
Daisy bewegt sich nicht nur mit Rädern vorwärts. Auch auf ihren beiden Beinen schafft sie grosse Distanzen. Nach einem intensiven Lauftraining wurde sie zur Marathonläuferin, schaffte den Zürichmarathon, dreimal den Jungfraumarathon und – nicht zu vergessen – selbstverständlich auch den Berglauf Feutersoey-Arnensee. Sie sei ein Bewegungsmensch, sagt sie, fahre Velo, sei im Ski- und Sportclub Langnau am Albis aktiv und sei sich nicht sicher, ob sie jemals vor etwas davon rannte. Der familiären Situation vielleicht? Dem Verhältnis zum Schwiegervater? Jedenfalls könne sie mit dem Sport den Kopf durchlüften und auch für ihre Beziehungen seien die zwei bis drei Sportauszeiten pro Woche sehr wichtig. Dazu kämen das Skifahren und Snowboarden im Saanenland. Eine willkommene Gelegenheit, der Saaner Grossmutter ihre Enkel zu zeigen.
Leserin und Malerin
Die Liebe zur Lektüre hat sie nie verloren. Als Kind verschlang sie Indianergeschichten, jetzt liest sie Romane, Biografien, Krimis, ist Mitglied der Bibliothek Bischofszell und liest selbstverständlich den «Anzeiger von Saanen», bei dem sie eine zweijährige Bürolehre machte. Damit ihr sicher nicht langweilig wird, malt sie auch: Läufer, Schwimmer, Velofahrer, nie gegenständlich, immer abstrakt. «Ich habe für mich gemalt», sagt Daisy, «nicht für das Publikum». Auf die Frage, ob in ihr neben der Sportlerin und Malerin auch eine Schriftstellerin stecken könnte, denkt sie lange nach: «Ja, vielleicht schreibe ich eine Biografie über eine Allrounderin, die nie Heimweh hatte. Die sich immer wieder von Zwängen befreien wollte. Ich fühlte mich in Yverdon bei meiner Tante wohl und auch in Schwiegervaters Mobilhome am Murtensee.»
Gastgeberin in der Ostschweiz
Heute lebt Daisy mit ihrem Partner zusammen in Hauptwil und führt dort ein Bed & Breakfast, 15 Minuten von St. Gallen entfernt. Das dreistöckige, steinalte Haus, 1740 erbaut, sei schon alleine eine Reise wert, sagt sie. Sie habe es selber renoviert und vermiete zwei Zimmer. «In der Umgebung kann gewandert werden, zum Beispiel der Thur entlang, die Region ist für Velotouren ideal, ein Golfplatz ist in der Nähe und der Säntis lockt als Ausflugsziel. Zum Frühstück gibt es selbst gemachten Zopf, Eier, Müesli. Aus dem Saanenland waren Hanni und Oswald Kohli, Annelis Romang und Margrit Kohli schon meine Gäste. Diese Liste darf gerne erweitert werden.»