Die letzten Seilmacher im Saanenland – auf Spurensuche
29.05.2025 SaanenlandVom Wolfsnetz aus Flachs bis zur Wäscheleine auf dem Wochenmarkt: Die Seilerei ist ein fast vergessenes Handwerk, welches im Saanenland lange gepflegt wurde. Eugen Dornbierer-Hauswirth hat mit akribischer Recherche die Geschichte der letzten Seilmacherfamilien ...
Vom Wolfsnetz aus Flachs bis zur Wäscheleine auf dem Wochenmarkt: Die Seilerei ist ein fast vergessenes Handwerk, welches im Saanenland lange gepflegt wurde. Eugen Dornbierer-Hauswirth hat mit akribischer Recherche die Geschichte der letzten Seilmacherfamilien dokumentiert – vom Seiler Alfred Schwizgebel über die Bratschi-Dynastie bis hin zum späten Versuch einer Wiederbelebung durch Konrad Ellenberger. Dies ist eine Zusammenfassung und ein kleiner Einblick in seine Recherchearbeit.
EUGEN DORNBIERER-HAUSWIRTH
Seile wurden hergestellt, indem man Schnüre aus Pflanzenfasern (Hanf, Flachs), Reben, Tierhaaren (Schaf, Ziege) oder Lederstreifen miteinander verzwirnte. Verwendet wurden Schnüre und Seile in vielen Bereichen des täglichen Lebens, z.B. um Tiere anzubinden, Wasser aus einem Brunnen oder einer Zisterne zu schöpfen, Gegenstände aufzuhängen, Lasten zu befestigen oder zu ziehen, Zeltdecken zu spannen und Gefangene zu fesseln; zudem konnten sie zu Netzen verknüpft werden.
Mit der zunehmenden Bedeutung der Seefahrt wurde im Spätmittelalter (13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts) und in der Renaissance (etwa 1400 bis etwa 1520) zunehmend Tauwerk in grösseren Mengen benötigt und hergestellt – es entstand der Beruf des Seilers beziehungsweise Reepschlägers.
Jäger und Bauern auf der Wolfsjagd
Schriften aus dem 17./18. Jahrhundert berichten, dass die Menschen im Saanenland in einer unberührten Natur, jedoch stets im Kampf gegen deren Gewalt, lebten. Angst und Schrecken verursachten auch Raubtiere, die aus Wäldern und Klüften ins bewohnte Land einbrachen und weidendes Vieh, ja sogar Hirten anfielen.
Im Jahr 1646 beschloss die Landsgemeinde, «dass, welcher im Land Saanen einen alten Wolf erlegt, solle vier Cronen an Geld aus dem Landseckel erhalten».
Die Wolfsjagd
Sie gruben ein rechtes Loch in die Erde, legten ein Stück eines stinkenden Kadavers oder ein totes Kleintier hinein, trieben Holzpfähle in den Boden, fixierten das Netz (ähnlich wie die «Seilgare», die man zum Binden von Heu verwendete) darüber und legte Tannenäste darauf. Vom Geruch angelockt, stürzte sich der Wolf auf den Köder, verfing sich dabei mit den Beinen in den Maschen des Netzes und hing so wehrlos darin.
Woher hatten die Wolfsjäger die aus Seilen geknüpften Wolfsnetze?
In der Zeit zwischen dem ausgehenden Spätmittelalter (Mitte des 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts) und der frühen Neuzeit (Zeitraum von ca. 1500 bis ca. 1800) lebten im Saanenland keine Seilmacher. Weder in Chroniken noch Erzählungen findet man Hinweise auf dieses Handwerk. Besuchten die Bauern und Jäger aus Gsteig, Lauenen und Chalberhöni das Dorf Saanen, um dort Seile zu erwerben? Oder fanden sie ennet dem Sanetsch und Col du Pillon Heuseile für ihre Wolfsfallen oder mussten sie per pedes oder mit Ross und Wagen gar Zweisimmen oder Thun aufsuchen? Denkbar wäre aber auch, dass die Jäger und Bauern ihre Seile selbst herstellten.
