Der heilige Josef: der Zimmermann von Nazareth, ein Genfer Abbé und das rätselhafte Schächtelchen
20.03.2025 SerieSie erfahren in dieser Folge, warum die katholische Sankt-Josef-Kirche von Gstaad ursprünglich nicht in der Serie über die Saaner Kirchenheiligen vorgesehen war. Im Gespräch mit Pater Thomas Rödder, Theologe und Gastpfarrer in Gstaad, und Toni Siegrist, ...
Sie erfahren in dieser Folge, warum die katholische Sankt-Josef-Kirche von Gstaad ursprünglich nicht in der Serie über die Saaner Kirchenheiligen vorgesehen war. Im Gespräch mit Pater Thomas Rödder, Theologe und Gastpfarrer in Gstaad, und Toni Siegrist, Kirchgemeinderat der römisch-katholischen Kirchgemeinde Gstaad, wurden zudem Aspekte aus theologischer Sicht und dem Kirchenleben diskutiert. Dabei kam viel Spannendes, Überraschendes und sogar Persönliches zutage, was den Gstaader Schutzpatron, den Arbeiterheiligen Josef von Nazareth, und die katholische Kirche von Gstaad betrifft – und natürlich, was es mit dem Geheimnis eines heiligen Schächtelchens auf sich hat.
Martin Gurtner-Duperrex
Der heilige Josef von Nazareth war der Verlobte und spätere Ehemann Marias sowie der Stiefvater von Jesus. Er ist der Schutzpatron der römisch-katholischen Pfarrkirche von Gstaad. Warum wurde diese Kirche nicht von Beginn weg in die ursprüngliche Artikelserie über die Saaner Kirchenheiligen miteingeplant, obwohl sie auch einen
Heiligen in ihrem Namen trägt? Die Antwort auf diese Frage, die uns aus der Leserschaft gestellt wurde, ist naheliegend: Es handelt sich nicht um eine alte, historische Kirche – wie die ursprünglich katholischen, aber seit 1556 reformierten Kirchen und Kapellen im Saanenland –, denn sie wurde erst um 1930 fertiggebaut. Aber: Im Gegensatz dazu hat das Gstaader Gotteshaus den heiligen Josef nicht nur im Namen
bewahrt.
Weil einerseits dadurch die Neugierde des Autors geweckt wurde und andererseits in den vorherigen drei Artikeln der Serie einige Fragen offengeblieben sind, fügen wir einen Epilog in Form eines Interviews zur Sankt-Josef-Kirche an. Da gerade theologische Aspekte Expertenwissen bedürfen, haben wir Pater Thomas Rödder, seines Zeichens Augustiner Ordensmann der Abtei St. Maurice und Gastpfarrer in Gstaad, sowie Toni Siegrist, Kirchgemeinderat der römisch-katholischen Kirchgemeinde Gstaad, Anfang Januar im Pfarrsaal der katholischen Kirche getroffen.
Pater Thomas Rödder, Sie haben eine spezielle Beziehung zum heiligen Josef von Nazareth. Bitte erzählen Sie!
Thomas Rödder (TR): Das Elternhaus meines Vaters in Bayern wurde 1945 während des Zweiten Weltkriegs durch einen alliierten Bombenangriff total zerstört. Mein Vater und sein Bruder befanden sich allein im Haus. Wie durch ein Wunder überlebten beide unverletzt. Dies geschah an einem 19. März, dem Patronatstag des heiligen Josef. Dieser Tag ist sozusagen der zweite Geburtstag meines Vaters und meines Onkels. Da der Heilige aus diesem Grund eine besondere Figur für mich ist, erwähne ich ihn in jeder Messe mindestens einmal.
Toni Siegrist, wie wird der 19. März als Patronatstag in der Sankt-Josef-Kirche gefeiert?
Toni Siegrist (TS): Bei uns wird der Patronatstag des heiligen Josef nicht besonders gefeiert. Wenn der Tag auf einen Sonntag fällt, wird dies natürlich in der Messe erwähnt. Es handelt sich bei unserer Kirche ja nicht um ein historisches Gotteshaus mit einer langen Tradition, zudem befinden wir uns in einer reformierten Gegend. In katholischen Regionen ist das anders, da gibt es meistens am Patronatstag des Heiligen ein Fest.
