KEREM S. MAURER
Porträts oder Interviews sind das, was ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Lokaljournalist am liebsten umsetze. Weil es dabei ganz direkt um Menschen und ihre Geschichten geht. Und manchmal taucht hinter der eigentlichen Geschichte noch eine andere auf, die ...
KEREM S. MAURER
Porträts oder Interviews sind das, was ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Lokaljournalist am liebsten umsetze. Weil es dabei ganz direkt um Menschen und ihre Geschichten geht. Und manchmal taucht hinter der eigentlichen Geschichte noch eine andere auf, die fast noch faszinierender ist, und hinter dieser noch eine – fast wie eine journalistische Matrjoschka.
So ist es mir im letzten Frühling ergangen. Sie erinnern sich: Der «Castellan» war in aller Munde, die Vorbereitungen zu diesem Theater, das nur alle 25 Jahre aufgeführt wird, in vollem Gange. Da hiess es an einer Redaktionssitzung, es gebe im Umfeld des «Castellans» jemanden, der alle Kleider für die Schauspielerinnen und Schauspieler selbst nähe – Stoff für ein tolles Porträt!
Echt jetzt? Meine Schwester näht schon lange alle ihre Klamotten selbst, und heute macht das auch ihre Tochter, also meine Nichte. So ungewöhnlich fand ich dies auf den ersten Blick nicht unbedingt, aber: Es ging um den «Castellan», dessen Vorberichterstattung ich ohnehin schon übernommen hatte. «Nun ja, klingt doch schon mal spannend», sagte ich und meinte es auch tatsächlich so, denn schliesslich handelte es sich dabei um ein Porträt – mein Steckenpferdchen sozusagen. Ich freute mich darauf, die Dame kennenzulernen und war gespannt, was für eine Geschichte mich erwartete.
Was mich dann aber wirklich begeisterte, als ich die Näherin der Theaterkostüme kennenlernte, war letztlich genau das, was wir Journalisten gerne die «Geschichte hinter der Geschichte» nennen. Ja, sie nähte alle Kleider – mit Hilfe von anderen Näherinnen – selbst und sie war auch für die Entwürfe zuständig. Schon das war vom Aufwand und der Leidenschaft her, welche die Frau dafür an den Tag legte, echt beeindruckend, aber: Die Art und Weise, wie sie sich für die geschichtlichen Hintergründe jener Epoche interessierte, in denen das Theater spielte, um die Kleider so authentisch wie möglich herzustellen und aussehen zu lassen, war eine ganz andere Nummer und die hatte mich nicht nur beeindruckt, sondern regelrecht gefesselt. Tatsächlich hat sie ihr Leben auf das Mittelalter ausgerichtet, lernt authentisch tanzen, macht bei Mittelaltervereinen mit und darf heute meines Erachtens als Kennerin der Szene bezeichnet werden. Das alles war viel mehr, als ich erwartet hatte, als es darum ging, jemanden zu besuchen, der Theaterkleider näht.
Diese Begegnung hat mir einmal mehr aufgezeigt, dass man bei solchen Aufträgen im Voraus nie wirklich weiss, auf was man sich einlässt und worauf eine Geschichte letztendlich hinausläuft. Und es sind genau diese Überraschungen, die das Salz in unserer Jobsuppe ausmachen und mich dazu bringen, mich jedes mal aufs Neue auf Menschen zu freuen, die ich bislang noch nie gesehen oder mit denen ich zuvor noch nie etwas zu tun hatte. Ich erlebe diese Begegnungen oft als extrem bereichernd, weil sie mir neue Welten eröffnen, die ich noch nie gesehen habe, oder mich auffordern, mich mit Ansichten auseinanderzusetzen, die ich zuvor vielleicht nie geteilt hätte. Offen sein für das Leben anderer bedeutet für mich, spannende Menschen kennenzulernen und deren Geschichten aufzuschreiben, damit wir sie Ihnen in unserer Zeitung als Porträts oder Interviews präsentieren können.
Das ganze Jahr über sind wir Journalistinnen und Journalisten mit Leidenschaft im Einsatz, um jede Woche zwei Zeitungen zu gestalten, die nicht nur über Relevantes und Wichtiges informieren, sondern auch Geschichten enthalten, die fesseln und manchmal zum Schmunzeln anregen. In unserer Serie «Mein persönliches Highlight 2024» teilen wir die Geschichten, die uns tief berührt, zum Lachen gebracht, zum Grübeln angeregt oder einfach begeistert haben – Momente, die uns nicht losgelassen haben.