Anbau von Hanf und Flachs
Hanf und Flachs gedeihen in jedem Boden, sofern dieser gut gedüngt ist. Daher wählte man dazu meistens das nahe an den Behausungen gelegene, gut bearbeitete Land, auch «Hanfbünt» (Bünt bedeutet Einzäunung) genannt.
Nach der Aussaat hat die Bäuerin die grosse Not, um die Vögel vom Samen, welcher eine Lieblingsspeise derselben ist, abzuhalten. In dieser Zeit ist es daher manchenorts verboten, die Tauben fliegen zu lassen. Von der Zeit an, da der Samen zu reifen beginnt, wird die «Hanfbünt» wieder das Paradies der Vögel und es erweist sich, dass es böser Hanf ist, wenn ihn die Vögel nicht wollen.
Karl Viktor von Bonstetten schrieb in seinem 5. Brief über ein Schweizer Hirtenland (1779, 9. Mai):
«Vor Einführung des Käsehandels wurde das Land gepflügt; nun ist aller Bau gefallen, ausgenommen der vorteilhafteste. Der Kornzehende ertrug von 1730–40 ungefähr doppelt was von 1770 bis 80; es ist kein Pflug mehr im ganzen Saanenland. Hin und wieder um die Häuser werden einige Stellen theils mit Erdäpfeln und Bohnen, theils mit Hanf und Lein, theils mit Korn und Gerste besäht; mit Korn im Frühling, nachdem das Land einigermassen gedüngt, und ein einigesmal umgehakt worden. Hierauf werden die meisten Kornfelder mit Erdäpfeln und endlich mit Flachse besetzt, alsdann in ihrer Erschöpfung wieder in Rasen verwandelt, welcher aber in ein paar Jahren wieder dicht wird.
Hanf und Flachs geraten Glücklich; ein halbes Viertel Hanfsamen bringt über fünfzehn Pfund Faden. Bern hebt im welschen Saanenlande als Zehenden die eilfte Garbe, welches in Mitteljahren bey sechzehn Schildlouisd’ors beträgt. Überhaupt wird in gewöhnlichen Jahren so viel Hanf gepflanzt als verbraucht. Aus dem, welcher in der Sonne getrocknet worden, werden rote Tücher, weisse, wenn er im Schatten gedörrt ist. Die Ausfuhr feiner Tücher wird gänzlich verabsäumt, obschon weislich veranstaltet werden könnte, dass die Allmosen in Arbeit und nicht in Geld noch Getraide bestehen sollten. Hierdurch würden ungebrauchte Nahrungsquellen eröffnet, und nothwendig müssten Trägheit und Betteley verschwinden wenn blinde Güte sie nicht unterstützte.»
Flachsernte
Nach 100 bis 120 Tagen, wenn der Flachs sich gelb färbt und ein Drittel der Blätter vom Stengel abgefallen ist, kann man den Flachs ziehen (raufen). Der Flachs wird nicht abgeschnitten, sondern mit den Wurzeln geerntet. Der Flachs wird in kleine Gärbchen («Hampfele») gebunden und circa 14 Tage zum Trocknen und Ausreifen der Samenkapseln unter dem Dach aufgehängt.
Flachsverarbeitung
Der Flachs wird mitsamt den Wurzeln aus dem Boden gezogen und zu Bündeln zusammengebunden. Die Bündel werden mit den Wurzeln nach oben zum Trocknen aufgehängt. Nach weiteren Arbeitsgängen erfolgt das Brechen auf dem Brechbock. Die Brecherin bearbeitet die Garben solange, bis sich alles Holz von den Fasern gelöst hat. Letztlich werden die Faserstränge durch den Hechelkamm gezogen, damit die restlichen Holzteile und kurzen Fasern ausgeschieden werden können. Danach folgt das Spinnen; Aus einzelnen Fasern wird Garn gesponnen. In der Regel wurde dieses textile Zwischenprodukt zu Stickereien verarbeitet. Gestützt auf die Geschichte der Wolfsjäger wurden mit den Fasern Schnüren gedreht und mit diesen dann Seile hergestellt.
