Familial, kollegial oder digital: Es gibt viele Möglichkeiten, einen Dorfladen zu erhalten
14.03.2024 SaanenlandDorfläden sind eine todgeweihte Spezies! Zu diesem Schluss kommt, wer das «Lädelisterben» in den letzten Jahren mitverfolgt hat. Schweizweit verschwinden Dorfläden in urbanen Gebieten genauso wie in ländlichen. Doch das Saanenland wehrt sich mit innovativen ...
Dorfläden sind eine todgeweihte Spezies! Zu diesem Schluss kommt, wer das «Lädelisterben» in den letzten Jahren mitverfolgt hat. Schweizweit verschwinden Dorfläden in urbanen Gebieten genauso wie in ländlichen. Doch das Saanenland wehrt sich mit innovativen Konzepten gegen diese Tendenz. Mit Erfolg! Denn von Saanenmöser über Schönried, Saanen, Gstaad bis Gsteig, Lauenen und Turbach hat hier noch jedes Dorf seinen eigenen Dorfladen. Und sie legen grossen Wert auf regionale Waren. Erwähnenswert ist, dass es in Drogerien und Apotheken in Saanen und Gstaad diverse Reformhausprodukte gibt, die das Dorfladenangebot komplettieren.
Dorfladen geht an die dritte Generation
Stefanie Annen und ihr Team machen das Einkaufen im Dorfladen Launen zu einem gemütlichen Erlebnis. FOTO: KEREM MAURER
Stefanie Annen hat am 1. Januar 2024 den Dorfladen in Lauenen von ihren Eltern übernommen. Im Interview erzählen sie, was die Weiterführung des Geschäfts für sie und Lauenen bedeutet und was aus einem wird, wenn man mit abgelaufenen Lebensmitteln ernährt wird.
KEREM S. MAURER
Stefanie Annen, was ist Ihre Motivation, den Dorfladen in Lauenen weiterzuführen? Immerhin hat die Gemeinde nur etwa 850 Einwohnerinnen und Einwohner ...
Es ist mir eine Freude, das Geschäft meiner Eltern und Grosseltern in der dritten Generation weiterzuführen. Der Laden hat sich zu einem Treffpunkt im Dorf entwickelt. Wir haben ja neben den Hotels Wildhorn und Alpenland nicht mehr viele Orte, wo man sich treffen kann. Ich kenne den Laden seit meiner frühesten Kindheit.
Sie sind quasi hier drin aufgewachsen?
(Lacht) Ja, das stimmt. Immer am Donnerstag ist die Ware angeliefert worden. Wir Kinder haben oft beim Auspacken und Einräumen geholfen.
Kaufen eher Gäste oder Einheimische bei Ihnen ein?
Das Geschäft läuft nicht zuletzt wegen der Feriengäste und Chaletbesitzer gut. Gäste suchen das Lokale und den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Dazu dürfen wir lokale Familien zu unseren Kunden zählen. Und viele kommen zu uns, um Brot zu kaufen oder das Postangebot zu nutzen. Unsere Kunden schätzen die persönliche und gemütliche Einkaufsatmosphäre.
Wie viele Leute finden bei Ihnen eine Verdienstmöglichkeit?
Ich und meine Mutter haben hier je eine Vollzeitstelle. Dann arbeiten bei uns noch zwei Einheimische im Stundenlohn. In der Hochsaison arbeiten wir meist zu Dritt im Laden.
Wird mehr mit Karte oder bar bezahlt?
Seit Corona wird deutlich mehr mit der Karte bezahlt. Wobei zu sagen ist, dass Feriengäste oder auch Schweizer Städter mehr mit Karte bezahlen, während die Einheimischen oft Bargeld bevorzugen.
Was machen Sie mit abgelaufenen Produkten?
Wir haben einen sogenannten Halbpreiskarton, wo alles, was abgelaufen aber noch geniessbar ist, hineinkommt. Und vieles, was wir nicht verkaufen, essen wir selber. Seit meiner Kindheit besteht meine Ernährung aus abgelaufenen Produkten.
Geschadet hat es Ihnen offenbar nicht ...
(Lacht herzhaft) Nein, es ist auch aus mir etwas geworden!
Was denken Sie, woran liegt es, dass es im Saanenland noch so viele Dorfläden gibt?
