Früher Körbe geworfen, heute Körbe leeren
17.11.2023 PorträtWenn Lamine Dioum über sein Leben spricht, vermittelt er den Eindruck, als komme es gar nicht so sehr darauf an, was, sondern wie man etwas tut. Denn solange man es mit Respekt und Liebe macht, liegt einem die ganze Welt zu Füssen – auch wenn man Petflaschen einsammelt und ...
Wenn Lamine Dioum über sein Leben spricht, vermittelt er den Eindruck, als komme es gar nicht so sehr darauf an, was, sondern wie man etwas tut. Denn solange man es mit Respekt und Liebe macht, liegt einem die ganze Welt zu Füssen – auch wenn man Petflaschen einsammelt und Kehrichtkübel leert.
KEREM S. MAURER
Der zwei Meter und vier Zentimeter grosse Mann mit afrikanischen Wurzeln hat zweimal die französische Meisterschaft im Basketball gewonnen, wurde von den Medien entsprechend hochgelobt, von den Fans vergöttert und von seinen Gegnern gefürchtet. Lamine Dioum hat erfahren, was es heisst, wenn man für seine Arbeit verehrt und bewundert wird. Trotz allem Ruhm hat er nie vergessen, woher er kommt und dass man seinen Mitmenschen mit Respekt und Achtung begegnen soll. Seit nunmehr zwölf Jahren wohnt der heute 64-jährige ehemalige Basketballprofi im Saanenland. Er arbeitet bei der Gemeinde Saanen, wo er verantwortlich dafür ist, dass die Körbe mit den Petflaschen und die Abfalleimer regelmässig geleert werden.
Hände aus Gold
Lamine Dioum stammt aus dem westafrikanischen Staat Senegal und war eines von zehn Kindern. «Meine Brüder sind mit über 2,10 Metern noch grösser als ich. Ich bin der Kleinste», sagt er fröhlich lachend. Für ihn habe seine Grösse nie ein Problem dargestellt. «Es ist halt so, das ist mein Leben», sagt Lamine Dioum mit einer gewissen Demut. Erst im Alter von 18 Jahren habe er mit Basketball angefangen. «Es gab damals Leute, die haben in mir ungeheures Potenzial gesehen. Ich habe davon gar nichts gewusst», erinnert er sich und erzählt, wie er in North Carolina in den USA das Spiel von der Pike auf gelernt habe. Nach seiner Ausbildung hätte er in der NBA (National Basketball Association) spielen können, doch auf Drängen seiner Schwester habe er davon abgesehen und sei stattdessen nach Frankreich gegangen. «Ich habe den amerikanischen Pass abgegeben, bin afrikanischfranzösischer Doppelbürger geworden», erzählt Dioum. In Frankreich spielte er für diverse Klubs und gewann mit Avignon zweimal die französische Meisterschaft. Basketball habe in Frankreich einen ganz anderen Stellenwert als in der Schweiz, weiss der Exprofi. «Das ist dort hinter Fussball die Nummer zwei der Mannschaftssportarten», weiss er. Entsprechend gross war der Rummel um seine Person. Nach dem grössten Moment in seiner Sportkarriere gefragt, erzählt er über den Gewinn des Meistertitels: Die Vorbereitungen in der Stadt, ganz Avignon sei in ihren Farben dekoriert gewesen, die ganze Bevölkerung habe hinter ihnen gestanden. Während des Spiels habe er die Energie des Publikums gespürt und er habe gespielt, als gebe es kein Morgen. Nach dem Sieg seien sie zum Rathaus gezogen, wo der Bürgermeister die Mannschaft in einer Zeremonie geehrt habe. «Da waren so viele Menschen, die mir gratulieren und mir danken wollten. Sie haben zu mir gesagt, ich hätte Hände aus Gold. Das war sehr berührend.»
Alles dem Sport untergeordnet
Wenn sich Lamine Dioum an seine sportlichen Erfolge erinnert, ist seine Begeisterung ansteckend. Doch er schlägt auch leise Töne an. «Dass ich es im Sport so weit gebracht habe, verdanke ich jenen Menschen, die an mich geglaubt haben», sagt er und berichtet von den Entbehrungen, die seine Karriere gefordert hat. Er habe hart trainiert, sehr bewusst gelebt und alles den sportlichen Zielen untergeordnet. Alles? «Ja, meine Frau hat oft gesagt, ich hätte besser den Ball geheiratet als sie», sagt er mit Wehmut in der Stimme. Die Beziehung zu ihr hat die Belastungsprobe nicht überstanden. Seine Kinder, 19 und 23 Jahr alt, leben heute bei ihrer Mutter. Dazu kommt, dass er als Bester seines Teams stets von den Gegnern bedrängt worden sei. Wenn sie ihn ausschalteten, habe dies ihre Gewinnchancen erhöht. So sei er regelmässig zur Zielscheibe geworden. «Ich versuchte immer, meinen Gegnern mit Achtung und Respekt zu begegnen. Und ich hielt mich nie für etwas Besseres, nur weil ich mehr Punkte machte als meine Mitspieler», erzählt er, der von sich sagt, er habe immer mit dem Herzen gespielt mit dem Ziel, seine Zuschauer zu begeistern. Neben dem Sport gab es für Lamine Dioum keine Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen oder ein Diplom zu erwerben.
Das Saanenland hat es ihm angetan
Achtzehn Jahr lang war Lamine Dioum Basketballprofi, dann war er 38 Jahre alt und hatte die Lust am Spiel verloren. Obwohl der Präsident seines Klubs bereit war, sein Gehalt zu verdoppeln, kehrte Dioum dem Sport den Rücken. Danach eröffnete er zwei Diskotheken in Frankreich und Deutschland und versuchte sich als Manager im Nachtleben. «Das war meine grösste Dummheit in meinem Leben: Ich habe damit viel Geld verloren», sagt er und zuckt mit den Schultern. «Shit happens.» Irgendwann sei er gefragt worden, ob er das Beachvolleyballturnier in Gstaad kenne. Während des Turniers suche man in den Klubs Sicherheitspersonal. Und da Lamine Dioum während seiner Sportlerzeit zum Ausgleich Kickboxen trainiert hatte, meldete er sich in Gstaad, obschon er noch nie zuvor von diesem Ort gehört hatte. Im damaligen Chesery arbeitete er drei Jahre lang, dann folgten Einsätze im Le Grand Bellevue, im The Alpina und im Palace. Und irgendwann hat er den Job bei der Gemeinde bekommen, der ihn glücklich macht. «Es ist eine sehr wichtige Arbeit. Ich sorge dafür, dass die Körbe mit den leeren Petflaschen und die Kehrichtkübel regelmässig geleert werden», sagt er nicht ohne Stolz. Die Menschen auf der Strasse würden es ihm danken, sie grüssten ihn und hätten immer ein liebes Wort für ihn übrig. Einige beschenkten ihn sogar mit Schokolade oder Kaffee. Das Saanenland habe es ihm angetan. «Ich liebe die Menschen hier und die Landschaft. Die Berge sind wundervoll», sagt er lachend. Wenn er frei habe, gehe er in die Berge, helfe den Bauern, Zäune zu errichten oder die Tiere einzubringen. Und wenn Lamine Dioum über seine aktuelle Arbeit spricht, erfüllt ihn dies mit Freude. «Jede Arbeit ist wichtig. Wenn ich sie mit Respekt und Liebe verrichte, kommt es gut. Ich habe Freude daran und die Menschen sind zufrieden mit mir!» Mehr brauche es nicht.