Flachsanbau in Lauenen
In Lauenen, am Hügel beim Schulhaus, wurde in den Jahren der Anbauschlacht (1940er-Jahre) und auch noch später Flachs angebaut und geerntet. Die Einheimischen nennen diesen Hang Schanglo, benannt nach einem gewissen Herrn Jeanloz, der daselbst ein Bade-Etablissement aus dem Boden stampfen wollte. Vom ehemaligen Lehrer Christian Schwitzgebel war am 2. September 2024 bei einem Gespräch Folgendes zu erfahren:
«Mein Vater hatte Jahrgang 1905, er war Gemeindeschreiber in Lauenen. Ich glaube, auch er war mit der Flachsernte beschäftigt. Jedenfalls erinnere ich mich gut an die rhythmischen Geräusche des Flachsbrechers. Einer dieser Flachsbrecher steht noch immer in einem Schopf bei meinem Elternhaus im Bode in Lauenen. Meines Wissens wurde der geerntete Flachs zur weiteren Verarbeitung nach Rüderswil, das ist eine politische Gemeinde im Verwaltungskreis Emmental, gebracht.»
KARL VIKTOR VON BONSTETTEN…
… schrieb in seinem 4. Brief über ein Schweizer Hirtenland (1779, 9. Mai): «Die Wiesen und Gärten werden durch Mäuse, Ratzen und Maulwürfe geplagt. Stachelschweine und Eichhorne sind nicht selten, Füchse aber gemein. Die Wölfe und Bären, deren Ausrottung noch im Jahr 1655 ein Gesetz erforderte, sind nun, wie das wilde Schwein, gänzlich unbekannt. Auch die Lüchse, vor Alters unter allen Thieren hier das fürchterlichste, scheinen ausgerottet.»
Seilmacher im Saanenland
Im Jahr 1908 war im Saanenland ein hauptberuflich tätiger Seilmacher registriert: Alfred Schwizgebel.
Alfred Schwizgebel erblickte das Licht der Welt am 17. Dezember 1880 in der Bäuert Gruben bei Gstaad. Wie er als Sohn des Landwirts Peter Schwizgebel seine Kinder- und Jugendjahre erlebte, ist nicht bekannt. Machte er eine Ausbildung zum Seiler? Diese Frage kann in Ermangelung eines Nachweises nicht beantwortet werden. Denkbar ist jedoch, dass er das Seilerhandwerk erlernt hatte.
Seiler Alfred Schwizgebel wohnte an der Gstaadstrasse 79 (Gobelihaus). Sein Arbeitsplatz, die Seilerei, befand sich zwischen seinem Wohnort und dem ehemaligen Schulhaus Ebnit, Gstaadstrasse 83. Dieses Grundstück nennen die Einheimischen «Seiler». Zwischen dem Gobelihaus und der Nord-West-Fassade des Ebnit-Schulhauses befand sich die ungedeckte Seilerbahn von Alfred Schwitzgebel.
Zwischen diesen Häusern, parallel zur Hauptstrasse Saanen–Gstaad, arbeitete der Seiler bei Sonnenschein und Regen, bei Hitze und Kälte.
Schulkinder wie Walter Würsten, Hanskurt und Benz Hauswirth, Hannes Moor und Anne-Marie von Grünigen erzählten, sie hätten dem rückwärtsgehenden Mann mit den langen Schnüren bei der Arbeit oft zugeschaut. Im Winter, wenn die Kinder den Hang hinunterschlittelten, zertrampelten sie sehr oft die Seilerbahn, wie Anne Marie von Grünigen zu berichten wusste.