Das dürfte daran liegen, dass wir uns hier gegenseitig unterstützen. In Lauenen gibt es noch andere familiengeführte Unternehmen. Viele wissen wie es ist, wenn man selbst «gschäftet». Und in der heutigen Zeit überlebt man nur, wenn man zueinander schaut. Daneben helfen auch der Tourismus, die Chaletbesitzer und Feriengäste. Grossverteiler gibt es überall, wir müssen den Unterschied machen.
Bernhard Annen: Man muss dazu sagen, dass viele der Dorfläden Bäckereien, Molkereien oder Metzgereien sind, welche vieles selber produzieren. Da ist die Marge um einiges besser. Reine Wiederverkäufer haben es wesentlich schwerer. Von denen gibt es nur noch sehr wenige.
Bernhard Annen, Sie haben das Geschäft mit Ihrer Frau zusammen dreissig Jahre lang geführt, wie haben Sie es geschafft, auf relativ engem Raum das anzubieten, was Ihre Kundinnen und Kunden verlangen?
Das hat sehr viel mit Erfahrung zu tun. Mittlerweile kennt man seine Kundschaft. Und natürlich richten wir uns nach den Bedürfnissen unserer Stammkundschaft.
Es ist ja nicht mit der Breite des Angebots gemacht, es braucht auch eine gewisse Auswahl an ähnlichen Produkten...
Das ist richtig. Wir führen unglaubliche acht verschiedene Sorten Mineralwasser. Das ist enorm, hat sich aber im Lauf der Zeit so ergeben. Ich denke, Stefanie sollte das Angebot in Zukunft etwas anpassen, vielleicht auch ein wenig straffen.
Was bedeutet es Ihnen, dass Ihre Tochter den Dorfladen weiterführt?
Wir sind natürlich sehr stolz auf Stefanie und glücklich, dass sie das Geschäft übernimmt. Und es machte von der ganzen Organisation her vieles einfacher. Es ist schön zu sehen, dass das Geschäft meiner Eltern in die dritte Generation geht.
Was geben Sie Ihrer Tochter mit auf den Weg als Geschäftsführerin des Dorfladens in Lauenen?
Ich wünsche ihr vor allem viel Durchhaltewillen und viel Freude an dieser Arbeit. Und dass die Einheimischen sowie vor allem die junge Generation den Dorfladen weiterhin berücksichtigen.
Drei Frauen, eine 100-Prozent-Stelle und rund um die Uhr geöffnet
Ladenleiterin Sarah Schiffmann demonstriert wie man mit der Kundenkarte in den unbedienten Laden kommt. FOTO: KEREM MAURER
Um den Dorfladen in Turbach zu erhalten, wurde der Laden vor etwas mehr als einem Jahr fast komplett digitalisiert. Regula Bach erzählt, wie durch die Digitalisierung kein Personal abgebaut, aber Umsatz aufgebaut wird.
KEREM S. MAURER
Regula Bach, ein nahezu komplett digitalisierter Dorfladen ist nicht unbedingt das, was man in Turbach erwartet. Wie ist es dazu gekommen?
Wir standen vor der Entscheidung: Entweder beschreiten wir neue Wege oder wir riskieren über kurz oder lang, unseren Dorfladen zu verlieren. Wir haben uns aus mehreren Gründen für ein digitales Konzept entschieden.
Wer ist «wir»?
Eine Genossenschaft, die den Dorfladen seit über hundert Jahren führt. Dazu gehört auch die Milchsammelstelle und seit neustem das ehemalige Posthaus, in dem jetzt einheimische Mieter wohnen. Im Grunde sind wir eine Selbsthilfegenossenschaft mit dem Zweck, den Laden und im weiteren Sinne auch das Leben im Tal zu erhalten.
Weil ein Dorfladen im Turbach wichtig ist?
Genau. Es ist praktisch, wenn man seinen täglichen Lebensmittelbedarf im Dorf decken kann. Ein Dorfladen ist ein Treffpunkt, ein Ort der Begegnung.
Ein Treffpunkt, wo niemand mehr arbeitet?
Das stimmt so nicht. Es arbeiten immer noch gleich viele Personen im Laden wie vor der Umstellung zum digitalen Konzept. Drei Frauen teilen sich eine Vollzeitstelle. Es war immer unser Ziel, dass wir keine Stellen abbauen. Wir wollten nur den Umsatz steigern.