Wie kam die katholische Kirche Gstaad zu ihrem Schutzheiligen?
TR: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts weihte man viele neu gebaute Kirchen dem heiligen Josef, weil dieser 1870 von Papst Pius IX. als Schutzpatron der ganzen römisch-katholischen Kirche ernannt worden war. Es lag im Trend der Zeit, denn der bescheidene Zimmermann Josef aus Nazareth galt als grosses Vorbild des gerechten Vaters, der trotz schwieriger Verhältnisse zu Maria stand.
TS: Der französische Abbé Jacquetin-Jouberty, der als Kurgeistlicher in Gstaad wirkte und einer der Hauptinitianten des Baus der hiesigen katholischen Kirche war, hatte mutmasslich ebenfalls ein Flair für den heiligen Josef. Ob er allein die Wahl traf oder ob andere an der Diskussion beteiligt waren, ist nicht bekannt. Vielleicht hatte der Kultusverein Thun, der damals für die katholischen Gottesdienste im Saanenland zuständig war, auch einen Einfluss. Diese Messen fanden übrigens vor dem Bau der eigenen Kirche in den Hotels wie dem Gstaad Palace oder in der Sankt-Niklaus-Kapelle statt.
Nun verraten Sie uns aber, worum es bei diesem Schächtelchen im Altar geht. Handelt es sich um eine Josefsreliquie?
TS: Ich erinnere mich, dass bei der Einweihung nach der Kirchenrenovierung 2010 ein Schächtelchen mit einer Reliquie vom alten Altar in den neuen Hauptaltar verlegt wurde. Sehr wahrscheinlich handelt es sich dabei aber nicht um eine Josefsreliquie, wie damals in der Presse geschrieben wurde. Denn man weiss weder, wo sich das Grab des heiligen Josef befindet, noch wann genau er gestorben ist. Aus diesem Grund kann es keine echten Reliquien von ihm geben.
TR: Auch die Nachfrage beim Archiv des Bistums war ergebnislos, offensichtlich gibt es darüber keine vertrauenswürdigen Dokumente. Wir wissen also nicht, um welche Reliquie es sich handelt, die im Altar eingebaut und deshalb nicht zugänglich ist.
Welche Rolle spielen denn Heilige und deren Reliquien?
TR: Heilige Frauen und Männer haben es verstanden, ihr Leben an den christlichen Werten zu orientieren. Dadurch werden sie für uns zu Vorbildern, auch unser Leben nach diesen Massstäben zu gestalten. Ihre Reliquien – ein persönlicher Gegenstand, ein Knochen usw. – erinnern uns daran, wie sie mit schwierigen Lebenssituationen umgegangen sind. Josef war trotz seiner Zweifel gerecht und verstiess die schwangere Maria nicht. Als Ziehvater kümmerte er sich um den kleinen Jesus, obwohl er nicht sein leiblicher Sohn war.
Wir glauben auch, dass Heilige durch Fürbitte – beispielsweise im Krankheitsfall – für einen Menschen bei Gott einstehen können. Bei einer Genesung wird von einem Wunder gesprochen. Wir dürfen uns also darüber wundern, was die Wissenschaft nicht erklären kann. Und wichtig: Heilige und ihre Reliquien werden nicht angebetet, wie dies oft irrtümlich behauptet wird, sondern nur verehrt.
Muss der Altar einer katholischen Kirche zwingend eine Reliquie enthalten?
TR: Nein, eine Kirche oder ein Altar kann heute – im Gegensatz zu früher – auch ohne Heiligenreliquie zum geweihten Ort werden.
Ein geweihter Ort? Erklären Sie bitte.
TR: Weihe bedeutet, dass durch den (Weih-)Bischof einem Gegenstand oder einer Person ein göttlicher Auftrag erteilt wird. So wird dem Altar durch Besprenkeln von Weihwasser sowie Verbrennen von Weihrauch die Funktion zugewiesen, ein geweihter Ort der Eucharistie – also des Abendmahls – zu werden. Ein Kirchengebäude wird geweiht, damit es als Versammlungsort für die Messe der Gemeinde dient. Und bei der Weihe des Priesters wird ihm durch Handauflegung die Aufgabe erteilt, das Wort zu verkünden, die Messe sowie das Abendmahl zu feiern und die Sakramente zu spenden.