Seiler Schwizgebel nimmt mit seiner rechten Hand den gehechelten Hanf, der wie Engelshaare am Christbaum glänzt, aus seiner umgehängten Schürze. Die Fasern werden an Spindelhaken festgebunden. Die Spindelhacken drehen und beim Rückwärtsgehen lässt der Seiler den Hanf zwischen Daumen und Zeigfinger aus seiner Schürze rutschen.
Aus der Schürze zieht er immer neue Fasern nach, bis er findet, die gesponnene Schnur sei nun lange genug. Danach fertigt er eine zweite Schnur und knüpft diese zusammen.
Verwendete Schwizgebel Flachs oder Hanf für die Herstellung seiner Seile?
Hanf und Flachs (auch Leinen genannt), wurden auch im Saanenland angebaut und von den Menschen genutzt. Sowohl Hanf als auch Flachs sind nachhaltige Fasern für die Herstellung von Seilen. In den Texten im 5. Hirtenbrief Bonstettens findet man zwar Hinweise auf des Vorkommen von Flachs, jedoch weder Hinweise auf die Quantität noch die Qualität.
Demnach erhebt sich die Frage: Welchen Rohstoff verwendete Schwizgebel?
Vermutlich, und gegeben durch den Flachsanbau in der näheren Umgebung, wäre es naheliegend gewesen, wenn Schwizgebel die Naturfaser Flachs verwendet hätte. Aber wahrscheinlich bevorzugte er den Rohstoff Hanf, weil dieser reissfester als Flachs ist. Allerdings musste Hanf für grössere Produktionen aus dem Ausland bezogen werden.
Hanf zählt zu den ältesten Nutzpflanzen der Erde. Die Pflanze wird bis zu vier Meter hoch. Der Stamm (Stengel) erreicht einen Durchmesser von ca. 6 Zentimetern. Die Hanffaser befindet sich im Stängel. Um die Faser zu entnehmen, müssen die geschnittenen Stängel während zwei bis drei Wochen auf dem Feld bleiben und regelmässig gewendet werden. Während dieser Röstphase wird das Pektin, welches die Fasern zusammenhält, durch Regen und Sonne abgebaut.
Eine Spezialität des Seilmachers Schwizgebel war die Herstellung von ca. 30 Meter langen Wäscheleinen, ordentlich und platzsparend auf Haspel oder Holzwickler gelagert.
Dieses Produkt bot Schwizgebel an den Wochenmärkten in Saanen zum Kauf an. Er verkaufte seine Wäscheleine oft. Ob er damit reich wurde, wissen nur die Götter.
Für die Herstellung der langen Wäscheseile brauchte es einen zweiten Mann. Ernst, der jüngere Bruder von Alfred, half ihm wenn immer möglich. Der Seiler Alfred begab sich zum Seilwagen und Ernst drehte oder stoppte nach Anweisungen des Seilers. Dabei spielte die Kommunikation zwischen Alfred und Ernst eine grosse Rolle.
Obwohl Ernst mit der Seilerei an und für sich nichts zu tun hatte – er war Landwirt – funktionierte die Zusammenarbeit prächtig.
1952 an Krankheit verstorben
«Am 11. Mai.1952 starb Alfred Schwizgebel. Wie jedes Seil, sei es aus noch so gutem Hanf gedreht, durch jahrelangen Gebrauch allmählich schwache Stellen erhält und schliesslich seinen Dienst versagt, so ist das Pilgerleben des Seilers Alfred Schwizgebel am letzten Sonntag zu einem von vielen unerwarteten Ende gekommen. Bis vor Kurzem noch als rüstiger Siebziger auf seiner ungedeckten Seilerbahn bei Sonnenschein und Regen, bei Hitze und Kälte seinem Berufe obliegend, hat ihn unversehens eine Krankheit befallen, die nach kurzer Zeit im Spital in Saanen zum Tode führte.»