Und das hat funktioniert?
Wenn man sämtliche Kundenbedürfnisse abdecken will, muss man heutzutage sehr lange Öffnungszeiten bieten. Das steigert die Lohnkosten ins Unermessliche. Mit dem digitalen Konzept konnten wir die Öffnungszeiten mit gleichem Personalaufwand auf rund um die Uhr ausdehnen. Die Leute können einkaufen, wann sie wollen. Dies hat zu mehr Kundenfrequenzen und höheren Umsätzen geführt.
Dann wird das digitale Angebot geschätzt und genutzt?
Ja, wir haben sehr gute Rückmeldungen bekommen. Gerade auch von jüngeren Leuten, die aufgrund ihrer Arbeitszeiten vorher keine Möglichkeiten hatten, zu uns zu kommen.
Und was machen die überzeugten Barzahlenden, die sich kaum für die digitale Welt erwärmen können?
Unsere Kasse ist ja jeden Morgen – ausser Sonntag und Dienstag – von acht bis halb elf bedient und an zwei Tagen auch nachmittags. Jene, die bar bezahlen, sich mit den Verkäuferinnen austauschen und vielleicht auch noch einen Kaffee trinken wollen, kommen einfach zu diesen Zeiten.
Das klingt nach einer Fünfer-und-Weggli-Lösung. Ist denn Diebstahl kein Problem?
Vorteilhaft ist, dass wir nicht an einer Durchgangsstrasse liegen. Aber Diebstahl ist sicher ein Thema. Doch der Laden wird mit Kameras überwacht und alle, die nachts zwischen zwanzig und sechs Uhr in den Laden kommen, werden mittels ihrer Kundenzutrittskarte vom System erfasst – und Diebstahl gibt es auch in bedienten Läden. Aber wir haben bis jetzt nicht den Eindruck, dass bei uns im grossen Rahmen gestohlen wird.
Man braucht eine Kundenkarte, um Zutritt zum Laden zu bekommen?
Genau. Das ist der Türöffner in der Nacht. Tagsüber kann man einfach in den Laden kommen, Waren aussuchen und an der Kasse mit dem Kärtchen bezahlen. Einkaufen, ohne dass sich jemand im Laden befindet, ist sicher am Anfang gewöhnungsbedürftig. Aber nach über einem Jahr können wir sagen, dass es gut funktioniert.
Hat sich Ihr Angebot mit dem neuen Konzept verändert?
Ja, wir haben das Angebot vergrössert und auch den Lieferanten gewechselt. Neu beziehen wir unsere Produkte bei Coop. Wir versuchen, alles für das tägliche Leben und eine kleine Auswahl zu bieten.
Was für ein Fazit ziehen sie nach dem ersten Betriebsjahr?
Es ist gut gelaufen, hat aber noch Luft nach oben. Wir freuen uns über die deutliche Zunahme an Kundenfrequenzen sowie über den gesteigerten Umsatz und hoffen, dass diese Tendenzen auch künftig anhalten werden.
Das heisst, Sie halten am digitalen Konzept fest und wollen nicht mehr zurück?
Auf jeden Fall. Einen Wechsel zurück zum alten System wäre nicht sinnvoll. Wir könnten niemals dasselbe bieten nur mit bedienten Öffnungszeiten. Hätten wir am alten Konzept festgehalten, wäre dies möglicherweise das Ende unseres Dorfladens gewesen.
Schönried
Gemeinsam ist man in Schönried stärker. Die Molkerei Schönried, die Buure Metzg und die Chnusper Becke führen neben ihren Spezialfachangeboten ein erweitertes Dorfladensortiment. Reto Siegrist, Geschäftsführer der Molkerei Schönried, sagt übereinstimmend mit Nicole Hauswirth, Co-Geschäftsleiterin bei der Buure Metzg in Schönried, dass sich die drei Geschäfte mit dem Angebot, das über das jeweils Selbstproduzierte hinausgehe, gemeinsam absprechen. Es mache schliesslich keinen Sinn, sich angebotsmässig auf derart kleinem Raum zu bekämpfen. Ziel sei es, der Kundschaft ein ausgewogenes Angebot zu bieten. In Schönried bilden sozusagen drei Geschäfte zusammen den Dorfladen. Reto Siegrist betont: «Massgeblich zum Erfolgsmodell der Schönrieder Läden tragen die verfügbaren Parkplätze vor den einzelnen Geschäften bei.»