Beschäftigt es Sie, dass alle historischen Saaner Gotteshäuser heute reformiert sind, obwohl sie früher katholisch waren?
TS: Immerhin ist die katholische Kapelle auf der Walliser Wispile der Berner Reformation entgangen, vermutlich weil sie in Walliser Besitz war. Was die Umwandlung der anderen Kirchen betrifft, wird das sicher beim Thema Reformation im Schulunterricht behandelt. Die hiesigen katholischen Gläubigen kümmert es aber längst nicht mehr – die meisten sind sich dessen kaum noch bewusst.
TR: Ich stelle deswegen nichts Trennendes zwischen den Glaubenskonfessionen fest. Im Gegenteil, ich durfte kürzlich eine Taufe in der Sankt-Niklaus-Kapelle durchführen. Und unlängst hat unsere Erstkommunions-feier in der evangelisch-reformierten Kirche Saanen stattgefunden. Auch in der Sankt-Josef-Kirche sind alle willkommen, an unserer Weihnachtsmesse nehmen viele Protestanten teil. Den meisten ist die menschliche Qualität wichtiger als der religiöse Hintergrund.
Wie stellen Sie diese gegenseitige Annäherung – die Ökumene – im Saanenland sonst noch fest?
TS: Zum Beispiel bei den Mischehen zwischen Katholiken und Protestanten. Heutzutage stammen viele unserer Gemeindemitglieder aus gemischten Ehen, was überhaupt kein Problem mehr ist.
TR: Am jährlich stattfindenden ökumenischen Saanenland-Gottesdienst nehmen die römisch-katholische Kirchgemeinde und die evangelisch-reformierten Kirchgemeinden des Saanenlandes teil. Auch die Freikirchen sind offener geworden. Das nenne ich lebendige Ökumene.
Quellen: Broschüre «Kirche St. Josef Gstaad», katholisch-römische Kirchgemeinde Gstaad. Gedenkschrift «Souvenir de l’église catholique de Gstaad (Oberland bernois)», Mgr. Thomas Buholzer.
Solothurn 1936. Erhard Gorys: Lexikon der
Heiligen. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1997. kathbern.ch; Kirche-und-Leben.de; focus.de; ekhn.de; de.wikipedia.org. Bibel,
Lukasevangelium 2, 1–20.
Zur Person
Pater Thomas Rödder, geboren 1967 in Wissen bei Köln, ist in Bayern aufgewachsen. Nach dem Abitur trat er ins Kloster ein. Er studierte in Wien und Rom Theologie, seit 1993 ist er Priester. Als Pfarrer und Ordensmann der Augustiner war er in Deutschland und Österreich tätig. 2008 wurde er in die Abtei Saint-Maurice im Unterwallis berufen, um bei den Vorbereitungen des 1500-Jahre-Jubiläums im Jahr 2015 mitzuwirken. Als Ökonom ist er heute für die Infrastruktur und das leibliche Wohl der Mitbrüder und Mitarbeitenden desselben Klosters zuständig. Er bietet mehrsprachige Führungen an. Als Gastpfarrer dient er in der römisch-katholischen Kirchgemeinde Gstaad.
Gemeinsame Wurzeln und doch anders: katholische und protestantische Christen
Katholiken und Protestanten haben viel Gemeinsames. So das Apostolische Glaubensbekenntnis (Credo) der frühen Kirche, das den Glauben an Gott als Schöpfer, seinen Sohn Jesus Christus als Weltenrichter und den Heiligen Geist (Dreieinigkeit) proklamiert. Dazu gesellen sich die Vergebung der Sünden durch den Kreuzestod Jesu und die Bibel als Heilige Schrift und Wort Gottes, der Sonntagsgottesdienst, wichtige Kirchenfeste (Ostern, Weihnachten usw.) sowie Kirchenlieder und Gebete.
1517 kam es durch die Reformation Martin Luthers zur Kirchenspaltung, welche zu Differenzen führte:
Katholizismus
• Sieben Sakramente: Taufe, Firmung, Abendmahl, Busse, Krankensalbung, Trauung, Priesterweihe.