So könnte es damals, in den Jahren ab ca. 1900 bis 1952 im Ebnit ausgesehen haben. In der Zeichnung oben erkennt man das Haus, in dem Alfred Schwizgebel wohnte. Zeichnung unten: Schwizgebel beim Knüpfen eines Heunetzes, einer «Garnete».
SKIZZEN VON EMANUEL FRIEDLI IN SEINEM BUCH «BÄRNDÜTSCH ALS SPIEGEL BERNISCHEN VOLKSTUMS», 7. BAND SAANEN, 1927
Neubeginn der Seilerei in Gsteig
Am 24. September 1904 heiratete Gottfried Bratschi von der Lenk Bertha Schwizgebel, Tochter von Peter Schwizgebel in Saanen, im Ebnit bei Gstaad. Dieser Ehe wurden die Kinder Alfred (1905) und Klara (1906) geschenkt. So kam es, dass die «Seilmacherei» von Alfred Schwizgebel nach dessen Tod 1952 zu Alfred Bratschi, Sohn des Gottfried Bratschi und der Berta Schwitzgebel, nach Gsteig gebracht wurde.
Dieter Bratschi (3. Generation) erzählt:
«Mein Grossvater und mein Vater betrieben die Anlage im Chlusli zusammen. Meistens wurden ‹Hälslige› angefertigt, oft so 70 bis 80 Stück für Adolf Bach, unseren Nachbarn in der Feutersoey. Einige Male sollten Kletterseile für Bergführer hergestellt werden. Zu diesem Zweck musste die Seileranlage ins Freie genommen werden, weil um das Haus im Chlusli für die Produktion eines 20 Meter langen Seiles nur der Weg Richtung Schüdeli zur Verfügung stand. Mein Vater, Kurt Bratschi, erinnert sich, dass er mit seinem Vater Alfred nach der Übernahme der Seilerei nach Därstetten zur Seilerei Jaggi reiste, um sich beraten zu lassen, wie das ‹Seilere› funktioniere. Dies muss so in den Jahren um ca. 1958/1959 gewesen sein, da mein Vater seine Schreinerlehre beendet hatte und frisch Auto fahren durfte, nota bene mit einem VW-Käfer.»
Ruth Bratschi, Tochter des Seilers Alfred Bratschi, erzählt:
«Ich wurde im Jahr 1951 geboren. Meine Mutter hiess Greti Nyffeneg- ger, die im Herbst 1959 starb. Kurt, geboren 1939, ist mein Halbbruder. Seine Mutter hiess Rosa Guggisberg, die im März 1947 starb. Ich war damals etwa sechs, sieben Jahre alt, als ich meinem Vater beim Seilmachen half. Eine meiner Aufgaben war, die Seile mit Paraffin einzureiben. Mein Vater war sehr tüchtig und arbeitsam. Er kaufte eine Hobelmaschine, eine Bandsäge und eine Kehlmaschine. Mein Vater liebte die Natur, fuhr Ski und ging oft z Bärg, auch mit mir. Mit Paul Germann (Saali) lief er einst im Herbst über den Sanetschpass.»
Rudolf Perreten erzählt;
«Mein Vater, Landwirt in der Feutersoey, war ein Kunde von Seilmacher Bratschi. Es war in den 1950er-Jahren, in meinen ersten Schuljahren, als mich mein Vater mitnahm, um bei Bratschi ein Heuseil zu kaufen.»
Die Ära Bratschi geht zu Ende
Nach dem Tod von Alfred Bratschi (1985) scheinen sich seine Kinder Ruth und Kurt sowie die Grosskinder Rolf und Dieter von der Seilerei zu entfernen. Gründe hierfür mag es mehrere gegeben haben. So entschloss man sich, die intakten Geräte ins Chalberhöni, zu Ellenbergers, zu geben.