Saanenmöser
Seit 2003 wird der Dorfladen in Saanenmöser genossenschaftlich geführt. Über die Bedeutung dieses Ladens sagt Solveig Lanz, Präsidentin der Dorforganisation Saanenmöser: «Das breite Angebot vom Gebührenkehrichtsack bis zum frischen Sommerziegenkäse, gekoppelt mit Postdienstleistungen und Minibistro werden von Einheimischen und Gästen gleichermassen geschätzt.»
Saanen
In Saanen gibt es Schmid’s Dorfladen. Sarah Schmid führt das Geschäft in der vierten Generation. In diesem Geschäft können Kunden ausserhalb der Öffnungszeiten mit einer Kundenkarte täglich von 7 Uhr bis 22 Uhr einkaufen. Die Kundenkarte dient als Schlüssel zum Laden. Die Einkäufe werden entweder mit einer Bankkarte oder Twint sofort bezahlt oder per Monatsrechnung. Dazu gibt es das Brot und Molkereikonzept des earlybecks. «Dieses Konzept ist entstanden, weil die Molkerei den Betrieb einstellen wollte. Durch diese Angebotserweiterung stellen wir mit den anderen Anbietern ein Dorfladenangebot für die einheimische Bevölkerung und die Gäste sicher», sagt earlybeck-Inhaber Eric Oehrli.
Gstaad
In Gstaad gibt es neben Landi, Coop und Migros eine Filiale der Chnusper Becke, die ein Dorfladensortiment führt und Pernet Comestibles. Heute ist Letzteres laut Inhaber und Geschäftsführer Michael Kneubühler eines von «ganz wenigen, privat geführten Delikatessengeschäften mit Wein und Lebensmitteln in der Schweiz». Daneben ergänzen der earlybeck mit seinem Hauptgeschäft an der Promenade und einer Filiale, die Molkerei Gstaad und die Buure Metzg das etwas weitläufigere Dorfladenangebot. Abgerundet wird es mit dem avec-Tankstellenshop im Ebnit.
Feutersoey
Der Gönnerverein «Pro Dorf Feutersoey» – die Nachfolgeorganisation der Interessengemeinschaft IG Lädeli Feutersoey – unterstützt den Dorfladen in Gsteig-Feutersoey, der seit 2015 von der Molkerei Gstaad auf eigene Rechnung geführt wird. Die Molkerei Gstaad betreibe das Lädeli unter anderem, damit Genossenschafter:innen, welche in Feutersoey wohnen, nicht immer nach Gstaad in die Molkerei gehen müssten zum einkaufen, da die Mitgliedschaft in der Genossenschaft Molkerei Gstaad an eine Warenbezugspflicht gekoppelt ist, teilt René Ryser, Geschäftsführer der Molkerei Gstaad, auf Anfrage mit.
Gsteig
In Gsteig führt Peter Beetschen Peter’s Dorfladen mit der Milchsammelstelle bereits in der 3. Generation. Seit die Post
in Gsteig vor elf Jahren geschlossen hat, findet man hier auch die Poststelle. Der 61-Jährige überlegt, wie es dereinst mit dem Laden weitergehen soll. «Es wird nicht einfacher, die Umsätze sinken seit der Coronazeit stetig», sagt er. Um die Kosten im Griff zu halten, hat er seinen Laden nur noch während der Winter- und der Sommersaison an sieben Tagen die Woche geöffnet. In der Zwischensaison ist Peter’s Dorfladen jeweils am Sonntag geschlossen, nur über die Feiertage bleibt das Geschäft geöffnet. «Die Dorfläden in Feutersoey und Gsteig sind für die Dörfer sehr wichtig. Wir, die Bevölkerung,
sind sehr dankbar für die Einkaufsmöglichkeiten im Dorf», sagt Cornelia Walker, Präsidentin der Dorforganisation Gsteig-Feutersoey. Das Betreiben eines Dorfladens sei mit grossen Herausforderungen verbunden, ergänzt sie, aber: «Unsere Dorflädeli-Betreiber machen das sehr gut!»
Die Liste der Geschäfte im Saanenland mit Dorfladensortiment ist nicht abschliessend und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.