• Eucharistie als Opfer: beim Abendmahl Umwandlung von Brot und Wein in den wirklichen Leib und das Blut Jesu.
• Verehrung Marias, der Heiligen und deren Reliquien.
• Weihe von Kirchenämtern, Kirchen und Altären.
• Papst als einziges Oberhaupt, Priesteramt nur für Männer, Zölibat.
Protestantismus
• Zwei Sakramente: Taufe und Abendmahl (Trauung, Konfirmation usw. nur als Segnungen).
• Abendmahl als symbolischen Akt, nicht Opfer: Brot und Wein als Erinnerung an den Leib und das Blut Jesu.
• Ablehnung der Verehrung von Maria, der Heiligen und Reliquien.
• Keine Weihe, Abendmahltisch anstelle des Altars.
• Kein zentrales Oberhaupt, Pfarramt für beide Geschlechter, Heirat erlaubt.
Die Sankt-Josef-Kirche: vom Kultusverein Thun zur eigenen Pfarrgemeinde
Als am Anfang des 20. Jahrhunderts immer mehr katholische Feriengäste ins Berner Oberland strömten, begannen einige Pfarrer des Kultusvereins Thun, katholische Gottesdienste in den Kurorten zu organisieren. Im Saanenland fanden diese zuerst in den Hotels sowie in der Sankt-
Niklaus-Kapelle statt. Durch die Initiative des französischen Kurgeistlichen und Priesters Abbé Jacquetin-Jouberty, welcher aus gesundheitlichen Gründen in die Schweiz kam, wurde die Sankt-Josef-Kirche mitten in Gstaad gebaut und am 20. Juli 1930 durch den Bischof von Basel geweiht. Sie gehörte vorerst zur Kirchgemeinde Thun. Die Baukosten beliefen sich auf 140‘000 Franken (inklusive Erwerb des Baulandes). Ein grosser Teil konnte durch private Spenden – wovon viele aus dem Beziehungsnetz des Abbés stammten – abgedeckt werden.
Die Kirche ist ein Werk des Berner Architekten Karl Indermühle. Das angebaute Pfarrhaus im Chaletstil entstand 1946 und bei der Renovation 2009 fügte man auf der Ostseite ein Foyer in modernem Stil an. Es gibt aktuell Pläne zum Neubau des Pfarrhauses.
Die heutige römisch-katholische Kirchgemeinde Gstaad wurde am 1. Januar 1973 konstituiert und umfasst die Gemeinden des Saanenlandes und Obersimmentals bis Boltigen. Sie zählt rund 3000 Angehörige, die Gottesdienste finden in den katholischen Kirchen in Gstaad, Zweisimmen und an der Lenk statt.
Der heilige Josef: vom Nachkommen Davids zum Arbeiterheiligen
Obwohl er aus dem Geschlecht des Königs David stammte, war Joseph ein einfacher Zimmermann in Nazareth. Als Maria schwanger wurde, wollte er sich in aller Stille von seiner Verlobten trennen, um sie nicht blosszustellen – denn das Kind stammte nicht von ihm. Da erfuhr er im Traum von einem Engel, Maria würde durch den Heiligen Geist ein Kind gebären und er solle es Jesus (Retter, Erlöser) nennen. Dass er in der Folge wegen einer Volkszählung mit der hochschwangeren Maria nach Bethlehem, seiner Heimatstadt, ziehen musste, wo das Jesuskind in einem Stall geboren wurde und wie er mit seiner Familie vor den Kindsmördern des Königs Herodes nach Ägypten floh, kann in der Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium nachgelesen werden.
Die Verehrung des heiligen Josef war schon früh in der Ostkirche bekannt. Papst Pius XI. anerkannte ihn 1870 als Schutzheiligen der ganzen katholischen Kirche und legte seinen Namenstag auf den 19. März fest (der genaue Todestag ist nicht bekannt). 1955 wurde der Zimmermann aus Nazareth zudem Patron der Bauhandwerker – als Gegengewicht zum sozialistischen Tag der Arbeit am 1. Mai. Sein Patronatsfest wird an demselben Tag begangen.