Bratschis Seilerei zügelt ins Chalberhöni
Alfreds Grosssohn Dieter Bratschi erzählt:
«In den Jahren 1980 und 1981 ging ich als Statterbueb zu Ellenbergers auf die Alp La Manche und im Herbst ins Chalberhöni. Dort gab es, nebst Holzen, allerlei zu tun. Mein Vater war froh, mit Ernst Ellenberger einen praktischen Mann für die Seilerei gefunden zu haben. Wann genau die Gerätschaft in das Untergeschoss an der Chalberhönistrasse 26 transportiert und installiert wurde, konnten mein Vater und ich nicht mehr ausfindig machen. Es müsste jedoch in den Jahren 1985/86 gewesen sein. Ich glaube mich noch zu erinnern, dass die Seileranlage funktionierte und Ernst und sein Sohn Konrad gut in der Lage waren, Seile herzustellen.»
Der Seiler Ellenberger im Chalberhöni
Ernst Ellenberger war fähig, mit diesen Gerätschaften Hanfseile herzustellen. Sein Sohn Konrad, Jahrgang 1966, kam damals, als die Seilmachergeräte im Chalberhöni ankamen, aus einem Welschlandaufenthalt nach Hause zurück. Bis zum Beginn der Rekrutenschule half er seinem Vater, «Hälslige» herzustellen.
Konrad Ellenberger
Nach dem Tod von Ernst Ellenberger ging die Seilerei in Vergessenheit. Erst im Jahr 2024, in Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Geschichte «Die letzten Seiler im Saanenland» erinnerte sich Konrad, ein Sohn von Ernst Ellenberger, an die Seilmacherei seines Vaters. Eines Tages holte er das «Zeug» aus einem Schopf, baute die Elemente fachmännisch zusammen – und siehe da, man konnte wiederum ein kurzes Hanfseil drehen. Kurzum riss leider das Seilchen – die Mäuse hatten den brach-liegenden, verstaubten Hanf angefressen.
Die «Trüegle», speziell die «Höuwseiltrüegle», dieser hölzerne Handgriff, passt sich dank seiner Drehbarkeit und seinem «naagää» trefflich der Faust des Bindenden und nun erst recht des Tragenden an. Die «Trüegle» ist dem Tragenden also, was dem Fuhrmann das niemals aus der Hand gelassene
Leitseil ist.
Ende der Seilmacherei im Saanenland
Im Jahr 2009, nach dem Lebensende von Ernst Ellenberger-Reichenbach im Chalberhöni, endete vorerst die Seilmacherei im Saanenland. Nach dem Versuch von Sohn Konrad, im Jahr 2024 ein Seil herzustellen, erlosch das Feuer dieses Handwerks, das Alfred Schwizgebel zu Beginn des 20. Jahrhunderts entfacht hatte, endgültig.
Comeback eines alten Handwerks
Handwerksberufe wie Seiler, Reepschläger, Küfer, Wagner, Gerber, Köhler, Sattler und weitere mehr sind ausgestorben oder in Vergessenheit geraten. Wertvolles Kulturgut verschwindet von der Bildfläche. Seilmacher Walter Jaggi aus Weissenburg, Besitzer einer intakten, gedeckten Seilerbahn, sagt: «Seile braucht es nach wie vor. Man könnte die einfacheren Schritte des Seilerhandwerks in einigen Wochenendkursen erlernen.
Das Herstellen von Springseilen wäre ein ideales Werkobjekt, entwickelte sich doch das Seilspringen zur Wettkampfsportart «Rope Skipping».
Ab und an besuchen Kindergartenklassen die Seilerei am Simmentaler Hausweg. Walter Jaggi dreht für die Kinder Sprungseile. Schön, denn diese Kinder werden später, im Erwachsenenalter, über das Seilerhandwerk sprechen.
Der vorliegende Bericht ist eine Zusammenfassung der 52-seitigen Broschüre
«Die letzten Seilmacher im Saanenland» von Eugen Dornbierer-Hauswirth.